# taz.de -- Zensus: Statistiker auf Stichelprobe gestellt | |
> Senat und Koalition kritisieren die Zensus-Methodik. Sie wollen nicht | |
> glauben, dass Berlin 180.000 Einwohner weniger hat als gedacht. | |
Bild: Leicht zu zählen: Innensenator + Bürgermeister = zwei, die mit der redu… | |
Das Statistische Landesamt weist die Kritik aus Senat und Koalition an den | |
Zensus-Zahlen zurück. „In Berlin ist das Ergebnis genauer als in vielen | |
Kleinstädten“, sagte Zensus-Leiter Karsten Wenzel der taz. CDU-Innensenator | |
Frank Henkel hatte sich am Donnerstag im Abgeordnetenhaus darüber | |
gewundert, dass Berlin 179.000 Einwohner weniger haben soll als bisher | |
gedacht: „Das sind erhebliche Veränderungen, die natürlich Fragen | |
aufwerfen: Fehlen diese Menschen tatsächlich, oder sind sie statistischen | |
Methoden zum Opfer gefallen?“ Er selbst habe sich seit dem Studium eine | |
„gesunde Skepsis gegenüber statistischen Interpretationsansätzen“ bewahrt: | |
„Denn wenn eine Kuh am Morgen links vom See steht und am Abend rechts vom | |
See, dann ist sie im Schnitt gegen Mittag ertrunken. So einen Schluss | |
erlaubt die Statistik, wenn sie nicht vernünftig gehandhabt wird.“ | |
CDU-Generalsekretär Kai Wegner sekundierte, die Zahlen seien „auf | |
methodisch höchst zweifelhaftem Wege ermittelt worden“. In Berlin ließen | |
„viele Ergebnisse der Volkszählung eine plausible Erklärung bisher | |
vermissen“. | |
Beim Zensus wurde die Bevölkerung nicht komplett gezählt, sondern nur eine | |
Stichprobe, die dann auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet wurde. Für | |
Verwunderung sorgte in der Politik die Größe dieser Stichprobe. Bundesweit | |
wurden 9,6 Prozent der gemeldeten Personen befragt, in Berlin nur 3,6 | |
Prozent. Könnte es also sein, dass Berlin so viele Einwohner verloren hat, | |
weil hier besonders ungenau gefragt wurde und das Ergebnis entsprechend | |
fehleranfällig ist? | |
Statistiker Wenzel weist das zurück und erklärt, dass die Fehlerquote | |
weniger davon abhängt, wie hoch der Prozentsatz der befragten Bevölkerung | |
ist, sondern eher von der absoluten Zahl. Ein Beispiel: Bei der | |
Sonntagsfrage für die Bundestagswahl werden von den Meinungsforschern immer | |
1.000 Personen befragt. Deren Wahlabsichten werden dann auf die gesamte | |
Republik hochgerechnet. | |
Wie viele Leute befragen die Meinungsforscher, wenn sie wissen wollen, wie | |
die Berliner bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus abstimmen? Man könnte sagen: | |
Berlin ist viel kleiner, da müssen viel weniger Leute befragt werden. Doch | |
so ist es nicht: Auch für die Berliner Umfragen werden 1.000 Leute befragt. | |
Einfach deshalb, weil 1.000 eine gute Zahl ist, um mit einer akzeptablen | |
Genauigkeit auf zuverlässige Zahlen zu kommen. | |
Beim Zensus wurden in Berlin rund 126.000 Personen befragt – so viele wie | |
in keiner anderen Stadt. Deshalb sind die Ergebnisse hier so genau wie | |
nirgendwo sonst. Die Statisiker können sogar die Fehleranfälligkeit ihrer | |
Zahlen ausrechnen, die sogenannte Standardabweichung. Bundesweite Vorgabe: | |
Der Wert soll nicht über 0,5 Prozent liegen. In Berlin sind es nur 0,13 | |
Prozent. | |
Charlottenburg-Wilmersdorfs Stadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU) hatte sich | |
in der Berliner Zeitung gewundert, warum gerade in seinem Bezirk so viele | |
Einwohner weniger wohnen als gedacht: Die Differenz liegt bei 30.000. Dabei | |
konnten doch bei der letzten Berlin-Wahl nur 2.000 | |
Wahlbenachrichtigungskarten nicht zugestellt werden, so Gröhler. | |
Auch hier hat Wenzel eine Erklärung: In dem Bezirk wohnen viele | |
ausländische Studenten, die dort für ein paar Jahre an der Technischen | |
Universität sind. Dann ziehen sie zurück und melden sich nicht ab. Und weil | |
Ausländer nicht wahlberechtigt sind, fällt das auch bei der Zustellung der | |
Karten nicht auf. Gleiches gilt für Berliner Familien, in denen ein Kind | |
außerhalb Berlins studiert und sich hier nicht abmeldet: Die | |
Wahlbenachrichtigungskarten für das Kind kommen trotzdem hier an, weil die | |
Eltern noch dort wohnen und der Familienname nach wie vor auf dem | |
Briefkasten steht. Erst als die Zensus-Mitarbeiter an der Tür klingelten, | |
fiel auf, dass die Kinder ausgezogen sind. | |
Charlottenburg-Wilmersdorf will jetzt in einer eigenen Stichprobe die | |
Zensus-Zahlen überprüfen. Zensus-Leiter Wenzel ist gelassen, dass dabei | |
nichts anderes herauskommen wird als bei seiner Zählung. | |
17 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
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