# taz.de -- Gesundheit: Wenn Ärzte weniger schneiden | |
> Wie sich die Kaiserschnittrate senken lässt, erklärt eine Dresdner | |
> Hebamme einer ungewöhnlichen Allianz aus Bremer Ärzten, Hebammen und | |
> Kassenvertretern. | |
Bild: Je natürlicher die Geburt des Kindes, je besser, sagen manche. | |
BREMEN taz | Dass sich so viele Menschen für ihre Arbeit als Hebamme | |
interessieren, kann Steffi Gülzow nicht fassen. Mit 80 Personen ist der | |
Tagungsraum im Bremer Rotes Kreuz Krankenhaus voll an diesem | |
Mittwochnachmittag. Viele Hebammen sind zur Tagung „Natürliche Geburt, ja | |
bitte!“ gekommen, organisiert von der Bremer Vertretung des Verbands der | |
Ersatzkassen. Außerdem ein paar ÄrztInnen sowie die VertreterInnen der | |
großen Krankenkassen. Dazu Interessierte aus anderen Bundesländern, etwa | |
vom niedersächsischen Sozialministerium, das in zwei Monaten eine ähnliche | |
Tagung durchführt. Von der Dresdnerin Gülzow wollen alle wissen: Wie machen | |
die das bloß? | |
Denn die Stadt Dresden hatte 2010 die bundesweit niedrigste | |
Kaiserschnittquote: 17 Prozent gegenüber durchschnittlich 32 Prozent. In | |
vielen Landkreisen, gerade auch in Niedersachsen, waren es nach einer | |
Auswertung der Bertelsmann-Stiftung auch mal zehn Prozentpunkte mehr. Im | |
Dresdner Diakonissenkrankenhaus, an dem Gülzow als leitende Hebamme | |
arbeitet, kamen 2010 nur 11,9 Prozent aller Kinder per Kaiserschnitt zur | |
Welt. Ein Wert, den auch Gülzow nicht ganz erklären konnte – zumal es im | |
Vorjahr noch 20,5 Prozent gewesen waren. | |
Dabei hätten die BremerInnen so gerne ein Rezept von ihr: In einer | |
bundesweit einmaligen Allianz aus niedergelassenen und | |
Klinik-GynäkologInnen, Krankenkassen, Hebammen und Politik hat man sich an | |
der Weser vorgenommen, den Anteil der Geburten per Kaiserschnitt von | |
landesweit 32 Prozent im Jahr 2011 zu senken. | |
„Medizinisch kann man die Unterschiede nicht erklären“, sagte ein ums | |
andere Mal Carsten Oberhoff, Chefarzt der größten Bremer Geburtsklinik | |
Links der Weser. Als ärztlicher Vertreter der Krankenhäuser nahm er an | |
einer Podiumsdiskussion im Anschluss an Gülzows Vortrag teil. Von der | |
Dresdnerin wollte er wissen, ob vielleicht ihre „Frauen anders“ seien: | |
Gemeint waren Frauen im Osten, denn diese gebären nach Oberhoffs | |
Einschätzung häufiger auf natürlichem Weg. Was allerdings so wenig stimmt | |
wie seine Behauptung, Bremen sei „unter den alten Bundesländern die Nummer | |
Eins, das ist doch toll!“ Richtig ist: Die niedrigste Kaiserschnitt-Rate im | |
Westen hat Hamburg, und auch im Osten gibt es Landkreise mit 30 bis 40 | |
Prozent. | |
Dass es nicht an den Frauen liege, sondern an der geburtshilflichen Praxis | |
vor Ort, darauf wies die Leiterin der Bertelsmann-Studie, Petra Kolip, hin. | |
Das bestätigte auch Steffi Gülzow: Nach ihrem Vortrag erzählte sie, dass im | |
Jahr 2010 eine neue Ärztin die Leitung des Kreißsaals übernommen hatte, in | |
dem Jahr also, in dem nur noch halb so viele Kinder mit einem Kaiserschnitt | |
geholt wurden. Wie Teile des Publikums vermutete sie, dass im Osten die | |
Hebammen – aus ihrem Berufsverständnis heraus Kaiserschnitten gegenüber | |
skeptisch – selbständiger arbeiten könnten, weil die Hierarchien flacher | |
seien. | |
Warum der Kaiserschnitt nicht der beste Start ins Leben sei, erklärte der | |
Bremer Kinderarzt Thorsten Körner, der auf die Behandlung von Frühgeborenen | |
spezialisiert ist: Direkt nach der Geburt hätten solche Kinder häufiger | |
Atemprobleme. Die langfristigen Folgen seien nicht untersucht, aber es | |
mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die fehlende Auseinandersetzung mit | |
mütterlichen Keimen Allergien, Adipositas und Autoimmunerkrankungen | |
begünstige. „Wir haben als Neonatologen dazugelernt“, sagte Körner. In | |
seiner Klinik Links der Weser wolle man in Zukunft versuchen, auch extrem | |
zu früh kommende Kinder ab einem Gewicht von 1.000 Gramm auf natürlichem | |
Wege zu holen. | |
27 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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Krankenkassen | |
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