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# taz.de -- Auf einer Kryptoparty: Online ohne Obama
> Wie sie sich gegen Internet-Überwachung wehren können, lernen
> Computernutzer auf Kryptopartys - neuerdings auch in Kleinstädten.
Bild: Wahlkampfthema Datenschutz: Plakatmotiv der Piratenpartei.
HENSTEDT-ULZBURG taz | Jürgen und Dagmar Reese sind recht aufgeklärte
Internet-Nutzer. Sie haben sich ein Extra-Handy zugelegt fürs
Online-Banking. Auf dem Telefon kommen die Nummern per SMS an, die sie am
Rechner eingeben müssen, um eine Überweisung auf den Weg zu schicken. Sie
überlegen, bei ihrem nächsten Computerkauf nicht mehr auf das
Betriebssystem Windows zu setzen, sondern auf das offene Linux. Und meist
suchen sie über eine datenschutzfreundliche Suchmaschine.
Doch seit bekannt ist, wie stark die Geheimdienste das Internet überwachen,
ahnen die beiden Pensionäre, dass das nicht reicht. Dass sie zu wenig
wissen. „Wir sind verunsichert“, sagt Jürgen Reese.
Das Ehepaar ist deswegen an einem Sommersonntag im August in das Bürgerhaus
in Henstedt-Ulzburg gekommen, einer 27.000-Einwohner-Stadt in
Schleswig-Holstein, 15 Kilometer sind es zur Hamburger Stadtgrenze.
Mitglieder der Piratenpartei aus dem Ort haben zu einem „Infotag
Datenschutz“ einladen. Sie wollen erklären, wie Geheimdienste abhören, was
das zur Folge haben kann – und was Computernutzer dagegen tun können. Die
Antwort: am besten Dateien und vor allem E-Mails verschlüsseln.
Wie das geht, wollen die Piraten den Interessenten mit spezieller
Kryptografie-Software erklären. Deshalb heißen solche Veranstaltungen auch
Kryptopartys. Sie werden nicht nur von den Piraten veranstaltet, sondern
auch vom Chaos Computer Club oder Bürgerrechtsgruppen wie der Digitalen
Gesellschaft. Das Konzept für solche informellen Schulungen kommt aus
Australien.
Seit der US-amerikanische Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Details
über die staatliche Internet-Überwachung veröffentlichte, gibt es viel mehr
davon, und vor allem in Metropolen und Unistädten sind sie gut besucht. Die
Piratenpartei will das Konzept nun in die kleineren Städte tragen: nach
Neumünster, Aurich oder eben Henstedt-Ulzburg.
Das Ehepaar Reese sitzt in einem Seminarraum des Bürgerhauses. Die Tische
sind zu drei Gruppen zusammengeschoben, vorne stehen eine grüne Tafel und
eine Leinwand hinter dem Dozententisch. Auf ihm stehen ein Rechner, ein
Beamer und ein Schild der örtlichen Piratenpartei. Etwa jede Stunde gibt es
einen Vortrag mit Fragerunde. Jetzt ist Pause und Zeit für eine
individuelle Beratung: Dann helfen erfahrene Nutzer, eine
Verschlüsselungssoftware einzurichten oder beraten in anderen
Datenschutz-Fragen.
An einer der Tischgruppen richtet ein Pirat einem Besucher, der seinen
Computer mitgebracht hat, einen verschlüsselten Bereich auf der Festplatte
ein. Doch nicht alle wollen gleich so weit gehen. Die Reeses haben ihren
Laptop mitgebracht, er steht vor ihnen. Sie haben ein ganz konkretes
Problem: Die Startseite ihres Webbrowsers ist verstellt. Sie führt jetzt zu
einer Suchmaschine, die sie nicht kennen und nicht nutzen wollen. Sie
wollen wieder ihre datensparsamere Google-Alternative Startpage, die
behauptet, nicht jede Interaktion wegzuspeichern. Doch die
Browser-Einstellungen einfach zu ändern, hilft nicht – auch bei Oliver
Grube nicht.
Er ist Pirat, kandidiert für den Bundestag und arbeitet im Bereich der
IT-Sicherheit für einen Konzern. Er steckt einen USB-Stick in den Rechner,
startet ein Analyse-Programm und findet heraus, woran es liegt: Auf dem
Laptop gibt es eine Software, die auch die Startseiten-Einstellung des
Browsers kontrolliert.
Zur Piratenpartei passen solche Veranstaltungen, denn es geht um ihr
Kernthema – und es ist Wahlkampf. Grube hat mit Parteifreunden dafür
gesorgt, dass es die auch in Henstedt-Ulzburg gibt. Acht Stunden lang läuft
dieser Infotag. Etwa zehn weitere Besucher sind im Raum, als Grube den
Reeses hilft. Es kommen immer wieder welche dazu, andere gehen. Auffallend
ist: Die Gäste sind meist über 50, meist Männer. Dazu kommt etwa ein
Dutzend Piraten, die beraten oder über ihre Partei informieren. Am Abend
verkündet die Partei per Pressemitteilung: 80 Besucher seien da gewesen.
„Nicht jeder von uns ist ein Sicherheitsexperte“, sagt Pirat Markus
Spiering. Er selbst verschlüssele E-Mails noch nicht. Es seien eben nicht
alle Piraten IT-Spezialisten. Neben ihm steht Parteifreundin Claudia Beyer.
Sie ist überrascht vom Zuspruch: „Wir werden so etwas vielleicht auch nach
der Wahl machen.“
Für die Piraten ist das Format praktisch. Sie können Bürgern helfen,
Sympathiepunkte sammeln und ihr Kernthema einer breiteren
Bevölkerungsschicht erklären: digitale Bürgerrechte. In den Gesprächen geht
es dann zwar vor allem um konkrete Fragen am Rechner, doch tragen viele
Piraten ihre Partei-T-Shirts, und natürlich liegen Flugblätter auf einem
Tisch. Die Aufforderung „Piraten wählen“ kommt in einem Infovideo vor, aber
das ist nicht präsenteste Botschaft. Es könnte sein, dass sich die
Kryptopartys für die Piratenpartei zu so etwas entwickeln wie die
Hartz-IV-Beratungen bei der Linkspartei: zu einem Teil des
Standardprogramms der Partei.
Ein Gast kommt herein. Wieder ein älterer Herr, schon lange in Rente, in
der Stofftasche ein Laptop. Er stellt sich als einfacher Nutzer vor – doch
bald wird klar: Er war früher so etwas wie ein Informatiker, hat sich um
Großrechner gekümmert. Jetzt will er die E-Mail-Verschlüsselung lernen.
Grube entfernt das Programm auf dem Rechner der Reeses, stellt die
Startseite richtig ein und startet den Rechner neu. Währenddessen fragt ihn
das Ehepaar aus. Was er denn von Online-Banking über Software halte? Und
wie sicher es denn sei, die Codenummern, die TANs, für eine
Online-Überweisung per SMS zu bekommen? Grube antwortet geduldig. Eine
Software speziell fürs Internet-Banking zu nutzen sei sicherer als die
Geldzahlungen direkt im Webbrowser abzuwickeln, sagt er. Und er warnt
davor, sich Bank-SMS auf Smartphones schicken zu lassen. Die seien, sagt
er, viel zu leicht zu hacken.
Nach dem Neustart des Rechners der Reeses weist er noch auf ein
installiertes, aber nicht genutztes problematisches Zusatzprogramm hin.
Jürgen Reese guckt interessiert zu. „Ich glaube, wir müssen in unserem
Alter doch noch eine Menge lernen“, sagt er. „Ich möchte das nicht lernen�…
erwidert seine Frau. „Da kommen wir wohl nicht drum herum“, sagt Jürgen
Reese. Er habe so viele Fragen. Die könne er doch beim Piraten-Stammtisch
in Henstedt-Ulzburg stellen, schlägt Dagmar Reese vor. Da schaltet sich
Grube ein: „Wir sind in erster Linie eine politische Partei.“ Aber
natürlich könne man am Rande mal fragen.
Und wollen die beiden jetzt ihre Mails verschlüsseln? „Wir überlegen noch�…
sagt Dagmar Reese. Die beiden haben schon einen Vortrag gehört. Jürgen
Reese fürchtet keine persönlichen Konsequenzen aus der Überwachung seiner
Internet-Aktivitäten: „Obama kann das eigentlich alles wissen“, sagt er.
Doch grundsätzlich hat er Bauchschmerzen: „Wie weit das geht, das macht
einem Angst.“
19 Aug 2013
## AUTOREN
Daniel Kummetz
## TAGS
Piratenpartei
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