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# taz.de -- Tierversuche: „Ich möchte juristische Klarheit“
> Der Streit um die Affen-Experimente an der Bremer Uni geht weiter: Der
> Gesundheitssenator Schulte-Sasse will eine Klärung vor dem
> Bundesverfassungsgericht.
Bild: Der Bremer Gesundheitssenator Hermann Schulte-Sasse.
taz: Herr Schulte-Sasse, Sie sind neu im Amt des Gesundheitssenators und
wollen gleich auf die Bundesebene gehen mit dem Streit um die
Affen-Versuche. Ist das nicht ausgeurteilt?
Hermann Schulte-Sasse: Meine Hoffnung war von Anfang an, dass wir eine
Rechtsfindung in dieser grundsätzlichen Frage bekommen. Es geht darum, wie
sich das Recht auf Wissenschafts und Forschungsfreiheit verhält zu dem neu
ins Grundgesetz aufgenommenen Staatsziel des Tierschutzes. Wir müssen als
Tierschutzbehörde prüfen, ob die beantragten wissenschaftlichen
Tierversuche unter tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten genehmigungsfähig
sind. Das Bundesgesetz arbeitet mit unbestimmten Rechtsbegriffen. Da soll
uns das Bundesverfassungsgericht Klarheit bringen.
Ihre Vorgängerin im Amt, Renate Jürgens-Pieper, war in der Frage
zurückhaltend. Sie war nun auch gleichzeitig Wissenschaftssenatorin,
vertrat also beide Seiten. Sind Sie persönlich engagiert in
Tierschutzfragen?
Ich gehöre nicht zu denen, die Tierversuche grundsätzlich als unethisch
ablehnen. Wir brauchen für den wissenschaftlichen Fortschritt Tierversuche.
Die Versuche müssen aber unter ethisch sauberen Bedingungen stattfinden,
unnötige Belastung der Tiere muss vermieden werden. Für mich gibt es auch
eine Grenze der rechtfertigbaren Belastungen. Aber das ist ein schwieriges
Feld.
Was ist unnötig?
Das ist die schwierige Aufgabe. Wir müssen den wissenschaftlichen
Fortschritt in seiner Bedeutung für den Menschen im Vergleich zu der
Belastung der Versuchstiere abwägen.
Nun haben wir die Makaken-Versuche seit mehr als zehn Jahren und so richtig
viel herausgekommen ist offenbar nicht.
Ja, zumindest wüsste ich im Moment nicht, an welcher Stelle die
Kreiter’schen Versuche die Erwartungen, die damit verbunden wurden, auch
nur annäherungsweise erfüllen. Aber vielleicht bin ich da auch nicht
vollständig informiert.
Die bremischen Richter haben in zwei Verfahren die Bescheide der Behörde,
die die Versuche nicht weiter genehmigen wollte, als rechtswidrig
verworfen.
Die Bremer Richter haben sich auf die eigentliche Frage, wie nämlich die
Behörden die Wissenschaftsfreiheit gegenüber dem Tierschutz abwägen sollen,
nicht eingelassen.
Das Problem Ihrer Tierschutzbehörde ist ja, dass sie vor 15 Jahren die
Experimente genehmigt hat, danach hat der Senat die Investitionen für
Kreiter freigegeben. Und nun muss dieselbe Behörde begründen, dass damit
Schluss sein soll.
Inzwischen ist der Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen worden.
Vorher bewertete der Forscher allein, ob seine Versuche ethisch zu
rechtfertigen sind?
Die Genehmigungsbehörde konnte nur prüfen, ob die im Rahmen der Experimente
möglichen Verfahren zum Schutz der Tiere gewährleistet waren. Es ging nicht
um die Abwägung des Fortschrittspotentials der Versuche und dem Tierschutz
selber. Das ist nach unserer Auffassung aber jetzt der Fall.
Das Tierschutzgesetz hat da eine Regelungslücke?
Der Bundesgesetzgeber kann die Vielfalt unterschiedlicher Lebenssituationen
gar nicht so voraussehen, dass sich für jeden Einzelfall eine klare
Regelung ergibt. Das Gesetz gibt den Rechtsrahmen, und wenn sich die
beteiligten nicht einig sind, müssen Gerichte den Rechtsrahmen auslegen.
Der Senat sagt: Die Meinung in der Bevölkerung hat sich in Tierschutzfragen
geändert, das soll in die rechtliche Bewertung einfließen. Es gibt einen
einstimmigen Bürgerschaftsbeschluss, das ist eine politische Position und
geht über die Frage nach dem Verwaltungshandeln hinaus.
Ich bin zwar nicht der Meinung, dass eine mehrheitliche Äußerung der
Bevölkerung, immer gleich schon den Maßstab verschieben muss für das
Verwaltungshandeln, aber natürlich entwickelt sich eine Gesellschaft in
ihren eigenen Wertsetzungen, und das muss Konsequenzen auf das Rechtssystem
haben. Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte in den USA um
gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Ehen. In Deutschland gibt es das
Beispiel der Abtreibung. In den 1950er Jahren hätte ein Gericht jegliche
Abtreibung als Mord eingestuft. Würde man heute den Paragrafen 218 neu
fassen, wäre er wieder anders, als er in den 1970er Jahren formuliert
wurde, weil sich die gesellschaftliche Haltung weiterentwickelt hat. Das
gilt genauso in den Fragen des Tierschutzes, die Gesellschaft muss abwägen,
wie wichtig ihr der Tierschutz ist, wenn es um den wissenschaftlichen
Fortschritt geht, zum Beispiel auch für die Behandlung von Krankheiten
geht, das ist ja, zumindest als langfristige Perspektive, bei den
Kreiter’schen Versuchen vorgetragen worden.
Nicht von Kreiter selbst…
Von dritten, die die Versuche damit begründen wollten. Eine Gesellschaft
kann natürlich heute nach 10 oder 20 Jahren zu einer anderen Meinung
kommen, als das am Beginn der Forschungsvorhaben der Fall war.
Guckt man von anderen Städten mit ähnlichen Forschungsprojekten auf das
Bremer Verfahren?
Als wir die gerichtliche Auseinandersetzung gestartet hatten vor Jahren,
war das sehr stark. Es geht nicht um eine Bremensie, sondern um eine
schwierige Rechtsmaterie, die andere Universitäten auch betrifft. Wir
hatten eine vergleichbare Debatte in der Schweiz, dort gibt es inzwischen
eine rechtlich gültige Entscheidung, die anders aussieht als das, was in
Deutschland diskutiert wird.
Die Bremer Experimente wären in der Schweiz nicht genehmigungsfähig?
Davon gehe ich aus. Das oberste Gericht der Schweiz hat sich sehr deutlich
geäußert und für Tierversuche sehr strenge Regeln formuliert. Das war auch
für mich ein wichtiger Grund, der für eine entsprechende Klärung in
Deutschland spricht. Wir haben in Deutschland sehr viel mehr Tierversuche
als in der Schweiz.
Hermann Schulte-Sasse, 65, parteilos, ist von Beruf Mediziner und
Internist. Er war in München und in Bremen Leiter der
Gesundheitsverwaltung, zeitweise Abteilungsleiter im
Bundesgesundheitsministerium und ist seit Dezember 2012 Senator für
Gesundheit in Bremen.
1 Apr 2013
## AUTOREN
Klaus Wolschner
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