# taz.de -- Streitgespräch: Energiewende in Berlin: "Wir sind da flexibel" - "… | |
> Vattenfall-Manager Helmar Rendez und Luise Neummann-Cosel von der | |
> Genossenschaft BürgerEnergie Berlin diskutieren über ihren Kampf um das | |
> Berliner Stromnetz. | |
Bild: Wer darf von 1. Januar 2015 an das Stromnetz Berlins betreiben? Und was h… | |
taz: Herr Rendez, Vattenfall wirbt auf Plakaten dafür, dass die Berliner | |
froh sein sollen, sich nicht mit der Funktionsweise des hiesigen | |
Stromnetzes beschäftigen zu müssen. Warum? | |
Helmar Rendez: Die Berliner sind gewohnt, dass der Strom immer fließt. Die | |
Stromversorgung ist eine Infrastruktur, die auf höchstem Niveau | |
funktioniert. Dafür sorgen wir. Wenn Sie nach der letzten | |
Stromunterbrechung fragen, dann erinnert sich der ein oder andere höchstens | |
an einen kurzzeitig blinkenden Digitalwecker, denn wir haben hier eine | |
durchschnittliche Unterbrechungszeit von nur 12 Minuten im Jahr. | |
Trotzdem: Hätten Sie vor zehn Jahren gedacht, dass Sie sich heute mit einem | |
Volksbegehren, einer Bürgergenossenschaft und großem öffentlichen Interesse | |
auseinandersetzen müssen, wenn es um die neue Konzession für das Stromnetz | |
geht? | |
Rendez: Vor zehn Jahren waren wir gerade in Jahr fünf nach dem neuen | |
Energiewirtschaftsgesetz, da hat gerade die Liberalisierung des | |
Strommarktes stattgefunden. Vattenfall hat sich seitdem einem sehr, sehr | |
starken Wettbewerb stellen müssen. Allein in Berlin gibt es einige Hundert | |
Betreiber großer und kleiner Kraftwerke. 316 Stromanbieter und all deren | |
Kunden haben das Recht, innerhalb von drei Wochen den Anbieter zu wechseln. | |
Das muss ich als Netzbetreiber sicherstellen, ebenso dass das Netz so | |
ausgebaut ist, dass jeder Berliner seine Photovoltaik-Anlage anschließen | |
kann. Davon gibt es bereits 5.000 in der Stadt und ich kann nur sagen: Das | |
Kupfer ist in der Erde, wir schließen jeden sofort ans Netz an. | |
Frau Neumann-Cosel, wenn jeder Einspeiser schnell angeschlossen wird und | |
das Stromnetz stabil ist - warum sollten sich die Berliner dann dafür | |
interessieren, was hinter der Steckdose so los ist? | |
Luise Neumann-Cosel: Weil das Stromnetz nicht nur aus Kabeln und Kupfer | |
besteht, sondern ein zentrales Element der Daseinsvorsorge in dieser Stadt | |
ist. Wir als Bürger haben größtes Interesse daran, dass das auch noch in 50 | |
Jahren funktioniert. Und beim Stromnetz geht es auch darum, wie unser | |
Energiesystem in Zukunft aussieht. Diese Frage wollen viele Menschen nicht | |
wenigen Unternehmen überlassen, sondern sich selbst einmischen. | |
Mit Ihrer Genossenschaft wollen Sie Bürger zu Besitzern des Netzes machen. | |
Wie soll das funktionieren? | |
Neumann-Cosel: Wir wollen eine alternative Eigentümerstruktur für das | |
Stromnetz. Die mit dem größten Interesse daran, dass das Netz funktioniert, | |
sollen es besitzen und demokratische Einflussmöglichkeiten haben. Das macht | |
eine Genossenschaft möglich, denn anders als bei einer Aktiengesellschaft | |
hat jedes Mitglied eine Stimme. Es wäre demnach ein spannendes Modell, das | |
Netz als Genossenschaft und womöglich in Kombination mit der öffentlichen | |
Hand zu betreiben. Denn mit diesem Netz werden jedes Jahr hohe | |
Millionenbeträge erwirtschaftet, die sollen nicht einfach abfließen wie | |
derzeit, sondern sowohl der Energiewende vor Ort zur Verfügung stehen als | |
auch ein Stückweit an die Menschen, die sich beteiligen, zurückfließen. | |
Erst einmal brauchen Sie Geld: Für das Netz würde eine Ablöse an Vattenfall | |
fällig, dafür kursieren Werte zwischen 400 Millionen und drei Milliarden | |
Euro. | |
Neumann-Cosel: Wir streben ja an, dass das Land Berlin mit beteiligt sein | |
soll, das wollen auch SPD und CDU. Ihrem Beschluss nach soll Berlin | |
mindestens 51 Prozent der Netzbetreibergesellschaft gehören. Uns würden zum | |
Beispiel 25,1 Prozent, das ist als Sperrminorität eine wichtige Größe, | |
vorschweben. Zudem rechnen wir mit einer maximalen Eigenkapitalquote von 40 | |
Prozent, der Rest soll über Kredite kommen. Somit reduziert sich die Summe, | |
die wir tatsächlich sammeln müssen, ein bisschen. | |
Wie viel Geld haben Sie denn schon? | |
Neumann-Cosel: Nach ein paar Monaten Sammeln stehen wir bei fünf Millionen | |
Euro, 1.000 Menschen habe sich bisher beteiligt. Das ist ein guter Anfang, | |
aber wir brauchen natürlich noch mehr. Ein Problem ist, dass wir im Dunkeln | |
tappen, was den Wert dieses Netzes angeht und damit den Kaufpreis. Da | |
könnten Sie uns ein bisschen helfen, Herr Rendez, und Licht ins Dunkle | |
bringen. | |
Rendez: Fairer Weise müssen Sie erst mal eines sagen, Frau Neumann-Cosel: | |
Es geht hier um das Wegenutzungsrecht für das Stromversorgungsnetz, das | |
Berlin ausgeschrieben hat. Jetzt müssen wir wie alle Bewerber nachweisen, | |
dass wir die Kompetenz besitzen, das größte innerstädtische Verteilnetz | |
Deutschlands zu betreiben und über eine abgesicherte Finanzierung verfügen. | |
Wir bewerben uns um die Wiedererlangung der Netzkonzession und ich gehe | |
davon aus, dass wir sie wieder gewinnen, weil wir seit fast 130 Jahren | |
nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg und in Schweden nachgewiesen | |
haben, dass wir das können. Wenn Vattenfall die Konzession nicht wieder | |
bekommen sollte, dann wird in einem nächsten Verfahrensschritt darüber | |
gesprochen werden, dass wir das Netz an den neuen Konzessionär zu verkaufen | |
haben. | |
Neumann-Cosel: Einspruch. Es geht ja in diesem Verfahren darum, dass die | |
Bewerber sicherstellen müssen, dass sie das Ganze finanzieren können. Das | |
können wir natürlich sinnvoller Weise nur dann darlegen, wenn wir auch | |
wissen, über welche Summen wir da reden. Auch Neulinge am Markt wie wir | |
müssen ihr Recht auf diese Bewerbung wahrnehmen können. | |
Rendez: Wir haben mit dem, was wir an Daten rausgegeben haben, die | |
Ansprüche der Bundesnetzagentur übererfüllt. Wir haben extra eine | |
Netzdatenkonferenz gemacht und dabei ein dickes Telefonbuch mit den | |
relevanten Netzdaten vorgestellt - in keinem anderen | |
Konzessionsvergabeprozess in Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt so viel an | |
Daten veröffentlicht worden. Wenn Sie mit Fachkompetenz dieses Material | |
durchgehen, sind Sie in der Lage, für sich den entsprechenden Wert | |
abzuschätzen. Unsere Aufgabe ist es aber nicht, zum jetzigen Zeitpunkt eine | |
Diskussion über den Preis zu führen. | |
Frau Neumann-Cosel, selbst wenn Sie den Kaufpreis wüssten, bliebe die | |
Frage: Wie kann ein Neuling dieses Netz finanziell, technisch und personell | |
stemmen? | |
Neumann-Cosel: Natürlich sollen die Beschäftigten, die jetzt am Stromnetz | |
arbeiten, das auch weiter tun. Diese Kompetenz würde ein neuer Konzessionär | |
übernehmen, das ist eine normale Form des Betriebsübergangs, dazu haben die | |
Mitarbeiter auch das Recht. Und wir haben in unseren Gremien natürlich | |
Kompetenz mit an Bord. Außerdem werden wir mit einem technischen Partner | |
zusammenarbeiten, der hilft, das sicher über die Bühne zu bekommen. | |
Rendez: Ich glaube, für die Berliner und vielleicht auch für Ihre Genossen | |
wäre es doch wichtig, dass Sie sagen: Wer ist dieser technische Partner? | |
Wer ist derjenige, dessen Kompetenz herangezogen werden soll, um zukünftig | |
dieses Netz genauso zu führen, wie wir es können? | |
Neumann-Cosel: Keine Sorge, das werden wir mit Sicherheit, nur Geduld. | |
Herr Rendez, Vattenfall selbst verfügt unbestritten über das nötige | |
technische Know-How. Warum wollen trotzdem fast alle Fraktionen im | |
Abgeordnetenhaus Sie loswerden und den Stromnetzbetrieb in kommunale Hand | |
holen? | |
Rendez: Mit Stromnetzen können Sie keine Energiepolitik machen. Die Rolle | |
des Netzbetreibers ist es, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen. Das machen | |
wir auch. Was die Energieversorgungskonzerne, was wir als Vattenfall | |
leidvoll gelernt haben, ist es, stärker auf die Bürgerinnen und Bürger | |
einzugehen. Wir stellen uns jetzt den Diskussionen. | |
Wie denn? | |
Rendez: Wir pflegen die Partnerschaften mit den Kommunen, bereiten uns auf | |
deren Entwicklungen vor. In Spandau machen wir gerade das Netzgebiet für | |
125 Millionen Euro fit, weil es dort viele Leute mit Ein-Familien-Häusern | |
gibt, die sich Photovoltaik-Anlagen und Wärmepumpen einbauen wollen, da | |
müssen wir für die entsprechende Netzverstärkung sorgen. Die neue | |
Europacity hinter dem Hauptbahnhof, die Tempelhofer Freiheit, das sind | |
alles Entwicklungsgebiete, wo dezentrale, erneuerbare Energien eine große | |
Rolle spielen werden. Mich fasziniert an diesem Job: Ich muss da sein, | |
bevor die Bagger kommen, bevor Leute investieren wollen. | |
Vattenfall will in den nächsten zehn Jahren 1,4 Milliarden Euro in die | |
Infrastruktur des Netzes in Berlin stecken. Was halten Sie davon, Frau | |
Neumann-Cosel? | |
Neumann-Cosel: Das ist ja nicht Geld von Vattenfall, sondern das sind | |
Gelder, die jeder Berliner als Netzentgelt mit seiner Stromrechnung | |
bezahlt. Diese Investitionen muss jeder Betreiber tätigen, egal, welches | |
Logo draußen an der Tür klebt, darauf achtet die Bundesnetzagentur ganz | |
genau. | |
Rendez: Sie sagen immer, Sie würden das Ganze mit der Bürgergenossenschaft | |
ökologisch umbauen. Sagen Sie doch mal konkret: An welcher Stelle möchten | |
Sie das Netz wie anders gestalten? Wo ist das Netz nicht fit für die | |
Energiewende? Wo leben wir hinter dem Mond? | |
Neumann-Cosel: Ich habe nie behauptet, dass Sie hinter dem Mond leben. | |
Viele der Investitionsentscheidungen, die Sie treffen, sind sicher richtig. | |
Aber es gibt zwei grundsätzliche Fragen: Was geschieht mit dem Gewinn aus | |
dem Stromnetz? Und wie steht es um die grundsätzliche Ausrichtung des | |
Betreibers? | |
Der Gewinn der für das Stromnetz zuständigen Vattenfall-Tochter lag | |
zwischen 2007 und 2011 bei durchschnittlich 28 Millionen Euro pro Jahr. | |
Neumann-Cosel: Da ist das offizielle Ergebnis, wir wissen aber zum Beispiel | |
gar nicht, was die am Stromnetz ebenfalls tätige Servicegesellschaft an | |
Gewinn macht, das bleibt auch bei diesem ansonsten sehr transparenten | |
Netzbetreiber im Verborgenen. Es gibt da in den Bilanzen sehr interessante | |
Zahlen, Herr Rendez, riesige Rückstellungen im vergangenen Jahr, die es in | |
den Jahren zuvor nicht gegeben hat. Da drängt sich jemandem, der diese | |
Bilanzen nicht so gut von innen kennt wie Sie, der Verdacht auf, es sind | |
größere Gewinne da als das, was am Ende im offiziellen Ergebnis steht. Doch | |
die Frage ist nicht nur, wie hoch der tatsächliche Gewinn ist, sondern | |
auch, was man am Ende damit tut. | |
Machen Sie einen Vorschlag. | |
Neumann-Cosel: Es spricht nichts dagegen, einen Teil in einen | |
gemeinnützigen Fonds zu investieren. Damit könnte man nachhaltige | |
Stromerzeugung, aber auch Energiespar- und Gebäudesanierungsprogramme | |
finanzieren. Und dann geht es eben um die grundsätzliche Ausrichtung des | |
Stromnetzbetreibers. Natürlich halten Sie sich an die gesetzlichen Regeln, | |
Herr Rendez. Aber was machen wir, wenn die sich ändern, wenn der | |
Einspeisevorrang für die Erneuerbaren wegfällt? Schauen Sie sich doch an, | |
welche Debatte wir gerade über das Erneuerbare-Energien-Gesetz führen! | |
Rendez: Dann wird es ein anderes Gesetz geben, das genau festlegt, wie ein | |
Netzbetreiber das umzusetzen hat. Das können wir nicht beeinflussen, da | |
gibt die Bundespolitik vor, in welchen großen Leitlinien wir uns zu bewegen | |
haben. Da hat kein Netzbetreiber Gestaltungsspielraum. | |
Neumann-Cosel: Aber es ist in solch einem Fall umso wichtiger, dass wir | |
einen Netzbetreiber haben, der sich nicht nur an die gesetzlichen | |
Regelungen hält, sondern unabhängig von diesen konsequent hinter der | |
Energiewende steht. | |
Rendez: Das ist ein reguliertes Geschäft, wir müssen uns an die geltenden | |
Regeln halten. Wenn wir wie jetzt die Vorgabe haben, die Energiewende | |
umzusetzen, dann setzen wir das um. Dann schließen wir jeden, ob | |
Kraftwerksbetreiber, privater Besitzer einer Wärmepumpe oder | |
genossenschaftlicher Windpark, diskriminierungsfrei an. Erregten wir nur | |
den Hauch eines Verdachts, wir würden eine Energiequelle bevorzugen, dann | |
würde uns die Bundesnetzagentur sofort die Grenzen aufzeigen, das kann die | |
sehr gut. | |
Neumann-Cosel: Aber trotzdem können Sie mir doch nicht erzählen, dass es in | |
Ihrem Mutterkonzern nicht eine gewisse energiepolitische Ausrichtung gibt. | |
Vattenfall hat Tochtergesellschaften, die nach wie vor Braunkohletagebaue | |
betreiben und Strom in Kohlekraftwerken, zum Teil in Atomkraftwerken | |
produzieren sowie vertreiben. Das ist das Problem. So lange wir einen | |
Stromnetzbetreiber haben, der nicht hinter der Energiewende steht, bedeuten | |
gesetzliche Rahmenbedingungen, die sich ändern, eine riesige Gefahr. | |
Warum schmieden Sie nicht beide eine Allianz des wechselseitigen | |
energiepolitischen Lernens, um das Stromnetz in Berlin zu betreiben? | |
Rendez: Wir als Vattenfall haben doch gezeigt, dass wir durchaus flexibel | |
sind. In Hamburg sind wir eine Partnerschaft mit der Stadt eingegangen, | |
diese hat sich sowohl an der Wärme- als auch an der Stromversorgung mit | |
25,1 Prozent beteiligt, aber im Aufsichtsrat sitzen genauso viele Vertreter | |
von Vattenfall wie von der Stadt. Und beide Seiten stimmen alle | |
Investitionen einvernehmlich ab. Doch zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens in | |
Berlin dürfen wir gar keine Allianzen schmieden, Kaffeesatzleserei macht | |
also jetzt keinen Sinn. | |
Neumann-Cosel: Wir wollen die Energiewende voran bringen, an dieser einen | |
Stelle sind wir nicht flexibel. Und da drängt sich Vattenfall mit seinem | |
Erzeugungs- und Kraftwerksportfolio als Partner nicht auf. Wir brauchen | |
nicht nur einen neutralen Netzbetreiber, sondern einen, der konsequent | |
hinter der Energiewende steht. | |
24 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Puschner | |
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