# taz.de -- Ausstellung Jean Leppien: Das Gefühl hervorgezerrt | |
> Der Lüneburger Künstler Jean Leppien lädt seine abstrakten Formen hoch | |
> emotional auf. Zu sehen sind seine Werke derzeit in Hamburg. | |
Bild: Durch die Kunstströmungen geeilt: Ausschnitt aus Jean Leppiens "Pierres … | |
HAMBURG taz | Er wolle sich befreien, hatte er gesagt. Keinem Trend | |
huldigen, sich nicht zum Sklaven irgendeines Systems machen. Hat er es | |
geschafft? Der Maler Jean Leppien, 1991 verstorben und in Frankreich viel | |
bekannter als hierzulande, hat eine Vita, die die Einordnung erschwert. | |
Eigentlich wollte Leppien, 1910 in Lüneburg geboren, Architekt werden, | |
schrieb sich 1929 am Bauhaus ein. 1930 wurde dessen Direktor entlassen, | |
Leppien sah Adolf Hitler reden – und emigrierte nach Paris. Dort traf er | |
seine spätere Frau Suzanne Ney, eine Jüdin, und schlug sich mit der | |
Gestaltung von Buchumschlägen durch. | |
Als Deutschland 1939 den Zweiten Weltkrieg anzettelte, nahmen die Franzosen | |
alle Deutschen fest. Leppien ging zur Fremdenlegion, kam 1940 zurück. Mit | |
Suzanne zog er ins nicht von der Wehrmacht besetze Südfrankreich, von wo | |
aus sie 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Jean Leppien wurde wegen | |
„Waffenhilfe für den Feind“ gefoltert und in deutsche Zuchthäuser | |
geschickt. | |
Das Paar fand sich 1945 in Paris wieder – jetzt erst begann das eigentliche | |
Leben für die Kunst. Hier setzt die Hamburger Ausstellung an, die Jean | |
Leppiens Neffen Helmut gewidmet ist: Der leitete von 1976 bis 1998 die | |
Gemäldegalerie der Hamburger Kunsthalle und wäre jetzt 80 geworden. | |
## Die Idee vom Freisein | |
Jean Leppiens Vorkriegswerke waren verloren, aber er haderte nicht lang. Er | |
war froh, frei zu sein, liebte das Licht Südfrankreichs und wurde in den | |
1950ern eine Art Bauhaus-Experte für die Franzosen. Der zwischen die Zeiten | |
geworfene Künstler suchte Anschluss an die Kollegen zu finden und muss eine | |
geradezu manische Idee vom Freisein gehabt haben, vom Suchen und | |
Nicht-Verweilen. Jedenfalls ist er mit wechselndem Tempo durch die | |
Kunstströmungen jener Jahre geeilt, und so liest sich auch die Hamburger | |
Ausstellung: da abstrakte, liniendurchwirkte Bilder à la Manessier, dort | |
Kubistisches frei nach Delaunay. Mondrian’sche Konstruktivismen neben | |
Arbeiten, die an Paul Klee oder Max Ernst erinnern. | |
Der wichtigste Theoretiker aber: Wassily Kandinsky und seine Idee, die | |
Linie nicht mehr zur Begrenzung zu nutzen, sondern als Protagonistin und | |
Geschichtenerzählerin. Leppien war lange mit der Witwe Kandinskys | |
befreundet, übersetzte dessen Schrift „Punkt und Linie zur Fläche“ ins | |
Französische. Kandinsky war es auch, der begriff, dass der Kreis | |
unbegreifbar war: Selbst die „Kreiszahl“ Pi, das Verhältnis des Umfangs | |
eines Kreises zu seinem Durchmesser, ist noch nie bis zur letzten | |
Kommastelle ausgerechnet worden. | |
Kandinsky erschien der Kreis als etwas Kosmisches – und dieses Faszinosum | |
muss in den 1970er Jahren auch Leppien gespürt haben: Auf seinen | |
„UFO-Bildern“ schwebt, wie ein Gestirn, ein farbiger Kreis über einer | |
Linie, die vielleicht die Erde ist. Symbol der ewigen Bewegung? Oder des | |
Stillstands? | |
Parallel hat Leppien Predella-Bilder gemacht. Eine Predella ist ein Gemälde | |
auf dem Sockel eines Altars, darüber hängt das Hauptbild. Genau so sind | |
Leppiens Bilder konzipiert – nur, dass die Predella abstrakte Geometrien | |
zeigt und das Hauptbild ein aufgeklebter Stofflappen ist: ein | |
„Schweißtuch“, wie Leppien es nannte. | |
## Christliche Legende | |
Das wiederum stammt aus einer christlichen Legende, in der die heilige | |
Veronika Jesus, der sein Kreuz schleppte, ihr Tuch zum Gesicht-Abwischen | |
geliehen haben soll. Warum so ein Motiv? Eine Parallele zwischen dem Mord | |
am Juden Jesus und dem Holocaust, den Leppiens Frau nur knapp überlebte? | |
Aber warum wird das Schweißtuch dann auf dem nächsten Bild zu einem mit | |
Farbtupfern befleckten Tuch? | |
Beim Gang durch die Hamburger Ausstellung wirken Leppiens großteils | |
monochrome Bilder mit jeder Minute meditativer. Da war es nur konsequent, | |
sie in die sakral wirkende Rotunde des Hauses zu hängen – und in Sichtweite | |
der Mittelalter-Altäre. Genauso intensiv wirken die späten | |
„Schießscharten“-Bilder: unscheinbar von oben ins Bild hineinragende | |
Rechtecke, bei denen man sich ohne den Titel nicht viel gedacht hätte. So | |
aber verweisen sie auf den Gefangenen, dessen einzige Freiheit das Stück | |
Himmel vorm Guckloch war. | |
Diese Bilder sind hoch explosiv und voller Emotionen, die bei leisester | |
biografischer Berührung hochlodern. Die dem Betrachter keine Chance lassen, | |
ins Unverbindliche zu fliehen. Leppien packt einen am Kragen und sagt: | |
Abstrakte Kunst ist kein Selbstzweck. Sondern eine zeitweilig gültige Form, | |
unter der man gefälligst das Sein hervorzuzerren hat. Jean Leppien hat das | |
getan. | |
## „Jean Leppien. Vom Bauhaus zum Mittelmeer“: bis 22. September, Hamburg, | |
Kunsthalle | |
12 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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