| # taz.de -- Prozess ums Sorgerecht: Krieg um das eigene Kind | |
| > Ein getrenntes Paar streitet um seine Tochter. Dann nimmt der Vater die | |
| > Fünfjährige mit in sein Heimatland: Syrien. Jetzt landete die Sache vor | |
| > Gericht. | |
| Bild: Zwei Wochen Urlaub hatte das Gericht dem Vater mit der Tochter zugesproch… | |
| Die Geschichte von Susanne und Amin M.* endet dort, wo sie angefangen hat: | |
| vor Gericht. Wegen der Entführung seiner fünfjährigen Tochter verurteilte | |
| das Amtsgericht Hamburg-Barmbek Amin M. am gestrigen Montag zu einem Jahr | |
| und sechs Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung. Er hatte sie im Sommer | |
| 2009 in sein Heimatland Syrien verschleppt und war drei Jahre lang dort | |
| geblieben. Dann kam der Krieg. | |
| Susanne und Amin M. hatten sich 2001 kennengelernt, ein Jahr später | |
| heirateten sie. Dann, 2007, „Knall auf Fall die Trennung“, sagt die | |
| Staatsanwältin. Ab diesem Zeitpunkt begegnen sich Vater und Mutter nur noch | |
| vor Gericht, wegen Unterhalts oder auch wegen seines Umgangsrechts: Jedes | |
| zweite Wochenende und einen Tag in der Woche sollte das Kind zum Vater, das | |
| war der Deal. | |
| Das Jugendamt sei bei seiner Ex-Frau gewesen, gibt Amin M. nun vor Gericht | |
| zu Protokoll, die Wohnung sei unordentlich gewesen, Susanne habe Hilfe | |
| gebraucht. Sie sagt, das Kind habe sich hinter ihr versteckt, wenn er | |
| gekommen sei: Mit Schokolade habe sie das Mädchen bestechen müssen, den | |
| Vater zu begleiten. Er sieht es anders: „Tyrann“ habe Susanne ihn genannt, | |
| ihn schlecht gemacht zu Hause. Er aber habe doch ein Vorbild sein wollen. | |
| Im August 2009 sprach das Gericht dem Vater zwei Wochen Urlaub mit seiner | |
| Tochter zu. Susanne M. sagt, sie sei nervös gewesen: Schon früher habe sie | |
| Angst gehabt, ihr Ex-Mann könnte die Tochter eines Tages einfach mitnehmen. | |
| Darüber hätten sich nach Auskunft einer Freundin gemeinsame arabische | |
| Bekannte ausgetauscht: Amin M. plane, mit dem Mädchen nach Syrien zu gehen. | |
| Seitdem habe sie dem Kind immer ihr Handy in den kleinen Rucksack gesteckt, | |
| um es notfalls orten zu können. | |
| Ein paar Tage nach der Abreise habe Amin sein eigenes Handy ausgeschaltet. | |
| Susanne M. setzte sich an den Computer, versuchte das Gerät im Rucksack der | |
| Tochter zu orten – ohne Erfolg. Abends sei sie zur Polizei gegangen, habe | |
| Anzeige erstattet: Entziehung einer Minderjährigen. | |
| Amin M. sagt, er habe sich spontan entschieden, mit seiner Tochter in sein | |
| Heimatland zu fliegen. In der syrischen Hauptstadt Damaskus lebe seine | |
| Familie: 12 Geschwister, viele Kinder im Alter der Kleinen, dazu die | |
| Großeltern. Abgemacht waren zwei Wochen, Amin M. aber blieb länger. Mit der | |
| Tochter sprach er Arabisch, er habe sie auch in die Schule geschickt, sagt | |
| Amin M.. Er selbst eröffnete eine Praxis für Physiotherapie. Gelernt hatte | |
| er das Metier in Deutschland. | |
| Susanne M. sagt, sie habe ein halbes Jahr nach dem Verschwinden ihrer | |
| Tochter das erste Gerücht über deren Aufenthaltsort gehört. Im Internet | |
| betrachtete sie Stadtkarten von Damaskus, Satellitenbilder. Dorthin reisen | |
| aber mochte sie nie: Sie wäre doch nur aufgefallen als Europäerin, sie habe | |
| befürchtet, am Ende im Gefängnis zu landen. Also blieb sie in Deutschland | |
| und wartete. Sie habe versucht zu arbeiten, sagt sie im Zeugenstand, zu | |
| funktionieren. | |
| Weihnachten 2011 meldet sich ein alter Freund von Amin M. bei ihr. Dieser | |
| wolle sie sprechen, sagt er. Vater und Mutter telefonieren über das | |
| Internet. Er diktiert ihr einen Katalog von Forderungen: das halbe | |
| Sorgerecht, eine islamische Erziehung der Tochter, keine Übernachtungen bei | |
| Fremden. Sie solle ihre Anzeige zurückziehen, wegen des Haftbefehls. Denn | |
| er wolle zurückkommen nach Deutschland. Am 16. September 2012 empfing sie | |
| ihren Ex-Mann und die Tochter am Hamburger Flughafen. Neben ihr stehen | |
| Polizeibeamte. | |
| Jetzt, vor Gericht, sagt Amin M., er habe damals umgedacht: Das Kind | |
| brauche seine Mutter. Susanne M. scheint die Ursache für den Sinneswandel | |
| eher im Ausbruch des Krieges zu sehen. Das Kind sei noch heute verängstigt, | |
| wenn es knallt, erzählt sie dem Richter. Ein Bild des Kindes hat sie auf | |
| eine Umhängetasche drucken lassen, die sie im Gerichtssaal nicht ablegt, | |
| auch im Sitzen nicht. Um sie geht es hier schließlich: die Tochter. Amin M. | |
| blickt auf die Tischplatte, während Susanne spricht. Die Staatsanwaltschaft | |
| hat Gutachten verlesen: Das Kind ist krank, schlechte Zähne, Asthma, | |
| Allergie. Mit der Zunge fahre sie sich immer wieder über den Mundwinkel, | |
| ein Tick. Und dann die Ängste. Folgen der Entführung, sagt die Mutter. In | |
| Syrien, sagt der Vater, hatte das Mädchen all das noch nicht. | |
| Das Mädchen lebt bei seiner Mutter. Treffen darf der Vater seine Tochter | |
| wieder. Bei der Arbeiterwohlfahrt, unter Aufsicht. | |
| *(Namen geändert) | |
| 5 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristiana Ludwig | |
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