# taz.de -- Linkenpolitikerin Artus über Gender Budgeting: „Das sind dicke B… | |
> Eigentlich sollte Gender Budgeting, das Aufschlüsseln öffentlicher | |
> Ausgaben nach Geschlechteraspekten, längst Praxis sein. Tatsächlich blieb | |
> es Theorie | |
Bild: Anders als früher beinahe gemainstreamt: Fast die Hälfte des Senatsbugd… | |
taz: Schon 2008 wollte die Bürgerschaft, die Einführung von Gender | |
Budgeting prüfen lassen. Warum hat sich so wenig bewegt, Frau Artus? | |
Kersten Artus: Es war nicht gewollt. Wir hatten damals eine schwarz-grüne | |
Regierung, die Grünen waren für die Umsetzung eines Gender Budgetings, aber | |
die CDU hat es nie ernsthaft betrieben. | |
Sie haben 2012 einen Antrag gestellt, mit dem Gender Budgeting ernst zu | |
machen. Was versprechen Sie sich davon? | |
Gender Budgeting bedeutet, dass die Ausgaben eines Staates nach | |
Geschlechtergesichtspunkten überprüft werden. Wenn ich einen Euro ausgebe, | |
benachteiligt oder bevorteilt er ein Geschlecht – zulässigerweise oder | |
unzulässigerweise. Das kann man dann korrigieren. | |
Das eine ist das Aufschlüsseln der Ausgaben, das andere ist die | |
Wirkungsanalyse. Wenn man, wie in Berlin, feststellt: 75 Prozent der | |
Volkshochschul-Nutzer sind weiblich – was macht man dann mit diesem Befund? | |
Dann muss man diskutieren, ob man auch Kurse anbietet, die Männer stärker | |
interessieren. Oder man muss sich fragen, ob man die Ausschreibung oder die | |
Zeiten ändert. Man kann aber auch zum umgekehrten Schluss kommen: In Berlin | |
hat man in den eher multikulturellen Bezirken gesagt: Wir wollen den | |
migrantischen Mädchen diese Schutzräume lassen und nicht mehr Jungen | |
hereinholen. In den eher bürgerlichen Bezirken hat man dagegen gezielt | |
Jungen angesprochen und Material für sie gekauft. | |
Kritiker des Gender Budgetings – unter anderem der Bund der Steuerzahler – | |
halten das System für zu kompliziert, um praktikabel zu sein. | |
Der Bund der Steuerzahler ist da in einer absoluten Minderheit. Man muss | |
zwar gucken, ob sich Ausgaben oder der bürokratische Aufwand erhöhen. Aber | |
es muss heute eine Schlüsselqualifikation sein, die Geschlechterfrage | |
mitzudenken. Es findet eine unglaubliche Ressourcenvergeudung statt, weil | |
die Teilhabe der Geschlechter in vielen Bereichen nicht ausgewogen | |
ermöglicht wird. | |
Hätten Sie da ein Beispiel? | |
Bei einer Expertenanhörung zu Gender-Medizin hat uns ein Männerforscher | |
erzählt, dass die Diskussion um frühe Hilfen völlig genderfrei geführt | |
wird. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass kleine Jungen gewaltgefährdeter | |
sind. Oder beim Gründungsverhalten, da haben wir eine konkrete Datenlage: | |
Frauen gelten als risikoärmer und sind an eher kleinen Krediten | |
interessiert. Also müsste unsere neue Investitions- und Förderbank mehr | |
Mikrokredite anbieten. Oder in der Pflege: Frauen in höheren Pflegestufen | |
wird weniger Pflegehilfe zugestanden als Männern. Dann hat man | |
festgestellt, dass die Frauen, die das bewilligen, ihren | |
Geschlechtsgenossinnen eher zutrauen, dass sie das bewältigen. | |
Wäre eine Aufschlüsselung der Ausgaben nach sozialen oder | |
migrationspolitischen Aspekten nicht genauso wichtig wie die nach | |
Geschlecht? | |
Der Diversity-Blick wird auch immer wieder betont. Diese Daten sind | |
mittlerweile recht gut vorhanden. Wir haben beim Gender-Budgeting aber die | |
Thematik, dass es um die Hälfte der Bevölkerung geht, die seit | |
Jahrhunderten strukturell und systematisch benachteiligt wird. | |
Die SPD hat das Gender Budgeting in ihr gleichstellungspolitisches | |
Rahmenprogramm geschrieben. Hat sich der Antrag der Linken zum Thema damit | |
nicht erledigt? | |
Der sozialdemokratische Senat nimmt die Gleichstellung sehr viel ernster | |
als Schwarz-Grün. Ich bin nur ein bisschen in Sorge, weil im | |
gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm steht, dass es kein Geld kosten | |
darf. Außerdem wird in weiten Teilen nur Bestandsaufnahme gemacht – wie das | |
Gender Budgeting vonstatten gehen soll, steht nicht darin. | |
Wie optimistisch sind Sie, dass geschlechtergerechte Finanzen in Hamburg | |
bald Alltag sein werden? | |
In den Ausschüssen ist der genderpolitische Blick noch nicht sehr weit | |
geöffnet. Da sind noch dicke Bretter zu bohren. | |
1 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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