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# taz.de -- Jugendabteiltung in der JVA Vechta: Vergitterte Fenster, geschützt…
> Die jungen Frauen, die in der "Wohngruppe" der Jugendabteilung der
> Justizvollzuganstalt Vechta einsitzen, leben freier zusammen, als sie es
> im geschlossenen Vollzug täten.
Bild: Wohngruppe hin, Einbauküche her: Es bleibt nun mal ein Gefängnis.
VECHTA taz | „Trautes Heim“, sagt Nicole (Name geändert), während sie auf
eine leuchtend blaue Tür zugeht. Ein wenig Bitterkeit hat sich in ihre
Stimme geschlichen, aber nur eine Spur. Die kamerabeäugte Pforte führt
durch eine stacheldrahtgekrönte Mauer, dahinter ragt ein trister
Backsteinbau mit vergitterten Fenstern auf. Hinter der blauen Tür wartet
kein Wohnzimmer, kein Balkon, auf den man sich noch setzen könnte an diesem
lauen Tag. Denn Nicole sitz im Gefängnis und ihre Zeit in der Außenwelt ist
für heute abgelaufen. Die Zeit, in der die 20-Jährige zusammen mit einer
Mitgefangenen eine Schule im Nachbarort besucht.
Durch die schwere Stahltür und einen tristen, von fensterlosen Mauern
umfassten Innenhof führt ihr Weg in die Wachstube. Über den Türsturz hat
jemand ein paar kleinformatige Handschellen genagelt. Könnte eine
Drohgebärde sein, vielleicht ist es auch nur ein Gag, der Außenstehenden
verschlossen bleibt. „Na, ihr Studenten!“: Mit einem lockeren Spruch
begrüßen die Vollzugsbeamten, von denen keiner uniformiert ist, die beiden
jungen Frauen, geben ihnen ihre Zellenschlüssel. Ganz recht, Schlüssel: In
dieser Abteilung der Justizvollzugsanstalt schließen die Inhaftierten ihre
Zellen selbst auf. Manchmal geben Mitgefangene ihre eigenen Schlüssel
vorübergehend in Nicoles Obhut, dann häufen sie sich auf dem kleinen Tisch
in ihrer Zelle.
## Kein gewöhnlicher Trakt
Ein ungewöhnlicher Anblick, aber es ist auch kein gewöhnlicher
Gefängnistrakt, in dem die junge Frau ihre Strafe absitzt. Er ist Teil der
Jugendabteilung der JVA für Frauen im niedersächsischen Vechta, der
einzigen ihrer Art im Norden. Hier werden die Akzente anders gesetzt als im
Erwachsenenvollzug, angefangen bei den Beamten in Zivilkleidung. „Das macht
schon einen großen Unterschied“, sagt Nicole, und wie zur Bestätigung wirkt
sie selbst ruhig und freundlich. „Die Distanz ist nicht so groß.“
2011 ist die Wohngruppe eingerichtet worden, um die jungen Mädchen räumlich
von den Frauen zu trennen und damit einen „geschützten Raum“ zu schaffen,
so sagt es Anstaltsleiter Oliver Weßels. Die Reaktionen seien „positiv bis
neutral“ gewesen.
In Haft sitzt Nicole seit eineinhalb Jahren. Sie büßt für jenen Abend, an
dem ihr bis dahin ohnehin schon nicht sehr geradlinig verlaufenes Leben
vollends aus der Kurve flog. Ein Abend, an dem sie mit ihrem damaligen
Verlobten und anderen zusammengesessen hat, reichlich Alkohol, auch Drogen.
Erst kam es zu Streit, dann zu roher Gewalt – am Ende lag ein Bekannter des
Paares schwer verletzt am Boden. Sie könne sich nicht daran erinnern, ob
sie damals auch zugeschlagen habe, sagt Nicole. Aber sie zieht sich auch
nicht auf Unschuldsbeteuerungen zurück. „Ich weiß, dass ich falsch
gehandelt habe. Ich hätte die Polizei rufen können.“ Hat sie aber nicht.
Ihre damalige Beziehung sei ohnehin schon „ziemlich schwierig“ gewesen.
Nach diesem Abend beginnt für sie ein anderes Leben, eines, das sie trotz
früherer Delikte – hier eine Schwarzfahrt, da ein Verstoß gegen das
Betäubungsmittelgesetz – nie für möglich gehalten hätte. Nicole erzählt,
wie ihre Mutter sie früher ermahnt hatte, dass sie ihr vielleicht mal ein
Gefängnis zeigen solle, damit sie sich benehme. „Ich komme nie in den
Knast“, habe sie dann immer geantwortet. „Und hier sitze ich nun.“ Drei
Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung.
„Halboffene Wohngruppe“ ist die offizielle Bezeichnung für den
Strafvollzug, der jetzt ihr Leben ist. Das klingt entfernt nach einer Art
WG und es erinnert in manchen Details auch an eine. Auf der Hälfte des
Flurs, von dem zu beiden Seiten die Einzelzellen abgehen, gibt es eine
Küche mit einer Einbauzeile, einem Tassenregal und einer Sitzgruppe. Die
Küche steht den Häftlingen offen, aber bis auf den leeren Joghurtbecher auf
dem Tisch wirkt sie eher unbenutzt. Tatsächlich bekommen die Häftlinge ihre
üblichen Mahlzeiten per Essenswagen angeliefert. Und im Kühlschrank stelle
niemand etwas ab, sagt Nicole: „Das verschwindet sowieso.“ Wie in einer
richtigen WG eben.
Wenn sie ab und zu mit anderen dort kocht, zählt das zu den wenigen
Abwechslungen des Knastalltags, und auch die sind durchreglementiert:
Zweimal im Monat können die Frauen eine Besorgungsliste ausfüllen, ein paar
Tage später bekommen sie die Sachen ausgehändigt, das Geld dafür wird ihnen
abgezogen. Selbst einkaufen ist nicht drin: Der tägliche Weg zur Schule
ist, abgesehen von Urlaubstagen, die einzige Möglichkeit für Nicole, das
Gefängnis zu verlassen.
Die zehn Kilometer in den Nachbarort legt sie mit dem Zug zurück, den
letzten Kilometer vom Bahnhof bis zur Volkshochschule, an der sie ihren
Realschulabschluss nachholt, geht sie zu Fuß. Immerhin ein kleines
Stückchen Freiheit, wenn auch ein begrenztes. Das Wachpersonal weiß, wann
die Schule aus ist. Da bleibt nicht mal Zeit, auch nur ein Eis essen zu
gehen.
In ihrer Klasse kennt jeder Nicoles Hintergrund, sie macht kein Geheimnis
daraus. Probleme mit Lehrern oder Mitschülern gebe es keine, sagt sie, und
dass sie das zuerst gewundert habe. „Es ist schon ein bisschen doof, wenn
man montags hört, was die anderen am Wochenende gemacht haben, ins Kino
oder auf Partys gegangen sind“, sagt Nicole. Wenigstens werde sie nicht
gefragt, ob sie mitkommen wolle – die Mitschüler wüssten ja, was los ist.
## Hochzeit hinter Gittern
Nicole bittet in ihre winzige Zelle, die mit einem Bett, zwei kleinen
Regalen an Kopf- und Fußende und einem Tisch schon vollgestellt ist. Obwohl
die Sonne scheint, hat sie die Vorhänge zugezogen – vielleicht möchte sie
die Gitterstäbe nicht öfter sehen als unbedingt nötig. Ansonsten hat sie
die paar Quadratmeter so wohnlich wie möglich gestaltet. An den Wände
hängen Fotos ihrer Familie, ihres Hundes und, vor allem, ihres Ehemanns.
Der sitzt eine Haftstrafe in einer anderen JVA ab, dort haben sie auch
geheiratet. Dafür gab es Sonderurlaub. Ihre Hochzeit, erzählt Nicole,
„hatte ich mir auch mal anders vorgestellt“.
Und den Alltag hier, hatte sie sich den so vorgestellt? Nicole überlegt.
Nein, sagt sie dann. Eigentlich eher wie den Polizeigewahrsam nach der
Verhaftung: eine Zelle, eine Matratze, sonst nichts. „Als ich hier reinkam
und den Fernseher gesehen habe, habe ich mir erstmal die Rückseite
angeschaut, ob da überhaupt Kabel rauskommen. Mein erster Gedanke war: Das
ist doch eine Attrappe.“ Nachdem sie in die Wohngruppe verlegt worden war,
stand sie mitten in der Nacht auf, ging auf den Flur. Weil sie es nicht
richtig fassen konnte. Zuvor hatte sie einige Zeit im geschlossenen Vollzug
verbracht, in der Etage darüber. Nur wer nach der Einschätzung der Beamten
gemeinschaftsfähig ist, bekommt die Chance, in den halboffenen Vollzug zu
wechseln.
Harmonisch fällt diese Zwangsgemeinschaft auch nicht immer aus: Ein Dutzend
Frauen sind zurzeit in der Abteilung inhaftiert, zwölf Menschen, die sich
ihr Zusammenleben nicht ausgesucht haben. Es komme „schon mal zu
Zickereien“, sagt Nicole, selten auch zu Handgreiflichkeiten. „Jede von uns
hat mal einen Scheißtag und wir sitzen ja auch alle nicht ohne Grund da.“
Manchmal reichen Kleinigkeiten, dann geht’s los – aber „zwei Tage später
sitzen dieselben auch wieder bei einem Kaffee zusammen“. Zwischendurch,
klar, lache man auch mal zusammen. Engeren Kontakt habe sie zu zwei
Mitgefangenen, sagt Nicole – obwohl es „immer heißt, dass im Knast keine
Freundschaften entstehen könnten“.
Und ein Gefängnis ist es nun mal, Wohngruppe hin, Einbauküche her: Die
ohnehin eher spröde Gemütlichkeit der Küche endet beim Blick aus dem
Fenster, aus dem nur schauen kann, wer sich auf einen Stuhl stellt: Hinter
den Gitterstäben liegt eine trist wirkende Außenanlage, deren Teich leer
gepumpt ist und ein nacktes Betonbett zeigt. Einmal pro Tag dürfen die
Inhaftierten für eine Stunde dorthin hinaus. Es gibt kein Internet, Handys
sind verboten, Telefonate dürfen nur mit Personen geführt werden, die die
Vollzugsbeamten als unbedenklich einstufen.
## Die Hälfte ist rum
Die Hälfte ihrer Haftstrafe hat Nicole hinter sich und jeden Tag denkt sie
über ihr Leben nach, über den Abend, an dem alles schiefgelaufen ist, über
das Opfer, falsche Freunde, über sich selbst. Sobald sie ihren Abschluss in
der Tasche hat, will sie sich um eine Lehrstelle bemühen, erste Bewerbungen
hat sie schon geschrieben. Wenn es klappt, darf sie auf vorzeitige
Entlassung hoffen.
Sicher: Nicole hätte sich schönere Umstände als eine Haftstrafe gewünscht,
um ihr Leben umzukrempeln, sagt sie heute. „Aber vielleicht“, das sagt sie
auch, „war das nötig.“
17 Jun 2013
## AUTOREN
Maik Nolte
## TAGS
Vechta
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