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# taz.de -- Nachruf auf Tim Stüttgen: Immer fordernd, immer rastlos
> Er war mehr als ein Theoretiker: Der Popautor und taz-Mitarbeiter Tim
> Stüttgen ist tot. Zuletzt hatte er ein Buch über den Jazzmusiker Sun Ra
> verfasst.
Bild: Tim Stüttgen, 1977-2013.
Verließ man an Tim Stüttgens Seite eine Buchhandlung, konnte es passieren,
dass er draußen die Einkaufstüten tauschen wollte. Weil ihn die anderen
Bücher plötzlich genauso interessierten wie die eigenen. Wir haben leider
nie spontan getauscht, ich hätte es sicher nicht bereut.
Tim war zu unruhig, um Wissen bloß anzuhäufen, also machte er es produktiv.
Er hätte auf die ihm eigene flammende Art und Weise erklärt, welche Ideen
die getauschten Bücher in ihm hervorriefen. Nach längerer Pause – auch
bedingt durch die Arbeit an einem Buch über den Einfluss der Sklaverei auf
Sun Ras Afrofuturismus –, hatte er zuletzt wieder journalistisch
geschrieben: über Pop, über Queer Theory.
Es gab so viele Dinge, für die er brannte. Nun werden diese Texte posthum
veröffentlicht werden müssen. Es ist immer noch unfassbar, dass er sie
nicht mehr mit uns diskutieren kann. Tim ist am Sonntag in Berlin
gestorben. Er war jemand, der zwischen Euphorie über Pop und Theorie und
den Zweifeln daran schwankte und dem man genau deswegen zuhörte.
Nicht nur deshalb hinterlässt er so viele traurige und schockierte
FreundInnen. Tim war nicht bloß Theoretiker, sondern ein solidarischer
Freund, der gegen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung kämpfte, immer
mit einer charismatischen Ruhelosigkeit, die über seinen plötzlichen Tod
hinaus nachwirkt.
Ich kannte Tim, der 1977 in Solingen geboren wurde, aus dem Umfeld der
Kölner Spex. Er war dort eine Art Schattenredakteur. Leidenschaftlich
stritt er ohne falsche Hemmungen für und gegen bestimmte Heftinhalte.
## Von Gangsta-Rap bis Gender-Studies
Tim hatte Filmwissenschaft studiert, aber er schrieb über alles, was ihn
interessierte: asiatische Filme und Gangsta-Rap, Neonationalismus und
Gender Studies. Schon bald waren seine Stimme und sein Stil aus der Spex
nicht mehr wegzudenken, auch in der Jungle World, der Testcard, der taz und
in Buchbeiträgen hinterließen sie ihre Spuren.
Tim wollte nicht unbedingt „Journalist“ sein, es war ihm schlichtweg ein
Bedürfnis, sich in einem Kontext zu bewegen, in dem Kritik und Widerstand
nach seinen Erwartungen verhandelt wurden. Ein Umfeld, in dem Leute
Popkultur genauso ernst nahmen und hinterfragten wie er, der mit
Post-Hardcore und Skateboards sozialisiert wurde.
Tim blieb beim Schreiben immer fordernd. Und wenn die Verhältnisse ihn zu
überfordern schienen, hat er aus diesen Krisen immer wieder neue Energie
geschöpft.
## Der Praktiker
Damit hat er anderen Mut gemacht. Ging es um Prekarität im Leben und in der
Arbeit, wurde Tim zum Praktiker. Seine Performances zeichneten das Modell
eines Lebens abseits von Redaktionen und Instituten. Er interviewte
Sexarbeiterinnen, suchte die feministische Perspektive. Er fragte, wie man
sich mit dem eigenen Körper gegen die darin eingeschriebenen
Herrschaftsverhältnisse – wenn möglich kollektiv – wehren könnte.
Aus Tim wurde Timi Mei Monigatti. 2006 organisierte er in Berlin das „Post
Porn Politics“-Symposium, auf dem KünstlerInnen wie Bruce LaBruce, Beatriz
Preciado und Annie Sprinkle über Lust jenseits von genormten Körpern und
starrem Begehren sprachen. Ein Ereignis, auf das queere Communities,
akademische Milieus und Kunstszenen ohne seinen Enthusiasmus wohl noch
lange hätten warten müssen.
## Rastlos und neugierig
Tim blieb rastlos, neugierig. Er ging an die Hochschule der Bildenden
Künste nach Hamburg, forschte an der Maastrichter Jan van Eyck Akademie. In
der Kreuzberger Wohnung wuchsen die Bücherberge. Kam er mal wieder zu
Besuch, hinterließ er als Gastgeschenk und Empfehlung dutzende Filme auf
der Festplatte.
Aber er hat uns so viel mehr hinterlassen. 2009 erschien im Verlag B-Books,
in dessen Kollektiv er mitwirkte, das „Post/Porn/Politics“-Buch. Zeugnis
eines Spektakels, ebenso überschäumend und interdisziplinär, faszinierend
und furchtlos wie sein Initiator. Und doch nur eines seiner zahllosen
Vermächtnisse.
Tim, wir vermissen dich!
14 May 2013
## AUTOREN
Wolfgang Frömberg
## TAGS
Pop
spex
Journalist
Nachruf
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