| # taz.de -- Punk-Festival: Im Lederjacken-Museum | |
| > Was ein „Hamburger Kultursommer“ so alles bringt: Die angejahrten | |
| > Punkbands Slime und Bad Religion (und ein paar andere) beschallen eine | |
| > umgewidmete Pferdesportanlage. Aber wer will da, bitte, den ersten Stein | |
| > werfen? | |
| Bild: Bierbenetztes, bleiches Fleisch in körnigem S/W: Slime, lange bevor sie … | |
| Vor einigen Monaten auf dem Steindamm in Hamburg-St. Georg: eine | |
| überschaubare Traube angejahrter FC-St.-Pauli-Anhänger, noch Angejahrtere | |
| mit K-Gruppen-Geschichte, dazwischen solche, die beider Söhne und Töchter | |
| sein könnten. Drinnen, in Hamburgs verdienstvoller | |
| Linksaußen-Kleinkunstbühne, dem Polittbüro, stellt ein Verlag mit dem Wort | |
| Hardcore im Namen ein [1][Buch] vor, geschrieben vom Schweizer Journalisten | |
| Daniel Ryser, über die Hamburger Punkband Slime. | |
| Neben vorgelesenen Passagen gibt es an jenem Abend im Polittbüro eine | |
| Diashow zu sehen – viel bierbenetztes, bleiches Fleisch und schwarzes Leder | |
| in körnigem S/W –, ein Roundtable-Gespräch Rysers mit den verbliebenen drei | |
| Alt-Mitgliedern der immer wieder eingefrorenen, aufgetauten und zuletzt | |
| umbesetzt neu ausgerufenen Band: Sänger Dirk „Dicken“ Jora, die Gitarristen | |
| Christian Mevs und Michael „Elf“ Mayer. | |
| Und dann spielen diese Drei ein paar alte und ein paar neuere Stücke, | |
| entgegen der Ankündigung nur beinahe unplugged. Dass bloß niemand | |
| unkontrolliert Bilder fürs Internet mache, darüber wacht die Hausherrin, | |
| das stehe so in den Verträgen. | |
| Wer will, kann an so einem Abend das ganze Elend festmachen: das einer | |
| Handvoll erkennbar alt gewordener Jungs aus Hamburg-Hamm und -Langenhorn, | |
| die damals maximal auf die Kacke hauten, an deren Konzerte sich regelmäßig | |
| (und noch vor Kurzem) Saal- und Straßenschlachten anschlossen – nicht erst | |
| dann, wenn sie entgegen behördlicher Auflagen doch eines ihrer diversen auf | |
| dem Index gelandeten Stücke spielten; die neben Dosenbier-Trinken und | |
| Fußball-Kucken eben auch das Mollis-Bauen ausriefen, neben | |
| „Disco-Wichsern“, „Bullenschweinen“, klar, auch gleich ganz Deutschland… | |
| baldigen Tod an den Hals wünschten. | |
| Aus Slimes Straßenkampfhymnen-Repertoire stammt ja auch der Titel von | |
| [2][Rysers Buch], „Deutschland muss sterben“, im Lied damals, 1980, | |
| fortgesetzt mit „Damit wir leben können“. Eine Umkehrung jenes Spruchs, den | |
| ein Bildhauer 1936 in urdeutschen Muschelkalk meißelte, bis heute gut | |
| sichtbar unweit des Hamburger Dammtor-Bahnhofs: „Deutschland muss leben/ | |
| und wenn wir sterben müssen“. | |
| Das Elend vielleicht auch eines ganzen Phänomens namens Punk, nie bloßes | |
| Musik-Genre, immer auch ein Identifikationsangebot, von Anfang an so | |
| maximal authentisch verstanden wie maximal unauthentisch; so widerspenstig | |
| wie kalkuliert. Nun also „Deutschland muss sterben“, höchstrichterlich | |
| bestätigt von der Kunstfreiheit gedeckt, in gehobener Zimmerlautstärke, ein | |
| paar nostalgische Tränchen blitzen in den Augenwinkeln, und der Aufstand | |
| besteht im unerlaubten Aktivieren des iPhones. Schlimm. Oder nicht? | |
| Auf bundesdeutschen Lederjacken und Federmäppchen traf der selbstgebastelte | |
| Slime-Schriftzug in den 80er- und vor allem 90er-Jahren mit hoher | |
| Wahrscheinlichkeit auf ein anderes Beispiel der – im Rückblick geradezu | |
| visionären – Selbstvermarktung, wie sie viele Punkbands betrieben: ein | |
| christliches Kreuz, schwarz auf weißem Rund, drum herum ein roter Kreis mit | |
| Schrägbalken. Mit diesem Glauben-verboten-Schild umgaben sich von Anfang an | |
| Bad Religion, um 1980 ein paar schmalbrüstige Teenager aus irgendeiner | |
| Vororthölle im Hippie-Kapitalismus- und Ronald-Reagan-Bundesstaat | |
| Kalifornien. | |
| Sie machten anfangs, was viele andere High-School-Kollegen in anderen | |
| Garagen auch machten: kreuzten den örtlich arg präsenten Sound des | |
| 60er-Jahre-Surf mit neu entdecktem Punkrock-Rotz, blieben dabei textlich | |
| stets halbwegs brav. Ihre Phase des Verschwinden-und-wieder-Auftauchens | |
| brachten sie gleich ziemlich zu Beginn hinter sich, nach einem dann lange | |
| verschollenen zweiten Album, auch ein paar Halluzinogene sollen im Spiel | |
| gewesen sein. | |
| Seit Ende der 80er dann fräst die Band um Sänger Greg Graffin ihren längst | |
| rührend konservativen Drei-Akkorde-und-ein-Solo-Core ins jeweilige | |
| Trägermaterial, wurde damit gerade auch in Europa zu echten Lieblingen | |
| aufmüpfig gesinnter Gymnasiasten – und weil sie sich nie so weit aus dem | |
| Parolenfenster gelehnt hatten wie so mancher ihrer Proberaum-Nachbarn, | |
| bewahrten Bad Religion dabei stets so etwas wie, nun, Würde. | |
| Zwischenzeitlich promovierte Graffin in Evolutionsbiologie – und das ist | |
| heutzutage mancherorts ja mindestens eine so anstößige Sache wie damals ein | |
| paar bunte Haare. | |
| Nicht nur, dass sie zeitweise unzählige ähnlich klingende Kapellen hinter | |
| sich herzogen: Exemplarisch waren Bad Religion auch insofern, als Gitarrist | |
| Brett Gurewitz aus der anfänglichen Briefkastenfirma ein bis heute | |
| bestehendes Independent-Label formte – zu dem Bad Religion, nach dem | |
| beinahe obligatorischen Ausflug zu einem Major, dann zurückkehrten. | |
| Zu sehen, dass die Helden von einst alt geworden sind, auch: man selbst | |
| ganz schön alt geworden ist und das alte T-Shirt auch schon ganz schön | |
| spannt: Das das ist ja nur dann ein Problem, wenn man damals den ganzen | |
| Scheiß ernst genommen hat: das „Live Fast Die Young“ (wie 1980 die Circle | |
| Jerks, auch so eine typisch kalifornische Punkrockband, einen Slogan in | |
| drei scheppernde Akkorde goss – der da, als Liedtitel, auch schon beinahe | |
| 30 Jahre alt war) und das „Trau’ keinem über 30“ (das um 1968 ff. auch | |
| hierzulande vielen als eine Art Gesetz galt). | |
| „Schluß mit Militanz um jeden Preis / Schluß mit eurem ’No Future‘-Sche… | |
| Schluß mit wehenden roten Fahnen / Schluß mit As an die Wand malen“: Das | |
| röhrte Slimes Dicken schon 1983 von den Bühnen besetzter Häuser und von | |
| LKW-Ladeflächen, während nebenan, hinter der Polizeiabsperrung, der Nazi | |
| marschierte oder Minister die Pershing-II-Stationierung verhandelten. (Und | |
| gegen die angeblich dräuende Aufführung des Slime-Zweiminüters | |
| „Bullenschweine“ mobilisiert heutzutage wieder die Polizeigewerkschaft.) | |
| „Hamburg Crash Fest“ mit NOFX, Bad Religion, Slime, Mad Caddies, Montreal: | |
| Do, 22. August, Hamburg, Trabrennbahn | |
| www.hamburgerkultursommer.de/849/hamburg-crash-fest/ | |
| 18 Aug 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!113853/ | |
| [2] http://www.perlentaucher.de/buch/daniel-ryser/slime.html | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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