# taz.de -- Internetsucht in China: Online bis zum Rausschmiss | |
> Junge Männer in China sind oft und lange online. Einer verbrachte sogar | |
> sechs Jahre in einem Internetcafé. Nun plant die Regierung ein Programm | |
> gegen „Internetsucht“. | |
Bild: „Nach 24 Stunden ist Schluss“: Cafébetreiberin über Dauersurfer. | |
PEKING dpa | Das Surren der Computerlüfter erfüllt den dunklen Raum. Müde | |
Gesichter werden vom kalten Licht der Monitore angestrahlt. 160 Computer | |
stehen in dem Pekinger Internetcafé dicht gedrängt nebeneinander. Dann | |
schreit ein junger Mann auf. Er haut mit seiner Hand auf die Tischkante. Im | |
Onlinespiel ist er gerade abgeschossen worden. Frustriert zündet er sich | |
eine Zigarette an. Kaum einer nimmt Notiz. Fast alle starren weiter auf die | |
Bildschirme. | |
„Nach 24 Stunden werfen wir die Leute hier spätestens raus“, sagt die | |
Besitzerin des Cafés, Ding Dan. Seit acht Jahren betreibt sie das Geschäft | |
in der 20-Millionen-Metropole. Der Ego-Shooter Counterstrike sei eines der | |
beliebteste Spiele. Aber in jüngster Zeit muss sie häufiger ihren Kunden | |
zum Gehen auffordern. „Besonders Männer wollen nicht mehr gehen. Die zocken | |
die ganze Zeit und vergessen ihre Familie zu Hause“, klagt die Inhaberin. | |
Frauen kämen auch, aber chatteten meist nur und blieben auch nicht so | |
lange. | |
China hat laut einer Regierungsstatistik aus diesem Jahr geschätzte 560 | |
Millionen Internetnutzer. Mehr als 60 Prozent von ihnen spielen regelmäßig | |
online. Eine Stunde in einem Pekinger Internetcafé kostet umgerechnet | |
weniger als 50 Cent. Im Vergleich: Das durchschnittliche Monatseinkommen in | |
der Stadt wurde für China zuletzt für 2011 in einer offiziellen Statistik | |
mit knapp 600 Euro beziffert. | |
Immer wieder kursieren Geschichten über Internetsüchtige durch chinesische | |
Medien. Zuletzt [1][erregten Berichte] über einen jungen Mann Aufsehen, der | |
bis zu sechs Jahre in einem Internetcafé verbracht haben soll. „Sein Fall | |
ist besonders ernst, aber das Verhalten ist typisch für Abhängige“, sagt | |
Psychologieprofessor Ding Jianlue von der Jilin Universität. Junge | |
Erwachsene suchten nach ihrem Abschluss vergeblich nach einer Stelle. Dann | |
sei das Internet ein Weg, vor dem Frust und der Verantwortung zu fliehen. | |
Mittlerweile hat sich die Regierung des Themas angenommen. Fünfzehn | |
Behörden sollen einen Plan entwickeln, um dem Trend zu begegnen, berichtete | |
die [2][Zeitung China Daily]. Bis Ende des Jahres soll eine Definition | |
stehen, was Internetsucht überhaupt ist. Und in den kommenden drei Jahren | |
sollen Regeln gegen die Sucht entwickelt werden. Mit den Plänen prescht | |
China auch international nach vorne. Denn Experten weltweit streiten schon | |
lange über eine Definition. Es ist umstritten, ob und wann überhaupt von | |
einer Sucht gesprochen werden kann. | |
## Stressabbau im Internetcafe | |
Im Gegensatz zu westlichen Ländern wie Deutschland sieht Professor Pi Yijun | |
Internetsucht in China als ein besonderes Problem. „Die Verteilung von | |
freier Zeit macht einen großen Unterschied“, sagt er. Die lange Zeit in der | |
Schule produziere viel Stress. „Aber die Gesellschaft gibt keine Zeit und | |
keinen Raum, um den Stress abzubauen. Daher verschwinden etwa die | |
Jugendlichen einfach in Internetcafés.“ Pi unterrichtet an der Pekinger | |
Universität für Politikwissenschaft und Recht China und ist Mitglied im | |
chinesischen Komitee zum Schutz von Minderjährigen. | |
Die neuen Pläne sind nicht der erste Versuch, in China gegen Internetsucht | |
vorzugehen. Im Jahr 2008 begannen Militärärzte, Bootcamps als Behandlung zu | |
empfehlen. Aber die Camps sind auch in China sehr umstritten: Ein | |
Militärkrankenhaus in Peking stoppte den Einsatz von Elektroschocks, | |
nachdem Kritiker sich öffentlich über die Methoden empört hatten. Pi und | |
Ding sprechen beide zwar von kurzfristigen Erfolgen der kontroversen | |
Programme, aber trotzdem fielen die meisten Patienten anschließend in ihr | |
altes Verhalten zurück. | |
Eine Lösung sieht Pi nicht in neuen Regeln, sondern in einem | |
gesellschaftlichen Wandel. „Man kann zwar das Internet verbieten, aber | |
Jugendliche werden trotzdem einen Weg ins Netz finden.“ Schließlich seien | |
sie schon mit Computern aufgewachsen. Letztlich wirke nur eine andere Form | |
von Druck: „Wenn sie von ihren Freunden ausgelacht werden, wenn sie den | |
ganzen Tag zu Hause am Computer spielen, erst dann könnten sie davon | |
loskommen.“ | |
7 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://au.businessinsider.com/gamer-at-internet-cafe-for-6-years-2013-3 | |
[2] http://www.chinadaily.com.cn/china/2013-02/22/content_16245882.htm | |
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