# taz.de -- Londoner Bezirk Camden: Alle waren schon mal hier | |
> Der Londoner Bezirk Camden ist die Heimstatt des britischen Pop. Damit | |
> man das wieder merkt, entsteht dort jetzt ein Pop Walk of Fame. | |
Bild: Banksy war auch schon mal da. | |
In Camden Town, einstmals hippes Zentrum des Stadtteils Camden im Norden | |
Londons, wird demnächst ein Music Walk of Fame eröffnet. Berühmte Künstler | |
aus allen Musikbranchen sollen hier, von einer Jury erwählt, zusammen mit | |
einer goldenen Schallplatte im Pflaster der Camden High Street und deren | |
Verlängerung Chalk Farm Road verewigt werden. | |
Irgendwann einmal kann der musikalische Laufsteg eineinhalb Kilometer | |
betragen. Werden beide Straßen genutzt, kann es sogar drei Kilometer | |
bepflasterte Musikgeschichte geben. Zu diesem Zweck hat die Stadtverwaltung | |
sogar die offizielle Erlaubnis aus Hollywood eingeholt, wo seit Jahrzehnten | |
Filmstars im Walk of Fame in Form von Sternen im Trottoir verewigt werden. | |
Ausgedacht hat sich das Londoner Pendant Lee Bennett, ein Musikpromoter und | |
Teilhaber einer Bar. Sein Sohn Adam habe ihn bei einem Besuch in Hollywood | |
dazu angeregt. | |
Auch die Stadtverwaltung war begeistert: Sie witterte, dass man damit | |
Camdens Rolle als Heimstatt des britischen Pop betonen und gleichzeitig den | |
Tourismus ankurbeln kann. Damit ließe sich zudem das abgetakelte Ende von | |
Camden High Street, weit abseits des Camden Markts, umgestalten, wo | |
Lidl-Supermarkt, One-Pound-Läden, aber auch Lees Bar Purple Turtle liegen. | |
## Psychedelic Mekka | |
Lee schwärmt geradezu von den Popdenkmälern in der Gegend und verweist auf | |
das Koko, ein Theater im italienischen Renaissancestil aus dem Jahre 1900, | |
einst unter dem Namen Camden Palace bekannt. Hier wurde Geschichte | |
geschrieben: In den vierziger Jahren gastierten dort irische Folkbands. | |
Seit den achtziger Jahren machten Größen wie die Red Hot Chili Peppers, | |
Madonna oder Oasis Station. Gleich nebenan im Electric Ballroom, nahe der | |
U-Bahn-Station Camden Town, begannen Ende der Fünfziger die Rockabillies. | |
In den Sechzigern entwickelte sich der Club zum Mekka für psychedelische | |
Rockmusik. Londons berühmteste Psychedelic-Band Pink Floyd trat vor allem | |
im nahe gelegenen Roundhouse auf. | |
„Ob Punks, Raver oder Brit-Popper. Alle waren hier zu Gast. Nicht zu | |
vergessen: MTV hatte hier seine erste Londoner Niederlassung“, sagt Lee. | |
Für den Music Walk of Fame sind die Pflastersteine mit einer Technologie | |
gekoppelt, die mittels Smartphone auch gleich hören lässt, wer hier gerühmt | |
wird. Anders als in Hollywood sollen auch Kreative, die im weiteren Sinne | |
zur Musikindustrie gehören, wie Storm Thorgerson, ein Grafiker, der die | |
ikonischen Pink-Floyd-Albumcover gestaltete, verewigt werden. Konzerte und | |
Lesungen ergänzen die Einlassung der Sterne. | |
Zusätzlich will Camden den Bau eines Musikmuseums genehmigen. Dazu gehört | |
eine Musikakademie, wo junge Leute alle Aspekte des Musikgeschäfts lernen. | |
## Freilicht-Popmuseum | |
Aber ist Camden Town wirklich der geeignete Ort für ein | |
Freilicht-Popmuseum? Trevor Beresford Romeo, besser bekannt als Jazzie B, | |
bejaht. „Es passt zum Camden Market, der bereits ein beliebtes | |
Touristenziel ist.“ Romeo erinnert sich, wie seine Karriere durch den | |
Verkauf seiner „Funki Dread“-T-Shirts auf dem Camden Market Schwung bekam. | |
Er lebt inzwischen seit 30 Jahren in Camden, hat seine Kinder großgezogen. | |
Er beschreibt den Bezirk als „ideale Mischung aus Boheme und Armut, wo | |
Einwanderer aus Irland und der Karibik ansässig werden konnten, als es | |
ihnen in anderen Stadtteilen noch schwergemacht wurde“. | |
Auch das Soundsystem, das ihn weltberühmt machen sollte, Soul II Soul, hat | |
Camden viel zu verdanken. „Im Roundhouse veranstalteten wir unsere ersten | |
Raves“, erzählt der Musiker. | |
Auch Dave Gaydon hing dort ab. Vor einigen Jahren verwandelte er das | |
verwahrloste Roundhouse, ehemals ein runder Lokschuppen, und machte es zum | |
Vorzeigeveranstaltungsort. Nach der Renovierung bewarb er sich für die | |
Stelle des musikalischen Direktors und bekam den Job. Inzwischen | |
konzentriert er sich mehr auf künstlerisch inspirierte Jugendarbeit, | |
finanziert durch öffentliche Veranstaltungen. | |
„Ich bin stolz, dass wir vielen Jugendlichen den Glauben an sich selbst | |
gegeben haben.“ Gaydon sieht das als konstruktiver an als Streetwork, aber | |
gesteht, dass Popmusik oftmals durch bestimmte Lebensumstände entsteht. | |
Exemplarisch sei die Karriere von Amy Winehouse. Kommendes Jahr wird im | |
Roundhouse eine lebensgroße Statue von ihr eingeweiht. Sie soll den | |
Jugendlichen zur Inspiration, aber zugleich auch als Warnung dienen. | |
## Goldene Jahre vorbei | |
Camden hat sich stark gewandelt. Früher gab es hier massenhaft Plattenläden | |
und fliegende Händler, die auf der Straße Mixtapes verkauften, wenige sind | |
übriggeblieben. Out on the Floor auf dem Inverness Market hat überlebt. | |
„Eigentlich brauche ich nur ein paar Dauerbrenner im Laden: Nirvanas ’Never | |
Mind‘, ’Abbey Road‘ von den Beatles, ’Dark Side of the Moon‘ von Pink… | |
und ’Quadrophenia!‘ von the Who“, schimpft sein Besitzer Jake Travis. | |
Der Reggaeenthusiast gründete vor Jahren sein eigenes Label Tuff Sounds, | |
das Geschäft geht so gerade. Travis glaubt zwar, dass die goldenen Jahre | |
der Camden-Szene vorbei sind –Hipster treffen sich längst im Stadtteil | |
Shoreditch – Camden sei wirklich nur noch ein Magnet für Touristen. | |
„Andererseits kann dieser Music Walk of Fame bewirken, dass mehr Leute aus | |
echtem Interesse herkommen. Was Livebühnen betrifft, ist Camden zugegeben | |
unschlagbar“, meint er. | |
Vergangenes Jahr brachte der Bürgermeister von Camden vorsorglich einen | |
Stadtplan mit den Sehenswürdigkeiten der örtlichen Musikszene heraus. Viele | |
der legendären Bars und Clubs sind darauf verzeichnet. Aber es fehlt der | |
Musikpub Fiddlers Elbow, eine der ersten Adressen in Camden. „Der | |
Bürgermeister war noch nie hier“, schimpft sein Besitzer Dan Maiden. Der | |
ehemalige Drummer schaffte es, trotz Randlage in einer Seitenstraße seinen | |
Pub erfolgreich als Livebühne aufzubauen. Nach Maidens Auffassung ist es | |
diese Unabhängigkeit, die Camden so besonders gemacht hat. | |
Aber genau das sei jetzt bedroht durch den Walk of Fame. „Ein Starbucks der | |
Musikwelt“, warnt er, und erklärt, dass immer mehr kleine Bühnen und Pubs | |
von großen Musikkonzernen und Ketten aufgekauft werden. „Damit verringern | |
sich Vielfalt und Konkurrenz.“ Ein anderes Problem sei, glaubt Maiden, dass | |
sich manche unaufhörlich auf die Vergangenheit stützen. „Bei uns geht es um | |
den Nachwuchs, wir lassen sie spielen, das Publikum entscheidet.“ | |
## Kultstätte der Musikgeschichte | |
Weit entfernt vom Camden Market liegt noch eine vergessene Kultstätte der | |
modernen Musikgeschichte. Es ist die kleine Denmark Street, auch Tin Pan | |
Alley genannt. Tin Pan Alley ist seit 60 Jahren der Ort, wo man Instrumente | |
kauft. In einer Seitengasse hängen bis heute Hunderte Anzeigen an einem | |
schwarzen Brett, auf denen nach Bandmitgliedern gesucht wird. | |
Chris Trigg gehört die Gitarrenhandlung Vintage & Rare Guitars. „Dies ist | |
das wahre Herz der Musik von Camden, denn hier waren sowohl die | |
Produzenten, Studiobosse und Musiker und kauften ihre Instrumente“, sagt | |
Trigg und zählt die Leute auf, die mit der Straße verbunden sind: Tom | |
Jones, Elton John oder David Bowie. Schließlich erwähnt er die Sex Pistols | |
und führt ins Obergeschoss des kleinen Hauses, in dem heute sein Büro ist. | |
An der Wand deutet er auf schwarze Kritzeleien. Das seien die | |
Originalschmierereien von Johnny Rotten und Sid Vicious. „Statt ein Museum | |
in Camden Town zu bauen, sollten sie lieber hier eines eröffnen, damit die | |
Geschichte erhalten bleibt“, meint Trigg. | |
Camden sei nur die halbe Geschichte der Popmusik, versichert mir auch der | |
Besitzer des Reggaeplattenladens People’s Records in Notting Hill. Aber | |
Camden hat auch zum Thema Notting Hill Carnival, heute eines der größten | |
Musikfestivals der Welt, das letzte Wort. Denn der erste Karneval, aus dem | |
später der Notting Hill Carnival entstanden ist, fand 1959 im heutigen | |
Rathaus Camdens statt, ganze sieben Jahre vor dem ersten Karneval in | |
Notting Hill. Nicht nur das: Ausgerufen hat ihn auch eine Frau in einer bis | |
heute scheinbar von Männern dominierten Londoner Musikwelt, die | |
karibisch-britische Bürgerrechtlerin Claudia Jones. | |
8 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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