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# taz.de -- "Foreign Affairs"-Festival: Kunst und Volk im Großraumwagen
> Beim Unwahrscheinlichkeitsdrive geht es ganz luxuriös mit einer
> Stretchlimousine durch die Stadt. Ein Testbesuch bei dem
> schlingensiefisch charmanten Fahrbetrieb.
Bild: Die Stretchlimousine vor dem Haus der Festspiele
Die beste Sequenz von David Cronenbergs Don-DeLillo-Verfilmung „Cosmopolis“
ist vermutlich die, in der sich Robert Pattinson in der Hauptrolle als
junges Spekulantengenie in seiner fahrenden Stretchlimousine einer
Prostatauntersuchung seitens seines Privatarzts unterzieht und gleichzeitig
mit seiner Cheftheoretikerin flirtet, die er soeben vom Joggen aufgegabelt
hat und die ihm nun verschwitzt gegenübersitzt. „Ich weiß, was du bist …
Eine Frau, die geboren wurde, um angeschnallt dazusitzen, während ihr ein
Mann sagt, wie sehr sie ihn erregt“, sagt er. „Wieso haben wir eigentlich
nie so einen Moment zusammen erlebt“, fragt sie schließlich erregt.
Nun, angeschnallt sitzen wir nicht, als wir am Sonntagnachmittag vom
Hermannplatz aus in Richtung Moabit fahren. Und zwar in einer Stretchlimo.
Genauer: einem Lincoln Town Car, umgebaut von der Firma Krystal. Es handelt
sich um eine ausgemusterte, schlichtweg in der Wüste nahe dem Flughafen von
Dubai abgesetzte und verlassene Stretchlimo. Keine Ahnung, wie sie den Weg
nach Berlin gefunden hat. Wer sein ehemaliger Besitzer war und was mit ihm
passiert ist.
Gelandet ist sie jedenfalls bei der sogenannten Geheimagentur und bei
Joshua Sofaer, und die haben sich die Aktion mit der Stretchlimousine
ausgedacht, den sogenannten Unwahrscheinlichkeitsdrive. Im Zuge der
„Foreign Affairs“, des „internationalen Festivals für Theater und
performative Künste“ bei den Berliner Festspielen, findet dieser Drive gut
zehnmal statt, bis am 12. Juli bei der Schlusspräsentation der Wagen – ja,
wirklich – verschenkt wird.
Verschenkt aber wird er nicht an irgendwen. Sondern an den oder die
TeilnehmerIn, deren Drive „am unwahrscheinlichsten“ geraten ist. Heißt:
Welche Idee klingt absolut unmöglich, klappt am Ende aber doch? Dafür gibt
es Punkte. Immer in der Hauptrolle dabei: die Stretchlimousine.
An diesem Sonntag versucht sich die Familie Schlippenbach. Sie hat es
bereits geschafft, einen Angestellten eines global operierenden
Mineralölkonzerns, sprich einen Tankwart, dazu zu bringen, beim Abschleppen
zu helfen. Nur ein erster Test, um zu schauen, ob überhaupt jemand bei so
einer Luxuskarosse mit Hand anlegen würde. Nun sind wir illegal nach Moabit
unterwegs. Illegal, weil wir zu neunt sind, und erlaubt sind in der
Limousine nur acht Fahrgäste. Nach Moabit, weil dort Vater Schlippenbach
wohnt, der sich soeben bereit erklärt hat, ein Privatkonzert am Jazzklavier
für uns zu geben.
Diese Unwahrscheinlichkeitsrechnung klingt sehr simpel, auch wenn sie
zunächst kompliziert daherkommt. Die Geheimagentin, die offiziell natürlich
namenlos bleibt, sowie Joshua Sofaer, Künstler aus Cambridge, haben das
Prinzip hinter dieser Autogeschichte zunächst überaus wortreich erklärt.
Vielleicht muss diese Idee, dachte ich da, auch so
situationistisch-verstiegen daherkommen, ansonsten könnte sie ja schlicht
die Idee eines gut gelaunten Fernsehteams sein.
Schließlich hat das Ganze in der direkten Umsetzung auch eher so einen
schlingensiefschen Charme. Etwas Improvisation, tatsächlich unmögliche
Aktionen, und am Ende kommt so ein familiäres Gefühl dabei raus. Kunst und
Volk zusammen. In einem Auto. Die Schlippenbachs, die mal ein „von“ im
Namen hatten, haben das Prinzip nämlich schon ganz richtig verstanden. Sie
haben außer mir am Hermannplatz auch gleich Tina aufgepickt, eine
frühpensionierte Lehrerin, ursprünglich aus Peru. Sie hat tatsächlich schon
einmal in einem solchen Wagen gesessen, früher in Peru, freut sich jetzt
aber auf das Konzert.
Die hochfinanzkapitalistische Note, die Dekadenz dieses Gefährts jedenfalls
verliert sich relativ schnell. Das Ding schwankt wie ein Schiff und droht
jederzeit auseinanderzubrechen. Trotzdem sind die Reaktionen draußen
vornehmlich abweisende, ganz à la „Luxus – ich bin dagegen“. Es ist fast
schade, dass das „Cosmopolis“-Gefühl sich nicht wirklich einstellen will.
Und doch ist dieser Unwahrscheinlichkeitsdrive ein Erlebnis. Ich meine,
wann erlebt man denn schon so was? Eben!
Es stellen sich auch ganz praktische Probleme mit diesem Ding: Wo parken?
Wie links abbiegen?
Am Ende jedenfalls finden sich alle in einem schallisolierten Raum und
lauschen einem sehr guten Kurzkonzert von Schlippenbach. Wenig später
steigen Tina und ich am Hermannplatz wieder aus. Sehr unwahrscheinlich, das
Ganze.
2 Jul 2013
## AUTOREN
Rene Hamann
## TAGS
BND
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