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# taz.de -- Najeha Abid über Interkulturelle Gärten: "Es bleibt ja nicht beim…
> Die Irakerin Najeha Abid hat 1996 in Göttingen den ersten
> Interkulturellen Garten mitgegründet. Das Projekt ist inzwischen ein
> bundesweites und trägt erheblich zu Emanzipation und Bildung von
> Migrantinnen und deren Kindern bei.
Bild: Hat Blumen und Kräuter lieb gewonnen: Najeha Abid, die Mitgründerin des…
taz: Frau Abid, waren die Interkulturellen Gärten Ihre Idee?
Najeha Abid: Nicht meine allein. Die Idee kam von Migranten, die als
Kriegsflüchtlinge aus verschiedenen Ländern nach Göttingen kamen. Wir
trafen uns regelmäßig in der Göttinger "Frauenteestube", die vom
Flüchtlings-Beratungszentrum betreut wurde. Irgendwann fragten sie uns, was
wir vermissen. Wir haben gesagt: die Gärten, die wir in unserer Heimat
hatten. Die Sozialarbeiterin hat dann lange gesucht und nach drei Jahren
eine Baulücke in der Göttinger Südstadt für uns gepachtet.
Wer war 1996 am ersten Interkulturellen Garten in Göttingen beteiligt?
Wir waren - neben zwei deutschen Familien - zehn Migrantenfamilien aus
Irak, Iran, Afghanistan, Äthiopien und Bosnien. Die fachliche Betreuung hat
der äthiopische Agrarwissenschaftler Tassew Shimeles übernommen. Das
Göttinger Grundstück, das wir nutzen konnten, war insgesamt 1.500
Quadratmeter groß, und je zwei Familien haben sich eine Parzelle geteilt.
Mit wem haben Sie sie geteilt?
Mit einer Iranerin. Dabei herrschte damals, in den 1980er-Jahren, Krieg
zwischen Iran und Irak. Wir haben aber sehr harmonisch zusammengearbeitet.
Politik spielte überhaupt keine Rolle für uns.
Waren Bosnier und Serben genauso entspannt?
Nein. Diese beiden Gruppen wollten sich nicht im Garten treffen. Wir haben
eine Weile verhandelt, aber am Ende haben die Serben nicht bei uns
mitgemacht. Die beiden bosnischen Familien blieben.
Wussten Sie alle, wie man gärtnert?
Nein. Einige hatten langjährige Erfahrung, andere gar keine - wie ich. Aber
wir haben uns gefühlt wie eine Familie, in der jeder jedem hilft. Ich zum
Beispiel musste meine Parzellennachbarn ständig fragen: Wie pflanze ich
eine Tomate ein, wie säe ich? Und anfangs habe ich stundenlang gegossen,
weil ich dachte, viel Wasser bringt viel Ertrag! Die Bosnier gossen einmal
pro Woche. Am Ende hatten wir kaum Ernte, und die Parzelle der Bosnier
blühte ohne Ende!
Was haben Sie gepflanzt? Gab es kulturelle Unterschiede?
Ja, große. Die Migranten haben anfangs nur Gemüse gepflanzt. Und wir haben
es trotz des Klimas geschafft, viele orientalische Sorten zu ziehen. Aber
die deutschen Frauen hatten erst nur Blumen. Ich verstand das damals nicht:
Warum machten sie sich die Mühe, wenn dann nur Blumen herauskamen? Was
bedeuteten schon Blumen?
Und heute?
… gibt es in meiner Parzelle viele Blumen, und die Deutschen bauen auch
Gemüse an. Und ich muss sagen, nach siebzehn Jahren in den Interkulturellen
Gärten habe ich unendlich viel über Kräuter, Pflanzen gelernt. Inzwischen
stelle ich Kräutertees, Salben und Öle selbst her und absolviere seit März
eine Phytotherapie-Ausbildung an einer Heilpflanzschule. Das macht mir
großen Spaß!
Aus welchen sozialen Schichten stammen die Menschen in Ihrem
Interkulturellen Garten?
Aus allen, aber das spielt keine Rolle. Wir haben einander nie gefragt: Was
hast du studiert? Solche Dinge sind hier bedeutungslos, Hierarchie hat bei
uns keinen Platz. Wichtig ist, was ein Mensch mitbringt, wie er mit Leuten
aus unterschiedlichen Kulturen umgeht und welchen Beitrag er hier leisten
kann. Ich zum Beispiel bin Akademikerin, verstehe vom Gärtnern aber gar
nichts. Die alte Frau aus dem Irak mit langjähriger Garten-Erfahrung ist
Analphabetin. Also haben wir einander ergänzt. Sie zeigt mir, wie man sät.
Und ich habe vier Jahre lang Alphabetisierungskurse für Frauen auch
außerhalb unseres Vereins angeboten.
Trotzdem klingt es, als seien die Migrantinnen weitgehend unter sich
geblieben.
Aber nein! Wir haben damals sehr bald unser erstes Sommerfest gefeiert, und
da sind die Menschen aus der Nachbarschaft regelrecht geströmt. Schnell gab
es Anfragen für weitere Gärten, sodass wir zeitweilig fünf davon in
Göttingen und Umgebung hatten. Inzwischen sind 40 Prozent unserer
Vereinsmitglieder Deutsche. Das freut uns, denn unser Ziel war immer,
Kontakt zur hiesigen Gesellschaft zu bekommen.
Auch der Einsamkeit zu entrinnen?
Ja, sicher! Ich zum Beispiel habe in der ersten Zeit nicht gewagt, allein
rauszugehen. Ich wusste nicht wohin. Anderen ging es genauso. Da war der
Garten der ideale Ort, um andere Menschen zu treffen. Und zu erfahren, dass
alle dieselben Probleme haben. Und um in Zeiten der Arbeitslosigkeit eine
Aufgabe zu haben.
Welchen Beruf haben Sie im Irak ausgeübt?
Ich war Arabisch-Lehrerin des mit 7.000 Schülerinnen größten Gymnasiums von
Bagdad, das ich auch geleitet habe.
Sprachen liegen Ihnen.
Ja. Da meine Papiere hier aber nicht anerkannt wurden, habe ich Kindern
fünf Jahre lang ehrenamtlich Arabisch beigebracht. Das waren nicht nur
Kinder arabischer Migranten, sondern auch Türken und Deutsche aus
binationalen Ehen. Inzwischen haben mir die Interkulturellen Gärten auch
beruflich neue Wege geebnet: Heute habe ich glücklicherweise eine Stelle
bei der Stiftungsgemeinschaft, die unsere Gärten betreut.
Sie sind 1982 aus dem Irak geflohen. Sind Sie je wieder hingereist?
Ja, viele Jahre später. Und ich habe auf der ganzen Strecke - von der
Grenze im Norden in Kurdistan bis Bagdad - nur geweint. Tiere, Pflanzen,
Boden: Alles war verbrannt. Der Irak wird noch lange brauchen, um sich von
der Gewalt zu befreien, mit der eine ganze Generation aufgewachsen ist.
Wo wohnen Ihre Verwandten jetzt?
Unsere große Familie, die einst unter einem Dach wohnte, ist inzwischen auf
mehrere europäische Länder verteilt. Das macht mich sehr traurig.
Angesichts der "verbrannten Erde" im Irak wirkt es wie ein Heilungsversuch,
dass Sie jetzt ausgerechnet Gärten anlegen.
Ja, klar! Abgesehen davon hat sich meine Sicht auf die deutsche
Gesellschaft inzwischen verändert. Anfangs dachte ich, die Deutschen hätten
keine Sorgen, sondern nur wir. Ich habe mich sehr auf mein, auf unser
Migrantendasein konzentriert. Mit der Zeit hat sich das relativiert.
Inwiefern?
Im Jahr 2000 habe ich auf der Expo in Hannover über die Situation von
Flüchtlingsfrauen in Deutschland berichtet. Während ich sprach, sah ich,
dass eine Frau im Publikum weinte. Ich dachte, es sei wegen meiner
Geschichte. Am Ende stand sie auf. Sie kam aus Tibet und sagte: Ich habe
dasselbe erlebt wie Sie, aber in einer anderen Ecke der Welt. Als ich das
hörte, dachte ich: Es ist höchste Zeit, dass wir uns integrieren.
Nämlich wie?
Ich fand, wir müssten uns über dieses Land, das unser Leben gerettet hat,
informieren. Wir müssten unseren Beitrag leisten. Zum Beispiel durch unsere
Gärten, mit denen wir die Natur dieser brach liegenden Grundstücke
bewahren.
Die Gärten werden vor allem von Frauen betrieben. Lernen sie dort auch
Emanzipation?
Letztlich schon, denn es bleibt ja nicht beim Gärtnern. Viele Frauen, die
meine Alphabetisierungskurse besucht haben, haben inzwischen den
Hauptschulabschluss. Für mich ist das eine große Ehre, wenn eine Frau mit
fünf Kindern, die nie zur Schule ging, jetzt Schreiben und Lesen lernt und
am Ende eine Krankenpflegerin-Ausbildung macht. Und die Kinder, die während
unserer Gartenzeit geboren sind, haben inzwischen fast alle Abitur und
Studium.
Werden die Migrantinnen von ihren Männern unterstützt?
Das ist unterschiedlich. Manche Männer sind sehr offen und demokratisch.
Andere leiden unter ihrer Arbeitslosigkeit. Denn man muss bedenken: Wenn
ein Mann, der immer alleiniger Ernährer war, zu Hause sitzt und sieht, dass
die Frau verdient und sich abmüht: Dann denkt er, es sei seine Schuld, weil
eigentlich er diese Arbeit tun müsste.
Was sagen Sie Frauen, die deswegen Probleme bekommen?
Ich habe immer gesagt: Wir sind hier in der Fremde. Wenn jemand eine Chance
auf Arbeit bekommt - egal welche und egal, ob Mann oder Frau -, müssen wir
das nutzen! Und der andere soll sich mit freuen.
Unterstützt Ihr Mann Sie?
Gottseidank ist er offen und hat mich immer unterstützt: Ich bin seit 17
Jahren in diesem Verein, und er fährt mich überall hin. Er hat immer, wenn
es nötig war, unsere Tochter betreut und mich nie gefragt: Mit wem fährst
du? Warum kommst du spät?
Wie finden die Ehemänner der anderen Migrantinnen das?
Einige empfanden es als Beleidigung, es ist für sie nicht akzeptabel.
Vielleicht haben sie Angst, dass ihre Frauen Ähnliches fordern. Es gibt
aber auch viele Männer, die die Kinder betreuen und den Haushalt führen,
wenn die Frauen unterwegs sind. Hochachtung vor solchen Männern! Aber
grundsätzlich sage ich immer, es ist eure Entscheidung. Wir im Verein
dürfen nicht versuchen, die Art, wie andere Menschen leben, zu
beeinflussen.
12 Aug 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
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