| # taz.de -- Asyl: Ein Zufluchtsort verwahrlost | |
| > Die Situation in einer von Flüchtlingen besetzten Schule hat sich | |
| > verselbstständigt. Der Innensenator kritisiert den Bezirk – dieser will | |
| > nun mit den Bewohnern verhandeln | |
| Bild: Bewohner und Anwohner der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-K… | |
| Artur Okafors Heimstätte ist gerade eine graue Matratze. Im Grunde nicht | |
| mal die. Er teile sie sich mit einem anderen Afrikaner, sagt der Ghanaer. | |
| Mit dem Schlafen wechsle man sich ab. Wenn es sein müsse, passten sie auch | |
| mal zu zweit darauf. | |
| Die Matratze von Okafor liegt in der Aula der früheren | |
| Gerhart-Hauptmann-Oberschule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg. Letzten | |
| Dezember wurde die leerstehende Schule von etwa 60 Flüchtlingen besetzt, | |
| die für mehr Rechte protestierten. Der Bezirk, Eigentümer des Hauses, | |
| duldete die Besetzung als Winterhilfe für das Flüchtlingscamp am | |
| Oranienplatz, zahlt Strom und Wasser. Doch nun muss er einräumen, dass sich | |
| die Sache verselbstständigt hat. | |
| Seit Monaten schon ist der Info-Posten im Erdgeschoss verschwunden, an dem | |
| Flüchtlinge und Unterstützer über ihr Anliegen informierten – und Fremde | |
| abwiesen. An diesem Nachmittag herrscht im Treppenhaus und in den | |
| Graffiti-überzogenen Fluren reger Betrieb. Türen schlagen auf und zu, in | |
| den einstigen Klassenräumen wird auf Matratzenlagern geplaudert. Im | |
| Vorderhaus werden in einer improvisierten Küche Gemüsespenden verarbeitet. | |
| Längst ist die Schule weithin bekannter Anlaufpunkt für Gestrandete: für | |
| Asylbewerber aus der ganzen Republik, für Arbeitssuchende aus Osteuropa, | |
| für gänzlich Papierlose. Für Menschen wie Artur Okafor. Seit einer Woche | |
| sei er hier, erzählt der 28-jährige Ghanaer, der eigentlich anders heißt. | |
| Er komme aus Italien, habe dort eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, aber | |
| keine Arbeit. Also ging er nach Berlin. Andere Flüchtlinge hätten ihn auf | |
| die Schule hingewiesen. Es sei in Ordnung, sagt er, immerhin habe er ein | |
| Dach über dem Kopf. Der Bezirk geht von gut 200 Flüchtlingen aus, die | |
| inzwischen hier leben. Die Flüchtlinge sprechen auch von mehr. Die | |
| Fluktuation ist groß. „Im Moment“, gesteht Bezirksstadtrat Hans Panhoff | |
| (Grüne), „haben wir die Situation dort nicht mehr wirklich unter | |
| Kontrolle.“ | |
| Denn eigentlich hat der Bezirk andere Pläne mit der Schule. Lokale | |
| Initiativen sollen dort einziehen, im Frühjahr startete der Bezirk ein | |
| Vergabeverfahren. Rund 50 Projekte erklärten sich – aber das Verfahren | |
| liegt seit April auf Eis. Weil das Haus weiter besetzt ist und der grün | |
| geführte Bezirk eine Räumung ausschließt. Und weil auch die Initiativen | |
| erklärten, nicht einzuziehen, wenn dafür geräumt werden müsste. | |
| Nur ist die Situation in der Schule derzeit mehr als chaotisch. Die | |
| Bewohner sind sich selbst überlassen, ihre Asylverfahren laufen in anderen | |
| Bundesländern oder sie haben gar keine. Im Haus gibt es keine Duschen, | |
| Toiletten stehen unter Wasser. In den Fluren liegt Müll. Nicht wenige | |
| Fensterscheiben sind eingeschlagen, einige notdürftig mit Laken verhangen. | |
| Immer wieder kommt es auch zu Gewalt. „Wir brauchen mehr Sicherheit“, sagt | |
| ein Marokkaner, der seit Monaten in der Schule lebt. Ständig kämen neue | |
| Leute, die keiner kenne. Die Hygiene sei „schrecklich“. Und dennoch, sagt | |
| der Mittvierziger, sei es „besser als auf der Straße“. | |
| Der Bezirk setzt nun auf Dialog. Am Freitag will sich Panhoff mit den | |
| Bewohnern treffen. Er wolle über praktische Fragen sprechen, sagt der | |
| Stadtrat, über Sauberkeit oder den Einbau von Duschen. Die Bewohner müssten | |
| aber auch selbst Ordnung halten. Zuletzt stellte das Bezirksamt einen | |
| Müllcontainer auf, kaufte für 1.000 Euro Putzmittel. | |
| Inzwischen sieht aber auch Innensenator Frank Henkel (CDU) auf die Schule – | |
| und kritisiert den Bezirk scharf. „Wenn das wichtigste Problem für den | |
| Stadtrat die Mülltrennung ist, stelle ich die Frage, ob dort noch | |
| Realitätsbezug herrscht“, poltert er. Die Situation in der Schule sei mit | |
| Blick auf den nahenden Winter kaum weiter verantwortbar. Es sei eine Sache, | |
| so Henkel, dass die Asylbewerber offenbar bereit seien, für ihre Anliegen | |
| auch Missstände hinzunehmen. „Nicht nachvollziehbar ist, dass das | |
| Bezirksamt da mitmacht.“ | |
| Freiwillig gehen wollen die Bewohner nicht. Ein Sudanese, einer der letzten | |
| Flüchtlingsaktivisten in der Schule, schließt einen Auszug derzeit aus: | |
| „Der Winter kommt und wir brauchen Schlafplätze.“ Neben dem Oranienplatz, | |
| „unserem politischen Kampfplatz“, bleibe die Schule ein wichtiger | |
| Rückzugsraum. | |
| Auch Panhoff glaubt nicht an eine schnelle Lösung. Zu heterogen und | |
| unorganisiert seien die Bewohner der Schule. Klar aber sei: „So wie jetzt | |
| kann es nicht dauerhaft weitergehen, für keine Seite.“ Deshalb, so Panhoff, | |
| setze er nun auf die Gespräche. Und auf Kompromissbereitschaft. | |
| 3 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |