# taz.de -- Live Art Festival: Verkomplizierte Verhältnisse | |
> Zur Kritik der politischen Zoologie: In Hamburg widmen sich Tanz-, | |
> Performance- und Aktionskünstler dem Verhältnis von Mensch und Tier. | |
Bild: Zoo für menschliche Randgruppen: Performance "Human Zoo" des Kollektivs … | |
HAMBURG taz | Gar nicht lang her, da war es ein Biotop, in dem sich nur die | |
üblichen Verdächtigen tummelten: Esoteriker, Tierrechtler und -befreier. | |
Seit rund zwanzig Jahren aber spannt sich vor allem im angloamerikanischen | |
Raum zwischen interdisziplinären Perspektiven wie Human-Animal Studies, | |
Animal Studies, Posthumanismus, Anthro- und Archäozoologie ein längst nicht | |
mehr so klar umrissenes Feld offener Fragen auf. Wer es beackert, streitet | |
immer erfolgreicher um akademische Anerkennung. Schon hat die | |
Umwelthistorikerin Harriet Ritvo den nächsten sozial-, geistes- und | |
kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel ausgemacht: den „Animal Turn“. | |
Auch hierzulande wird die Debatte um den historischen Wandel der | |
Mensch-Tier-Verhältnisse, die Analyse menschlich-tierischer Interaktionen | |
oder die Dekonstruktion des animalischen Anderen nun immer ernster | |
genommen. Seit Kurzem steht sie auch hier auf – noch ein wenig wackligen – | |
akademischen Beinen. Aber spätestens seit Karen Duves „Anständig essen“ u… | |
Jonathan Safran Foers „Tiere essen“ darf man auch im Feuilleton ohne | |
Spinner-Verdacht Kritik der politischen Zoologie betreiben. | |
Dabei geht die Debatte weit über die Problematisierung industrieller | |
Fleischproduktion hinaus. Historisch untersucht man den Prozess der | |
Domestizierung, die Ausstellung von Tieren in Menagerien, Zoos und | |
Zirkussen, die Tierprozesse des Mittelalters, Bestiarien oder die Rolle von | |
Hunden in Gewaltherrschaftssystemen. Man fragt nach Tierbildern in der | |
Popkultur, nach der Migration von Spezies und natürlich nach der Liebe zum | |
Haustier. | |
Ein komplizierter Diskurs, der ganz bewusst die Verhältnisse | |
verkomplizieren will. Und durchaus geeignet ist, sie zum Tanzen zu bringen. | |
Zunächst mal ganz buchstäblich. Längst hält der Animal Turn auch in | |
künstlerische Produktionen Einzug. Davon kann man sich nun beim fünften | |
Live Art Festival auf Kampnagel überzeugen. Zehn Tage lang widmet sich das | |
Festival für aktuelle Positionen in Tanz, Installation, Performance- und | |
Aktionskunst unter dem Titel „Zoo 3000 – Occupy Species“ exklusiv dem | |
Verhältnis von Tier und Mensch. Und will dabei ausdrücklich machtpolitische | |
Verhältnisse von Klassen, Ethnizität, Geschlechtern und Habitaten neu | |
verhandeln. | |
Sehen kann man da etwa den „Human Zoo“ des Wiener Performancekollektivs | |
God’s Entertainment, in dem menschliche Randgruppen ausgestellt werden. Die | |
zoopolitische These dabei: Kontroll- und Ordnungsmechanismen erfahren einen | |
Transfer von Tier zu Mensch, aus Tauben-Spikes werden Schalensitze, auf | |
denen Obdachlose nicht mehr liegen können. Die Inszenierung von Klischees | |
soll den Kreislauf der Stereotype durchbrechen. Zu Gast ist auch das | |
belgische „Zoological Institute for recently extinct species“ des Künstlers | |
Jozef Wouters, das ausgestorbene Spezies ausstellt und damit | |
Konservierungs-, Klassifizierungs- und Darstellungsmodalitäten verschieben | |
will. | |
Der belgische Regisseur David Weber-Krebs und der Theaterwissenschaftler | |
und Dramaturg Maximilian Haas wiederum lassen ein Tier auf der Bühne, nun | |
ja: wirken. Vor dem Hintergrund der politischen Ökologie des französischen | |
Soziologen Bruno Latour fragt die Performance „Balthazar“ für einen Esel | |
und sechs menschliche Mitperformer nach dem Zusammenhang dreier Phänomene | |
des Passiven: des Dings, des Tiers und menschlicher Formen des | |
Nicht(s)tuns. Die Taktiken des Abends bestimmt dabei das Tier, das hier aus | |
seiner theatralen Rolle als Dekoration oder domestizierter Diener befreit | |
und ins Zentrum des Geschehens gestellt wird. | |
Für Freitag und Samstag nächster Woche hat der Wiener Philosoph und | |
Kunsttheoretiker Fahim Amir schließlich internationale DenkerInnen zur | |
„Explodierten Universität“ geladen. Der australische Theoretiker Dinesh | |
Wadiwel fragt dort etwa nach Tier-Souveränitäten, Amir selbst geht der | |
These von Tieren als Teil der Arbeiterklasse nach. | |
Weitere Themenblöcke setzen sich mit dem Zusammenhang von Tieren als | |
„Lerntafeln“ und zugleich Auslöser von Affekten, mit dem Verhältnis von | |
Tier- und Queer-Theorie oder den Möglichkeiten einer | |
Transspezies-Solidarität auseinander. | |
Denn der Höhepunkt des Festivals ist im Anschluss eine „Lange Nacht der | |
Befreiung“, in der Hamburger Performance-Künstler nach einem Vortrag von | |
Daniel „Classless“ Kulla über „Rausch und Freiheit“ auf dem ganzen | |
Kampnagel-Gelände Arbeiten zum Thema Tier-Befreiung präsentieren. Um so die | |
Grenzen der herrschenden zoologischen Ordnung zu brechen und durch | |
performative Strategien zu ersetzen. | |
## ■ Mi, 5. 6. bis Sa, 15. 6., Kampnagel | |
2 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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Küssen | |
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