# taz.de -- Direkte Demokratie: Der S-Bahn-Tisch ist abgestürzt | |
> Über die S-Bahn darf es keinen Volksentscheid geben – weil das Land | |
> Berlin gar nicht allein zuständig ist. So hat es jetzt das | |
> Verfassungsgericht entschieden. | |
Bild: Der Höhenflug der S-Bahn-Rebellen ist vorbei. | |
Die S-Bahn ist bei Volksentscheiden tabu: Das Landesverfassungsgericht hat | |
am Montag entschieden, dass es keine landesweite Abstimmung über die | |
Forderungen des S-Bahn-Tischs geben wird. Die Richter sagten zur | |
Begründung, dass für Angelegenheiten der S-Bahn die Länder Berlin und | |
Brandenburg gemeinsam zuständig sind. Das eine Land dürfe keine einseitigen | |
Entscheidungen treffen, ohne das andere Land einzubeziehen. | |
Der Nahverkehr ist eine staatliche Aufgabe, für die die Länder zuständig | |
sind. Berlin und Brandenburg bezahlen die Deutsche Bahn AG dafür, über ihre | |
Tochtergesellschaft diese Aufgabe zu erfüllen und den S-Bahn-Verkehr in der | |
Region anzubieten. Das Netz von 331 Kilometern liegt zu 77 Prozent in | |
Berlin, der Rest in Brandenburg. | |
Im März 2011 hatte sich als Reaktion auf das Chaos bei der S-Bahn der | |
S-Bahn-Tisch gegründet – ein Zusammenschluss von Gruppen wie Pro Bahn, | |
Linkspartei, Attac, Jusos und Piraten. Die Gruppe begann damit, | |
Unterschriften für ihre Forderungen zu sammeln: die Veröffentlichung des | |
Vertrags zwischen der S-Bahn GmbH und den Ländern, Aufsichtspersonal auf | |
allen Bahnhöfen, Fahrkartenschalter auf allen Umsteigebahnhöfen, | |
Aufstockung des Wagenparks um 20 Prozent, Strafzahlungen beim Ausfall von | |
Aufzügen und Tariflohn für alle Beschäftigten. | |
Bis Dezember 2011 hatten über 30.000 Berliner das Volksbegehren | |
unterstützt, damit nahm es die erste Hürde. Der Senat hielt die Forderungen | |
jedoch für verfassungswidrig und legte sie im Februar 2012 dem Gericht vor, | |
das nun, fünfzehn Monate später, sein Urteil fällte. | |
## Entscheidend: Bundestreue | |
Die Richter beziehen sich auf den Grundsatz der „Bundestreue“. Dieser halte | |
„die Egoismen des Bundes und der Länder in Grenzen, soweit sie kraft der | |
ihnen eingeräumten Kompetenzen die Freiheit und Möglichkeit hätten, | |
’rücksichtslos‘ ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen und nur ihren | |
eigenen Interessen zu folgen“. Sprich: Nutzt eure Kompetenzen nicht auf dem | |
Rücken der anderen. | |
Die Richter stoßen sich nun daran, dass der Volksentscheid die | |
Veröffentlichung des Vertrags vorsieht, den die Länder Berlin und | |
Brandenburg mit der S-Bahn geschlossen haben: „Über eine Offenlegung | |
solcher Vereinbarungen darf das Land Berlin nicht einseitig verbindlich | |
durch Landesgesetz, sondern nur in Abstimmung mit dem Land Brandenburg | |
entscheiden.“ | |
Das gilt auch für die im Gesetzentwurf geforderte Qualität des | |
S-Bahn-Verkehrs. Im Urteil heißt es: „Mit dem geplanten Gesetz würde das | |
Land Berlin trotz des bestehenden Verkehrsverbundes einseitig | |
Mindestanforderungen für den Inhalt von Verkehrsverträgen vorschreiben, | |
welche auch die Erbringung von Verkehrsleistungen sowie die personelle und | |
sachliche Ausstattung der Bahnhöfe in Brandenburg betreffen, ohne dem Land | |
Brandenburg ein Mitentscheidungsrecht einzuräumen.“ | |
Faktisch sind damit Volksentscheide bei allen Themen unmöglich, für die das | |
Land Berlin gemeinsam mit Brandenburg zuständig ist. Dazu zählt zum | |
Beispiel auch der neue Flughafen in Schönefeld. | |
## Politisch weitermachen | |
„Wir werden jetzt versuchen, auf politischer Ebene weiterzumachen“, sagte | |
Rouzbeh Taheri vom S-Bahn-Tisch nach der Verkündung. Er forderte den Senat | |
auf, die Forderungen des Volksbegehrens in Verhandlungen mit Brandenburg | |
durchzusetzen. | |
Der Verein Mehr Demokratie kritisierte, dass das Gericht über ein Jahr für | |
die Urteilsfindung gebraucht hat. „Leider gibt es keinerlei gesetzliche | |
Regelungen dazu, wie schnell eine Entscheidung gefällt werden muss“, heißt | |
es in einer Mitteilung. Der Verein fordert eine Sechsmonatsfrist für | |
Urteile über Volksentscheide. Ein Gerichtssprecher sagte, die Dauer des | |
Verfahrens liege daran, dass 250 Klagen pro Jahr eingingen. Es sei eines | |
der am häufigsten angerufenen Landesverfassungsgerichte. Außerdem müsse | |
allen Betroffenen die Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden. | |
13 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
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