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# taz.de -- Protest: "Schall und Rauch abwählen"
> Vor dem Kanzleramt demonstrieren 500 Menschen gegen Fluglärm. Am
> stärksten betroffen sind die Anwohner von Tegel - aber von denen ist
> niemand hier.
Bild: Den stärksten Applaus des bürgerlichen Publikums für einen Politiker e…
Am Anfang erinnert die Fluglärm-Demonstration an eine Hochzeit, bei der
alle Verwandten auf die Bühne dürfen, um dort etwas aufzuführen. Einer gibt
Zarah Leander und singt eine selbst umgedichtete Version von „Ich weiß, es
wird einmal ein Wunder geschehen“. Eine Frau hat sich den Schlager „Ein
bisschen Frieden“ genommen, in ihrer Version lautet der Titel „Ein bisschen
Fliegen“. Und ein Dritter spielt eine Mischung aus Matthias Platzeck und
Klaus Wowereit und verteidigt den Flughafen in satirischer Form: „Wir
verlängern Ihre Lebenszeit! Mit nur noch fünf Stunden Schlaf und acht
Stunden Arbeit haben Sie jeden Tag elf Stunden Freizeit!“
Es ist Samstagmittag, rund 500 Menschen demonstrieren vor dem Kanzleramt
gegen Fluglärm, ein paar auch gegen die Verlängerung der Autobahn 100. Ihr
gemeinsames Motto: „Schall und Rauch abwählen“. Die meisten Demonstranten
sind Eigenheimbesitzer mittleren Alters aus dem Berliner Umland, die von
den zukünftigen BER-Flugrouten betroffen sind.
Von den Anwohnern des Flughafens Tegel scheint niemand hier zu sein, obwohl
dort viel mehr Menschen betroffen sind. Ihr Fluglärm wird allerdings eines
Tages von alleine verschwinden: Sobald der neue Großflughafen BER eröffnet,
soll Tegel laut den Versprechungen der Politik schließen. Warum also
demonstrieren, wenn abwarten reicht?
Zudem weichen die Ziele der beiden Anwohnergruppen voneinander ab. Den
heftigsten Applaus für eine Politiker-Rede erhält Martin Delius von der
Piratenpartei, als er fordert, den milliardenteuren BER-Neubau in
Schönefeld aufzugeben und weiter entfernt von der Stadt nochmal an einem
neuen Standort ganz von vorne zu beginnen. Die Konsequenz daraus wäre
allerdings: Bis der neue Flughafen fertig ist, müsste Tegel offen bleiben.
Die Anwohner dort wollen aber ihre Ruhe so schnell wie möglich – sie hoffen
darauf, dass der Flughafenneubau in Schönefeld zügig eröffnet.
Vom Kanzleramt zieht die Demonstration dann 50 Meter weiter vor das
Paul-Löbe-Haus des Bundestages. Uwe Hiksch von den Naturfreunden fordert,
dass Fracht auf Schife gehöre, nicht auf Flugzeuge: „Es ist besonders
pervers, dass wir hier Blumen kaufen, die in Kenia gezüchtet wurden, die
dort den Menschen das Grundwasser wegnehmen und die hier mit
Ausnahmegenehmigungen nachts landen dürfen.“
Viel Applaus erhält auch seine Forderung nach einem Verbot aller
innerdeutscher Flüge, die in Berlin 42 Prozent der Starts und Landungen
ausmachen würden. Hiksch: „Es kann doch nicht sein, dass Menschen unter
Lärmterror leiden, damit andere eine Stunde Fahrzeit einsparen!“ Er ruft
die Demonstranten zum Widerstand auf und sagt: „Wir werden die Politiker
nicht schlafen lassen, bis dieser Flughafen und diese Autobahn 100 gestoppt
sind!“
Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer kritisiert, dass den
Fluggesellschaften in Europa jährlich Kerosin- und andere Steuern in Höhe
von 30 Milliarden Euro erlassen werden. „Man stelle sich vor, wir würden
dieses Geld zehn Jahre lang in den Ausbau von Hochgeschwindigkeitstrassen
für Züge stecken!“ Das würde Bahnfahren attraktiver machen, den Flugverkehr
halbieren und somit Emissionen und Lärm reduzieren. „Wir müsen die
Subventionen und Investitionen in die falsche Richtung stoppen!“ Dafür
brauche es nicht einmal mehr Geld, sagt Cramer, sondern nur eine andere
Politik.
Der Applaus der Anwesenden bei solchen Forderungen ist zwar laut. Dennoch:
Die Zahl von nur 500 Teilnehmern bleibt unter den Erwartungen angesichts
des Termins zwei Wochen vor der Bundestagswahl, dem Ort direkt vor dem
Kanzleramt, dem Aufruf durch ein breites Bündnis und dem guten Wetter.
Insgesamt scheint die Luft bei dem Thema weitgehend raus zu sein. Eine
Unterschriftensammlung soll jetzt noch mal mobilisieren: Das
Nachtflugverbot soll von derzeit 0 bis 5 Uhr ausgeweitet werden auf 22 bis
6 Uhr. Ziel ist eine landesweite Volksabstimmung – bis dahin sind aber noch
ein paar Hürden zu nehmen und vor allem 170.000 Unterschriften zu sammeln.
9 Sep 2013
## AUTOREN
Sebastian Heiser
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