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# taz.de -- Vulkanquellen in Japan: Die heißeste Versuchung
> Japaner lieben es, im mineralischen Bad abzutauchen. Das ist Tradition,
> gesund und gemeinschaftsfördernd.
Bild: Entspannung im heißen Bad.
Baden ist in Japan ein Grundbedürfnis. Ein Ritual, das es nach festgelegtem
Ablauf zu zelebrieren gilt. Jedes Haus verfügt über ein ofuro, ein von der
Toilette getrenntes Badezimmer. Hier kommen gestresste Japaner am Ende des
Tages zur Ruhe.
Das Bad ist immer schlicht, aber ästhetisch eingerichtet, ein
Ikebana-Arrangement oder Zierfliesen ziehen den Blick auf sich, ohne vom
Wesentlichen abzulenken: der rituell anmutenden Säuberung von Körper und,
so die japanische Philosophie, damit auch des Geistes.
Bevor sich der Badegast in die sehr hohe, mit sehr heißem und sehr klarem
Wasser gefüllte Badewanne setzt, schrubbt er sich so lange sauber, bis der
Körper zartrosa leuchtet. Meist hat er dazu sehr viel Platz, denn das ganze
Bad ist, mit Ausnahme der Wanne, zur Säuberung gedacht.
Dazu nimmt man einen kleinen Plastikhocker, Schwamm und Seife und übergießt
sich nach dem Abschrubben im Sitzen mit warmem Wasser aus bereitstehenden
Holzzubern. In vielen Haushalten gibt es dafür mittlerweile auch
Duscharmaturen.
## Verspannungen lösen sich garantiert
Der Boden ist aus Stein oder Fliesen, bevorzugt in Grau oder Erdfarben, zu
einer Senke mit Abfluss zulaufend und rau genug, um nicht auszurutschen.
Erst nach der ausgiebigen Säuberung lässt sich der Badegast in die
randvolle Wanne gleiten, deren Wassertemperatur durch automatische
Zuflussregelung gleich hoch bleibt: rund 50 Grad Celsius.
Das ist heiß. So heiß, dass es sich im ersten Moment kalt anfühlt. Doch
bereits nach einer Minute machen die Glieder „ahhh“, lösen sich
Muskelverspannungen, springen verkantete Wirbel zurück an ihren Platz.
Badesalz oder gar Schaum ist verpönt, geradezu undenkbar im puristischen
Japan. Nach dem Bad begeben sich der Gastgeber und dessen Familie, nach
einer streng hierarchischen Reihenfolge, ins ofuro, und zwar in dasselbe
Wasser.
## Nackt und glänzend
Aus der Zeit, als nicht jede Familie über ein eigenes ofuro verfügte,
stammen die öffentlichen Bäder, sentô, die es bis heute gibt. Auch dort
waschen sich die Japaner erst einmal gründlich sauber. Männer und Frauen,
voneinander getrennt, gleiten dann in den heißen Gemeinschaftswhirlpool,
nackt und glänzend, nur ein kleines Handtuch in Waschlappengröße auf dem
Kopf, das tenugui. Es dient zum Schweißabwischen, was paradox erscheint
angesichts der Örtlichkeit, doch tatsächlich schwitzt man im japanischen
Bad aufgrund der hohen Wasser- und Lufttemperatur permanent. Außerdem dient
es zur diskreten Bedeckung, wenn man aus dem Wasser steigt.
Moderne sentô haben zusätzlich Saunen, Massagen und Ruheräume im Angebot.
Für viele Japaner ist der Besuch im sentô sozial wichtig. Sie glauben,
durch die körperliche Nähe auch eine emotionale Nähe zu anderen Menschen
herstellen zu können, und haben dafür ein Wort geprägt: „skinship“.
Die Luxusvariante des sentô ist das onsen. Die zahlreichen onsen des Landes
erfüllen selbst die Ansprüche verwöhnter westlicher Spa-Besucher. Ein onsen
ist eine heiße Quelle vulkanischen Ursprungs, doch die Japaner verstehen
darunter meist auch die angeschlossenen Wellnessbereiche und Herbergen. Das
Wasser der Quellen ist besonders reich an Mineralien, fördert angeblich die
Gesundheit und hilft gegen diverse Leiden.
## Ein eingeübtes Ritual
Am Eingang erhält der Gast einen Bademantel, Handtücher und natürlich das
obligatorische Minihandtuch, das tenugui. Die Zimmer sind oft traditionell
japanisch eingerichtet, mit Tatamiboden und Futon zum Schlafen. Im heute
meist nach Geschlechtern getrennten Badebereich bietet sich dann das
bereits vom ofuro und sentô vertraute Bild: Japaner, die sich auf einem
Hocker sitzend rituell und hingebungsvoll einseifen, abschrubben und
abduschen. Während des Duschvorgangs vom Plastikhöckerchen aufzustehen ist
übrigens verpönt, Körperrasur hingegen gängig.
Die meisten Gäste begeben sich, frisch gereinigt, das tenugui vor den
Intimbereich haltend, schnurstracks zur heißen Quelle. Dann gleiten sie ins
heiße, mineralhaltige Wasser. Die Durchblutung wird binnen Sekunden
angeregt, und der ganze Körper entspannt sich. Stille. Entspannung.
Spätestens wenn die Haut an den Zehen schrumpelig wird, ist es Zeit
hinauszugehen. Gehüllt in einen warmen Bademantel oder den landestypischen
yukata suchen jetzt vor allem männliche Besucher einen Getränkeautomaten
auf und ziehen sich einen kalten Milchkaffee. Weshalb, das bleibt eines der
vielen Rätsel, die dieses Land aufgibt. Doch man muss nicht alle Rituale
verstehen. Der Milchkaffee schmeckt zumindest erstaunlich gut nach mehreren
Badegängen.
## Auch Affen baden gern
Selbst die Affen in Japan sind auf den Geschmack gekommen. Onsen-Gäste in
der schneereichen Region rund um die Stadt Nagano bekommen manchmal Besuch
von Rotgesichtsmakaken, die sich den langen Winter erträglicher machen mit
einem Bad in den heißen Quellen. Stundenlang sitzen sie in dem heißen
Wasser, mit ihren roten Gesichtern einträchtig neben den rotgesichtigen
Menschen. Ein Bild für die Götter, die diese heißen Vulkanquellen
geschaffen haben.
Übrigens: Die Gerüchte von japanischen Touristen, die regelmäßig deutsche
Hotelzimmer unter Wasser setzen, sind wahr. Japaner, die zum ersten Mal in
Europa sind, wissen einfach nicht, was sie mit den kleinen Duschwannen in
den Nasszellen anfangen sollen. Dass der in Japan übliche Bodenabfluss in
deutschen Hotels fehlt, können sie ja nicht ahnen. Wo es doch schon so
peinlich ist, dass die Toilette im gleichen Raum steht wie die Badewanne.
25 May 2013
## AUTOREN
Simone Lankhorst
## TAGS
Japan
Reiseland Japan
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