# taz.de -- Besetzte Schule in Kreuzberg: Es ist kein Platz für alle da | |
> Über 50 Projekte wollen die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule nutzen. | |
> Beim Auftakt des Vergabeverfahrens wurden die Konfliktlinien deutlich. | |
Bild: Die besetzte ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg. | |
Die Stimmung ist angespannt am Mittwochabend in der Kreuzberger | |
Rosa-Parks-Grundschule: Es ist der Auftakt des [1][Vergabeverfahrens für | |
die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule] an der Reichenberger Straße. Das | |
Bezirksamt Kreuzberg will in der Schule, die derzeit noch von Flüchtlingen | |
besetzt ist, ein soziales Zentrum eröffnen und hat Kiezinitiativen zu | |
Bewerbungen aufgerufen. Die sind in Massen gekommen: 57 Projekte möchten | |
gerne die Klassenzimmer für ihre Kiezarbeit nutzen, darunter die | |
Drogenhilfe Fixpunkt, ein Frauenzentrum, eine Turnerschaft und die Freie | |
Schule Kreuzberg. Die harten Holzstühle in der Aula sind alle besetzt. | |
Laut Bezirksamt steht eine Nutzfläche von rund 3.000 Quadratmetern in der | |
Schule zur Verfügung, dazu kommen 300 Quadratmeter im Pavillon vor dem | |
Gebäude. Für alle wird also wohl nicht genügend Platz sein. Darum hatte | |
sich das Bezirksamt schon vor Monaten ein Bewertungsverfahren ausgedacht: | |
Anwohner sollten Punkte für die einzelnen Initiativen vergeben. Das stieß | |
von Anfang an auf Kritik. Nun hat das Bezirksamt Verstärkung mitgebracht: | |
die Ingenieursgesellschaft Steinbrecher und Partner. Sie soll das Verfahren | |
moderieren. Keine leichte Aufgabe. | |
Nach einer halben Stunde wird es für Moderator Jan Kaiser ungemütlich: Die | |
Vertreter der Initiativen wollen wissen, wie viel Geld er von der | |
Bezirksverwaltung für die Moderation bekommt. Kaiser versucht auszuweichen. | |
Dann ruft einer: „Transparent bleiben!“ Sara Walther vom Bündnis | |
„Zwangsräumungen verhindern“ lässt nicht locker: „Das ist eine Informat… | |
die wichtig ist!“, ruft sie. „Interessiert das noch jemanden außer mir?“ | |
„Jaaa!“, schallt es durch die Aula. Nun bleibt Kaiser nur noch übrig, beim | |
ebenfalls anwesenden Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) | |
nachzufragen, ob er die Summe verraten darf. Der hat dagegen nichts | |
einzuwenden. „Ok, dann sag ich's", so der Moderator: "Es sind 9.000 Euro.“ | |
Langsam beruhigen sich die Leute wieder. | |
## 7,30 Euro pro Quadratmeter | |
Nein, einfach werden dürfte es nicht, eine Lösung zu finden, mit der alle | |
zufrieden sind. Aber darum geht es heute auch noch nicht. Kaiser erklärt, | |
dass beim Auftakt noch nichts abstimmt werde und sich die Initiativen auch | |
noch nicht im Einzelnen präsentieren. Erst einmal wird das Gebäude | |
vorgestellt. 30 Klassenzimmer mit je rund 50 Quadratmetern stehen zur | |
Verfügung, dazu kommt eine große Aula. Die Projekte müssen einen Mietpreis | |
von 7,30 Euro pro Quadratmeter aufbringen. Das finden viele zu teuer. | |
Bei ihren Bewerbungen hatten die Initiativen verschiedene Fragen | |
beantworten müssen. Darunter auch die, wie sie die Miete aufbringen werden. | |
Nun fordern einige, diese Frage zu streichen, weil sich einige Initiativen | |
die Miete kaum leisten könnten. Manche wünschen sich, dass es auch | |
kostenlos geht. | |
Bürgermeister Schulz steht auf und erklärt, warum das nicht geht: „Die | |
Schule wurde vom Netz genommen. Das heißt, dass wir hier keine Fachnutzung | |
mehr haben und das Grundstück an den Liegenschaftsfonds abgeben müssten. | |
Der würde es weiter verkaufen." Weil das der Bezirk nicht wolle, aber auch | |
keine Finanzierung mehr vom Land für das Gebäude erhalte, müsse mit den | |
Mieteinnahmen die Kosten gedeckt werden. | |
Per Powerpoint stellt Kaiser das Vergabeverfahren in groben Zügen dar. | |
Viele Fragen bleiben allerdings offen: Vertreter von Initiativen wollen | |
etwa wissen, wie denn am Ende entschieden wird, wer in die Schule kommt und | |
wer nicht. Das Verfahren sei noch nicht völlig fertig, erwidert der | |
Moderator. Ein „Baustein“ seien die Anwohner, die abstimmen sollen. „Wir | |
versuchen durch Aushänge und Internet möglichst viele zu erreichen“, so | |
Kaiser. Es solle aber "nicht so sein, dass sie ihre Punkte auf die Projekte | |
kleben und die mit meisten Stimmen dann einziehen“. | |
Ob die Meldeadresse den Ausschlag für die Anwohnerbefragung gebe, hakt | |
einer nach. Nein, das erfasse man nicht, sagt Kaiser. Es sei ja keine Wahl. | |
Weshalb sich auch schon andeutet, dass das Anwohnervotum keinen bindenden | |
Charakter hat: „Es geht auch um die Frage, ob die Projekte wirtschaftlich | |
tragfähig sind.“ Franz Schulz sekundiert: „Wenn das Meinungsbild am Ende | |
nicht eindeutig ist, setzen wir uns nochmal zusammen." Wie auch immer: Im | |
Moment sieht es aus, als seien die Projekte, die am meisten Einwohner | |
mobilisieren, zumindest im Vorteil. | |
## "Widersprüchliche Signale" | |
Aber was ist mit den Flüchtlingen? „Es kristallisiert sich mehr und mehr | |
heraus, dass sie bleiben wollen“, gibt eine Anwohnerin zu bedenken. Wobei | |
sich die Frage stelle, wie sie die Miete aufbringen sollen. Schulz spricht | |
von "widersprüchlichen Signalen“. Viele Flüchtlinge sagten, sie wollten in | |
der Öffentlichkeit bleiben und nicht in der Schule verschwinden. „Wir haben | |
sie trotzdem gebeten, sich zu bewerben.“ Das haben sie auch getan. | |
Seit Dezember wird die Schule von den Flüchtlingen besetzt, die auf dem | |
Oranienplatz kampieren. Der Bezirk duldet dies bislang als „Kältehilfe“. | |
Eigentlich sollten sie die Schule Ende März verlassen. Weil sich das | |
Vergabeverfahren verzögert hat, will das Bezirksamt die Besetzung jedoch | |
auch darüber hinaus hinnehmen. Zur Veranstaltung ist von der | |
Flüchtlingsgruppe freilich niemand gekommen. | |
Das erste Treffen endet planmäßig gegen 20 Uhr. Im Flur sind die | |
Steckbriefe der Projekte aufgehängt, die ihre Porträts bereits eingereicht | |
haben - bis jetzt erst die Hälfte. Die Frist für die Abgabe wurde bis zum | |
8. April verlängert, eine inhaltliche Auseinandersetzung und eine | |
Vorstellung der Gruppen sollen dann am 26. und 27. April stattfinden. Wie | |
es aussieht, werden die Flüchtlinge noch einige Zeit bleiben können. | |
28 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/projektehaus/ | |
## AUTOREN | |
Martin Rank | |
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