# taz.de -- Feministischer und religiöser Roman: Ein Zimmer für zehn Blowjobs | |
> Saphia Azzeddines Roman „Zorngebete“ ist eine schmutzige | |
> Befreiungsgeschichte aus Marokko. Und nebenbei feministisch. | |
Bild: Manchmal ist das Glück ein Granatapfeljoghurt. | |
Das Schönste, woran Jbara denken kann, ist ein süßer rosa Trinkjoghurt. | |
Selbst wenn Miloud, der Hirte, sie vögelt, denkt sie an den Joghurt. „Er | |
dringt in mich ein, und ich denke nur an meinen Raïbi Jamila, einen | |
köstlichen Granatapfeljoghurt, den man von unten trinkt durch ein kleines | |
Loch, das man in den Becher bohrt.“ | |
Jbara ist die Erzählerin in Saphia Azzeddines Roman „Zorngebete“, sie lebt | |
mit ihrer Familie in einem Ziegenlederzelt in einem kleinen marokkanischen | |
Dorf und findet ihr Leben scheiße. „Ich werde keine Poesie hinlegen, wo | |
keine ist. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich arm bin. Das Elend stinkt | |
nach Arsch.“ | |
„Zorngebete“ ist explizit und vulgär, aber auch wütend und politisch. | |
Jbara fragt sich, wo Allah ist. Wenn sie betet, bedankt sie sich kurz für | |
alles, was ihr einfällt, und beginnt dann mit ihren Vorwürfen. Wie Er sich | |
das gedacht hat, sie in diesem Dorf leben zu lassen in dieser elenden | |
Armut. Sie prostituiert sich, obwohl sie weiß, dass es „haram“ – Sünde … | |
ist, für Schokoladenkekse und Joghurt. | |
Als sie schwanger wird, verstößt die Familie sie. Sie geht in die nächste | |
Stadt, bekommt für einen Blowjob eine Putzstelle im Hähnchengrill am | |
Bahnhof. Für weitere zehn Blowjobs im Monat gibt es ein Zimmer dazu. Ihr | |
Baby bekommt sie auf der Straße und lässt es liegen. Sie weiß nicht mal, ob | |
es ein Junge oder ein Mädchen ist. | |
## „Allah, Du bist der Einzige, der mir nie widerspricht“ | |
Bald bekommt sie eine Stelle als Dienstmädchen in einer Villa angeboten. | |
Während Jbara das Geschirr spült, vergewaltigt der Hausherr sie von hinten, | |
sie lässt die Spülhandschuhe an und zerbricht danach absichtlich zwei | |
Gläser. Es ist das erste Mal, dass der Raïbi Jamila nicht mehr hilft. Aber | |
sie bleibt, wird noch öfter vergewaltigt, spuckt ins Essen, wenn sie sauer | |
ist, und schickt Geld an ihre Familie. Und sie sagt Allah Bescheid, wenn | |
sie sich wieder prostituieren geht. Er wird sie schon verstehen. „Ich | |
möchte Dir danken, Allah, denn Du bist der Einzige, der mir nie | |
widerspricht.“ | |
Mit der Zeit wird sie selbstbewusster, lernt, sich hübsch zu machen, und | |
ist bald als gute Nutte bekannt, die Türsteher im Club begrüßen sie mit | |
Küsschen. „Das ist sozialer Aufstieg“, sagt sie. Sie gibt ihre Stelle als | |
Hausmädchen auf, wird Edelhure und nennt sich „Scheherazade“, statt den | |
einfachen Freiern kommen jetzt reiche Scheichs. Ihren Raïbi Jamila trinkt | |
sie nun aus Kristallgläsern. Bis hierhin liest sich „Zorngebete“ wie ein | |
schmutziges Märchen, eine Befreiungsgeschichte. | |
Bis „Scheherazade“ wegen illegaler Prostitution ins Gefängnis kommt, für | |
drei Jahre. Wieder Armut, wieder Elend, wieder Gewalt. Sie ist wütend auf | |
den Scheich, wünscht ihm „eitrige Ekzeme an seinem Schwanz und Aids im | |
Herzen“. | |
Als sie entlassen wird, fährt sie in eine neue Stadt, geht in die Moschee | |
und betet. Sie fragt sich, warum der Imam immer sagt „Sagt euren Frauen …�… | |
wenn er über die Pflichten der Frauen spricht. Warum spricht er die Frauen | |
nicht direkt an? Sie sind doch anwesend. | |
## Vom Schleier genervt | |
Scheherazade, die früher Jbara war, wird unter dem Namen Khadija die dritte | |
Frau des Imams, versteht sich mit ihm ganz okay, lernt heimlich lesen und | |
schreiben. Sie muss sich verschleiern, ist genervt davon. Es ist ein | |
zerbrechliches Glück, das weiß sie jetzt. | |
Azzedines Erzählerin ist von Anfang an Feministin, auch wenn sie es nicht | |
weiß und es nicht so nennen würde. Sie ist wütend auf das Patriarchat, sie | |
hinterfragt seine Ungerechtigkeiten und die Gewalt, die ihr widerfährt, | |
aber sie spielt auch mit, weil sie weiß, dass das Mitspielen ihre einzige | |
Chance ist. Als ihr einmal ein Mann einen Gefallen tut, ohne Sex dafür zu | |
wollen, ist sie völlig verblüfft. | |
Die Autorin Saphia Azzedine wurde selbst 1979 in Marokko geboren, kam mit | |
neun Jahren nach Frankreich. „Zorngebete“ ist ein sehr feministisches und | |
sehr religiöses Buch, aber beides eher nebenbei. Vor allem ist es drastisch | |
und sehr hart. Wenn Jbara von ihrem Leben erzählt, ist es erschreckend und | |
manchmal tragikomisch. | |
Am Ende sagt sie zu Allah: „Gut und Böse gibt es nicht. Dafür bist Du viel | |
zu scharfsinnig.“ | |
Und sie selbst ist auch zu scharfsinnig, um die Dinge zu vereinfachen. | |
Saphia Azzeddine: „Zorngebete“. Aus dem Französischen von Sabine Heymann. | |
Wagenbach, Berlin 2013, 128 Seiten, 18,95 Euro | |
4 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
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