Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Suffragette Emily Wilding Davison: „Taten, nicht Worte!“
> Vor 100 Jahren gab Emily Wilding Davison ihr Leben für das
> Frauenstimmrecht. Sie kämpfte mit den Suffragetten. Die Verzweiflung
> trieb sie zur Militanz.
Bild: Zehn Jahre nach Emily Wilding Davisons Tod entstand diese dramatische Ill…
Am 4. Juni 1913 wurde das berühmte Pferderennen im englischen Epsom jäh
unterbrochen, als sich eine Unbekannte vor das Pferd Georgs V. warf. Von
den Hufschlägen des panischen Tieres schwer verletzt, starb die junge Frau
vier Tage später im Krankenhaus. Da wusste man in Großbritannien längst,
wer sie war: Emily Wilding Davison, Suffragette und Mitglied der Women’s
Social and Political Union (WSPU), die das Land mit ihrer Forderung nach
dem Frauenstimmrecht seit Jahren in Atem hielt.
Nachdem auf der Insel Jahrzehntelang ergebnislos über das Frauenstimmrecht
gestritten worden war und alle Wahlrechtsreformen einzig weitere Männer an
die Urnen gebracht hatten, hatte Emmeline Pankhurst zusammen mit ihren
Töchtern Christabel und Sylvia am 10. Oktober 1903 in Manchester die WSPU
gegründet und damit den Übergang vom Lobbyismus zur bewussten
Regelüberschreitung eingeleitet. Statt Kooperation hieß es nun
Konfrontation.
Die Regierung zeigte sich davon wenig beeindruckt. Obwohl die Suffragetten
die Liberalen als vermeintlich Verbündete stets unterstützt hatten,
bestimmte die Partei im Frühjahr 1908 mit Herbert Henry Asquith einen
erklärten Gegner des Frauenstimmrechts zum Premierminister. Dieser griff
hart durch und ließ Demonstrationen der Suffragetten durch berittene
Polizei auseinandertreiben.
Frauen in der Politik, welche ein Unsinn. Frauen waren für den privaten
Bereich zuständig, während Männer den öffentlichen, politischen Bereich
übernommen hatten. Die Idee des Frauenstimmrechts stellte das Weltbild
einer ganzen Gesellschaft auf den Kopf und widersprach bis ins Letzte deren
Philosophie von den zwei getrennten Sphären. Bedeutende Wissenschaftler
untermauerten die unumstößlich Tatsache, dass Frauen dümmer seien als
Männer und statt von ihrem Gehirn von ihrer Gebärmutter bestimmt.
## Hungerstreik im Gefängnis
Mit Beginn von Asquith’ Amtszeit füllten sich die Zellen des
Frauengefängnisses Holloway. Da die Inhaftierten zu ihrer Empörung nicht
den Status von politischen Gefangenen erhielten, sondern wie gewöhnliche
Kriminelle behandelt wurden, traten im Juni 1909 einige Frauen in den
Hungerstreik. Bald war ihre Gesundheit derart angegriffen, dass sie
entlassen wurden.
Der Hungerstreik wurde nun offizielle Politik der WSPU, die so die
vorzeitige Haftentlassung ihrer Mitglieder erzwang. Um die Frauen im
Gefängnis zu halten, beschloss die Regierung deren Zwangsernährung. Mehr
als tausend Frauen wurden in den nächsten Jahren fingerdicke, meist nicht
sterile Schläuche gewaltsam durch diverse Körperöffnungen geschoben. Im
offiziellen Sprachgebrauch hieß diese Tortur „Krankenhausbehandlung“.
Aufhalten ließen sich die Suffragetten davon nicht. Im Oktober 1909
attackierte eine Suffragette auf dem Bahnhof in Bristol Winston Churchill
mit einer Hundepeitsche. In der Royal Albert Hall sprangen Frauen während
einer Parteiversammlung der Liberalen aus der Orgel. Suffragetten in
Gymnastikanzügen kletterten auf Dächer, um Reden zu halten, und in
Cambridge wurde einem Politiker eine tote Katze ins Gesicht geworfen. Dazu
fanden immer wieder große Paraden statt, die von einer weißgekleideten
Suffragette hoch zu Ross angeführt wurden.
## Agitation im Gerichtssaal
Nachdem die Regierung einen Gesetzesentwurf zum Wahlrecht für Männer
ankündigte, beschloss die WSPU im Februar 1912 die gezielte Zerstörung von
Eigentum. Kurz darauf warfen Hunderte eleganter Damen in der Oxford Street
in London die Schaufensterscheiben ein. Ende März waren mehr als
zweihundert Suffragetten in Haft. Völlig überforderte Richter sahen sich
einer Tätergruppe gegenüber, die keinerlei Bedauern zum Ausdruck brachte,
sondern stattdessen die Gerichtssäle für politische Agitation nutzte.
Mehr als 425 Fehlalarme lösten die Suffragetten in den nächsten Monaten aus
und brachten die Feuerwehr der Insel schier zur Verzweiflung. Zwischen
London und Glasgow wurden die Telegraphen- und Telefonleitungen gekappt.
Briefkästen samt Inhalt wurden ein Raub der Flammen. In den vornehmen
Londoner Clubs gingen die Fensterscheiben zu Bruch. Der Sitz des
Erzbischofs von Canterbury wurde überfallen, die Bahnhöfe Birmingham,
Saunderton und Croxley Green flogen in die Luft, und in der Innenstadt von
Doncaster explodierten mehrere Bomben.
Als Antwort auf diese Welle der Gewalt verhaftete die Regierung Emmeline
Pankhurst. Vor Gericht weigerte sie sich beharrlich, Einsicht und Reue zu
zeigen: „Ich habe kein Schuldgefühl. Ich habe meine Pflicht getan. Ich sehe
in mir eine Kriegsgefangene.“ Daraufhin verurteilte man sie zu drei Jahren
Zuchthaus. Noch während des Prozesses verabschiedete das Parlament den
sogenannten „Cat and Mouse Act“, der vorsah, hungerstreikende Frauen auf
ärztlichen Rat hin zu entlassen, sie jedoch, sobald sie sich erholt hatten,
ohne Haftbefehl erneut zu inhaftieren.
Die Unwilligkeit der Regierung, die Suffragetten in den Gefängnissen
sterben zu lassen, war in erster Linie der Angst geschuldet, dass die
Frauen sich für jede Tote aus ihren Reihen mit einem Toten aus den Reihen
der Gegner rächen würden.
## Die erste Märtyrerin
Am 4. Juni 1913 erhielt die Bewegung mit Emily Wilding Davison ihre erste
Märtyrerin. Bereits 1906 war die am 11. Oktober 1872 geborene Emily der
WSPU beigetreten. Wie die meisten Suffragetten entstammte sie der
Oberschicht, war gebildet und hatte vergeblich versucht, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Schwierigkeiten, die ihr dabei
widerfahren waren, hatten dazu geführt, dass sie sich mit der Entrechtung
von Frauen auseinandersetzte. Im März 1909 wurde sie zum ersten Mal
verhaftet, nachdem sie versucht hatte, ins Unterhaus einzudringen, um den
Premierminister zu sprechen. Im Arrest zertrümmerte sie unter Absingen der
Nationalhymne ihre Zelle und schrieb ihren Wahlspruch an die Wand:
„Rebellion gegen Tyrannei ist Gehorsam gegenüber Gott.“
Nachdem sie im November 1911 aus Verärgerung über die Klassenjustiz in
England, die Suffragetten aus der Arbeiterklasse härter bestrafte als
Suffragetten der Ober- und Mittelschicht, einen Briefkasten in Brand
gesetzt hatte, erhielt sie eine sechsmonatige Freiheitsstrafe. In
Isolationshaft wurde sie trotz ihres erbitterten Widerstandes durch einen
Nasenschlauch zwangsernährt. Ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit mündeten
schließlich in dem Gedanken an ein Fanal.
Was, wenn eine Suffragette sterben würde? Würde der Zorn der Bevölkerung
die Regierung endlich zum Handeln zwingen? Als sich ihre Zellentür das
nächste Mal öffnete, lief sie hinaus und stürzte sich vom Balkon in die
Tiefe. Dabei verfing sie sich in den Netzen, die zwischen den Balkonen
gespannt waren. Nach ihrer Entlassung konkretisierte sich ihr Plan, zur
Märtyrerin der Sache zu werden, und gipfelte letztendlich in der Aktion in
Epsom, die sie endgültig zur Heldin der Bewegung machte.
Nach ihrem Tod nahm die Situation bürgerkriegsähnliche Ausmaße an. Bei
Versammlungen der Suffragetten kam es zu regelrechten Saalschlachten. Am
10. März 1914 attackierte eine Suffragette ein Gemälde von Velázquez in der
National Gallery mit einer Axt, woraufhin zahlreiche Museen Frauen den
Zutritt verweigerten. Eine Lösung des Problems schien in weiter Ferne.
Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges änderte sich alles. Die WSPU
stellte alle Aktionen ein und erklärte ihren Schulterschluss mit der
Regierung, die im Gegenzug alle inhaftierten Suffragetten freiließ. Die
Kriegsjahre führten zu einem Stimmungsumschwung, zu dem vor allem die
Agitation der Frauenstimmrechtsbewegung vor dem Krieg, verstärkt durch die
nationalistische Unterstützung der britischen Kriegspolitik durch viele
Frauenstimmrechtlerinnen sowie der millionenfachen Arbeitseinsatz von
Frauen während des Krieges beitrugen. Am 6. Februar 1918 erhielten alle
Frauen über 30 in Großbritannien das Recht zu wählen. 1928 wurden sie den
Männern beim Wahlrecht gleichgestellt.
Die Zeit der Suffragetten aber war vorbei. Die WSPU erwies sich als eine
Organisation auf Zeit. Gegründet zur Verwirklichung eines einzigen Zieles,
ohne Konzept für eine Nach-Frauenstimmrechts-Ära, formierte sie sich nach
dem Krieg nicht mehr neu. Ihre Mitglieder zerstoben in alle Winde. Keine
der Suffragetten gelangte jemals ins Parlament.
4 Jun 2013
## AUTOREN
Michaela Karl
## TAGS
Frauenbewegung
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.