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# taz.de -- Fotoausstellung in der Hamburger Kunsthalle: Betrachter auf System-…
> Die schwarz-weißen Tier- und Naturfotos des Hamburgers Jochen Lempert
> wirken altmodisch brav und sind doch die totale Täuschung. Und ziehen das
> naturwissenschaftlich-strukturbesessene Interpretieren von Welt in
> Zweifel.
Bild: Zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion: Jochen Lemperts "Anschütz".
HAMBURG taz | Wie war das doch gleich bei Platon? Der Mensch sieht nur die
Schatten, die das Feuer in seiner Höhle wirft, aber nicht die Realität da
draußen? Und wenn er ins grelle Tageslicht träte, wäre er derart geblendet,
dass er lieber das Abbild für wahr hielte als die Wirklichkeit? Solche
Gedanken von Täuschung, Schein und Sein können einem auch bei den Fotos des
Biologen Jochen Lempert kommen, die die Hamburger Kunsthalle derzeit
präsentiert.
Lempert hat zwar kein Feuer gemacht, aber er arbeitet mit Abbild und
Täuschung, wenn er Tiere, Menschen, Pflanzen oder Wolken fotografiert.
Strukturen und Analogien hält er fest. Konventionell, analog und
schwarz-weiß, hat er sie auf einfaches Papier gebracht und ein Geschoss der
reinweißen Galerie der Gegenwart damit vollgehängt. Oft sind es mehrere,
leicht variierte Fotos desselben Motivs, und das soll aussehen wie eine
wissenschaftliche Versuchsanordnung.
## Ausgestopfte Köpfe
Aber Lempert tut nur so, denn nichts ist, wie es scheint. Die großen
Vogelköpfe zum Beispiel, wie lauter kleine Fahndungsfotos schachbrettartig
zu einem Plakat gefügt: Sie sind ausgestopft, und Lempert ist in allerlei
wissenschaftliche Sammlungen gereist, um sie alle zu finden.
Die geheimnisvolle Serie wurde schon vielerorts gezeigt und gilt als
Prototyp Lempert’schen Schaffens. Denn sie wird in dem Moment interessant,
in dem man seinen Irrtum bemerkt. Da kippt mit der Wahrnehmung das Gefühl,
da öffnet sich poetischer, fast schamanischer Raum: Hat Lempert den Toten
neues Leben eingehaucht? Den Vergessenen Gesichter gegeben, ihnen ein
ordentliches fotografisches Begräbnis verschafft?
Fest steht, sie sind posthum zu echten Protagonisten geworden, was die
Wissenschaft – und Lempert ist ja selbst ein Wissenschaftler – Tieren sonst
selten zugesteht. Auch seine Leuchtkäfer sind überraschend autonom: Sich
selbst belichtend, sind sie übers Fotopapier gekrabbelt und haben ein
zartes Leuchtmuster hinterlassen. Und die Seerosen, die er im Wasserbad
über dem Fotopapier schwimmen und weiße Diapositiv-Abdrücke hinterlassen
ließ, wirken wie kleine, verletzte Monde.
Das sind Experimente, die überraschende Fragen aufwerfen: Sind
Fotografieren und Belichten natürliche Prozesse? Was bedeutet es für unser
Selbstverständnis, wenn sich Natur selbst aufzeichnet und den Menschen nur
noch als Handlanger fürs technische Equipment braucht? Da rührt man
plötzlich an das, was die Welt – nach Goethe – im Innersten zusammenhält,
vielleicht auch an deren Beginn. Denn der zum Riesen vergrößerte Glühwurm
auf einem anderen Lempert-Bild: Er könnte als Spiralnebel durchgehen, als
erster Erd-Nebel überhaupt. Dann wäre der Betrachter sozusagen beim Urknall
live dabei.
## Spiel mit der Wissenschaft
Lempert, der selbst einmal eine Insektenart entdeckte, spielt mit solchen
naturwissenschaftlichen Themen, holt immer wieder die Realität in die Kunst
und macht neue Assoziationsangebote – etwa, wenn er eine kleine Frucht
neben ein Eichhorn-Auge hängt und die frappierende Ähnlichkeit
demonstriert.
Dann wieder fotografiert er mehrmals dieselben vier Schwäne, die sich immer
wieder umgruppieren. Folgen sie einem Prinzip, oder bildet sich der
Beobachter das bloß ein? Das ist keine Frage ans Individuum, sondern an
Wissenschaft und Gesellschaft: Ist es nicht manisch, überall ein System
hineinzubringen – nur, damit der menschliche Geist ein bisschen besser
begreift?
Lempert spielt nicht nur mit fotografischer Täuschung, er hinterfragt auch
unser Hintrainiertsein auf das Finden von Strukturen, auf das Erkennen
einer klaren Grammatik von Welt, die wir aus fragmentarischen Beobachtungen
ableiten – und anschließend als Naturgesetz verkaufen.
Lempert spielt mit dem Betrachter, wirft ihm Motiv-Konglomerate vor und
suggeriert, es gebe gemeinsame Strukturen. Gleich darauf bricht er diese
These durch kleine, unspektakuläre Bilder – von einer Fliege etwa oder von
zwei Falten auf der Straße. Die Tierchen ziehen als selbst- und
zielbewusste Subjekte ihre Bahn und sind gänzlich unberührt von unserer
Sucht nach System.
Auch formal zieht Lempert dem Betrachter den Boden unter den Füßen weg,
denn seine Fotos sind grobkörnig bis zur Unschärfe. Das führt dazu, dass
winzige Vögel am Himmel mit der Körnung des Fotos verschwimmen; sie gehen
im Wortsinn in den Bildgrund ein. Anderswo hat Lempert die Struktur eines
Blattes derart riesig – und unscharf – abgebildet, dass man nur noch
einzelne Punkte sieht, die man nicht mehr sinnvoll zuordnen kann.
## Teppich aus Punkten
Die Idee dahinter: Je näher man herangeht, desto ähnlicher werden sich die
Dinge – bis ein Teppich aus Punkten übrig bleibt. Aus Atomen, die
vielleicht mal ein einziges waren und seither auseinanderdriften, wie esdas
gesamte Universum tut. Das kann man spirituell deuten oder auch nicht.
Jochen Lempert, der studierte Biologe mit dem Fotoapparat, kommt einem
allerdings eher wie ein zweifelnder Agnostiker vor.
## bis 20. September, Hamburg, Kunsthalle
6 Aug 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
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