# taz.de -- Frauenfilmfestival in Dortmund/Köln: Deutungshoheit über große B… | |
> Doris Wishman hat billige und schmutzige Filme gedreht und dabei viele | |
> Regeln des Filmemachens missachtet. Eine zwiespältige Werkschau. | |
Bild: „Deadly Weapons“ („Tödliche Waffen“) von Doris Wishman. | |
DORTMUND/KÖLN taz | Frauenthemen sind wieder in – nicht nur wegen Pussy | |
Riot und [1][#Aufschrei]. Das kann auch das verstärkte Interesse am | |
Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln bezeugen, das sich für | |
solche Aufmerksamkeit dieses Jahr mit einem starken Programm bedankte. | |
Neben dem Wettbewerb für Spielfilmregisseurinnen (den Teddy-Preisträgerin | |
Malgoska Szumowska mit „In the Name Of“ gewann) und dem zum zweiten Mal | |
vergebenen Ehrenpreis für ein dokumentarisches Lebenswerk (an Heddy | |
Honigmann) ging es dabei unter dem Motto „Exzess“ auch tief in die | |
Filmgeschichte der letzten 117 Jahre. | |
Dabei ist eine männliche Regie kein Tabu, wenn die Filme feministische | |
Sehlust und Erkenntnis fördern. Gerade in der Frühzeit des Kinos kamen – | |
auch durch Teilhabe der Darstellerinnen an der Produktion – so erstaunliche | |
Dinge zustande wie „Filibus“ (1915, Regie Mario Roncoroni), in dem Cristina | |
Ruspoli als schurkische Baronesse von einem Zeppelin aus in Männerkleidern | |
Raub- und Rachezüge betreibt. Spektakulär dabei sind nicht nur die | |
Liebeshändel der Aristokratin mit anderen Frauen, sondern auch, dass die | |
Böse am Ende unbestraft ins Abendrot entfleuchen darf. | |
Doch im Fokus standen in Dortmund Filmemacherinnen und ihre Werke. Ein | |
Programm war der bis heute unterschätzten Pionierin Alice Guy gewidmet, die | |
zeitgleich mit Méliès und Lumière produzierte und von den populären Feerien | |
bis zur Komödie erfolgreich alle Genres bediente. Dabei hatte die junge | |
Sekretärin bei der Gaumont sich nur mit Mühen die Erlaubnis verschafft, in | |
ihrer Freizeit im hauseigenen Studio „Demo-Filme“ für die zu verkaufenden | |
Apparate zu drehen. | |
## Sexploitation im Billigsektor | |
Auch eine andere verkannte Größe weiblicher Filmgeschichte arbeitete als | |
Angestellte bei einem Filmverleih, bevor sie mit geliehenen 10.000 Dollar | |
ihren ersten eigenen Film realisierte. „Hideout in the Sun“ hieß Doris | |
Wishmans Debüt, das erfolgreich auf die Nudistenfilm-Welle der Endfünfziger | |
setzte. Auch bei über zwei Dutzend weiteren meist im Sexploitation-Sektor | |
angesiedelten Billigproduktionen war Wishman um künstlerische Kontrolle | |
ebenso wie um Affinität zum Publikumsgeschmack bedacht. | |
Oft fast im Alleingang hat sie bis 2002 Filme mit Titeln wie „Nude on the | |
Moon“ oder „Dildo Heaven“ gemacht, die ihr unter Aficionados Kultstatus | |
einbrachten. Dabei hat Wishman – zwecks Sparsamkeit und Ausdruckswillen – | |
nicht nur gegen die meisten Regeln konventioneller Filmgrammatik verstoßen, | |
sondern auch neue Stilmittel kreiert. So hat sie ihre Figuren oft von | |
hinten gezeigt, um beim Nachvertonen auf die mühsame Lippensynchronisierung | |
verzichten zu können. | |
In Dortmund wurde in einem Exploitation-Special neben Filmen von Penelope | |
Spheeris und Barbara Peeters auch Wishmans „Deadly Weapons“ (1974) gezeigt: | |
Der Rachezug einer Frau, die einmal nicht eigene Gewalterfahrung, sondern | |
den Tod ihres Ehemanns ahnden will. Als Waffe kommt der eigene Körper zum | |
Einsatz. Die Darstellerin Chasty Morgan wartet mit einem gewaltigen Busen | |
auf und nutzt diese Massivität – der deutsche Titel „Teuflische Brüste“ | |
lässt es ahnen – auch konsequent. Dass Crystal am Ende vom eigenen Vater | |
hintergangen wird, gibt der Geschichte bei allem Tittenwahn eine | |
untergründige Note. | |
## Dilettantismus und Kommerz | |
Darf man das bei einem Frauenfilmfestival zeigen? Man sollte sogar. Denn es | |
kann kaum einen passenderen Ort geben, um über Konflikte weiblicher | |
Imagination mit patriarchalen Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu | |
reden. Über die Konfrontation von innovativer Ästhetik, Dilettantismus und | |
Kommerz. Und über die Widersprüche zwischen Autonomieanspruch und der | |
Anpassung an sexistische Voyeurismen. | |
Die 2002 verstorbene Regisseurin war selbstbewusst und schlagfertig und | |
konnte es auch in hohem Alter medial mit jedem Kontrahenten aufnehmen. | |
Dennoch hat sie die sexuelle Potenz ihrer Filme immer verleugnet und für | |
das Stimulationspotenzial allein das Auge der Betrachter verantwortlich | |
gemacht. Ja, es wird kolportiert, dass sie den Dreh expliziter Szenen ihrem | |
Kameramann überließ. Bleibenden Ruhm wird ihr auch ein später Auftritt in | |
der Conan-O’Brien-Late-Show eintragen, wo sie – eine Suchmeldung mit Foto | |
in die Kamera haltend – überzeugend darauf beharrt, der Einladung gefolgt | |
zu sein, um eine seit Wochen verschwundene Lieblingskatze zu suchen. | |
## Postpubertäre Fans | |
Wishmans „Deadly Weapons“ wäre ein guter Anlass, eine feministische | |
Perspektive auf Sexploitation zu diskutieren. Diese Debatte fand in | |
Dortmund leider nur beim Frühstückssmalltalk statt. Denn die Autorität über | |
den Diskurs des Abends wurde vom Frauenfilmfestival leichtfertig an den – | |
typischerweise mit postpubertären Jungs besetzten – Gelsenkirchener | |
Filmclub Buio Omega übergeben, dessen Vertreter sich dafür mit einer | |
launigen Abhandlung aus Fanperspektive bedankten. Ein Gegenreferat gab es | |
nicht. | |
So blieb der Abend ein soziologisch interessantes, aber auch schmerzhaftes | |
Experiment. Denn da die Gelsenkirchener Fans in Überzahl angereist waren, | |
tat der verbliebenen Rest-Weiblichkeit im Kino der Hintergrundsound aus | |
schlecht platziertem Männerlachen doppelt weh. Bisher war es doch | |
wenigstens ein Alleinstellungsmerkmal des Frauenfilmfestivals, selbst | |
sexistische Bilder in einem nichtsexistischen Kontext genießen zu können. | |
Selbstverständlich ist es richtig, aus der Frauennische in die böse Welt | |
hinauszugehen. Doch wenn frau dann um Deutungshoheit nicht einmal ringt, | |
wird es schnell beliebig. | |
18 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?q=%23aufschrei | |
## AUTOREN | |
Luise Slbermann | |
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