Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hilfe für Opfer rechter Gewalt: „Ein untragbarer Zustand“
> Seit 15 Jahren hilft die Opferperspektive Betroffenen rechter Gewalt in
> Brandenburg. Das Angebot, fordert ihr Geschäftsführer, brauche es endlich
> auch in Westdeutschland.
Bild: Für Nazis höchstens den Kehrricht: Demonstranten putzen symbolisch Stra…
taz: Herr Reinert, Ihre Opferperspektive setzt sich in Brandenburg seit 15
Jahren für Opfer rechter und rassistischer Gewalt ein. Und dann wird die
NSU-Mordserie bekannt, in der Ermittler jahrelang rechtsextreme Motive
nicht prüften, die Opfer verdächtigten. Hatten Sie mit so etwas noch
gerechnet?
Marcus Reinert: Die Mordserie war für uns natürlich ein großer Schock. Aber
das, was zu dem NSU-Komplex bekannt wurde, kennen wir tatsächlich aus
unserer alltäglichen Arbeit: Dass Opfern nicht geglaubt wird, dass eine
rassistische Tatmotivation nicht ernst genommen wird.
War Ihre Arbeit vergebens?
Nein. Es zeigt aber umso mehr, wie wichtig unser Ansatz nach wie vor ist.
Die Gründer der Opferperspektive kamen aus der Antifa-Szene. Warum
entschied man sich dort 1998 für Opferhilfe?
Sie müssen sich die damalige Zeit vergegenwärtigen: In Brandenburg war der
Rechtsextremismus in weiten Flächen geduldeter Alltag. Wurde über rechte
Gewalt diskutiert, dann immer mit starker Täterzentrierung. Ein Stichwort
war die akzeptierende Jugendarbeit, die darauf hoffte, man müsse
rechtsextreme Jugendliche nur besser betreuen, dann legen sie ihre
Ideologie ab. Das Gegenteil war der Fall: Ohnehin schon starke rechte
Szenen wurden noch mal gestärkt. Und mit dem Blick auf die Täter wurde den
Opfern die Solidarität vorenthalten. Genau dagegen wendete sich das Konzept
der Opferperspektive.
Also ein Weißer Ring von links?
Nein, es geht um mehr. Wir wollen den Betroffenen rechter Gewalt helfen,
die schwer damit zu tun haben, was ihnen angetan wurde. Aber unsere Arbeit
hat auch eine politische Dimension: Wir wollen die gesellschaftlichen
Zustände verändern, aus denen heraus diese Taten geschehen.
Gerade in der Anfangszeit galt die Opferperspektive vielerorts als
Nestbeschmutzer. Wie sind Sie damit umgegangen?
In den Anfangsjahren wurde rechte Gewalt stark verharmlost. Man wollte
nicht wahrhaben, dass es ein Problem mit rechten Strukturen vor Ort gab. Da
war natürlich ein Projekt, das dieses Thema ans Tageslicht zieht, ein
Problem. Aber wir wollten ja die Politik unter Druck setzen, das Problem
nicht mehr schönzureden. Es hat funktioniert.
Inwiefern?
Es gibt weiter ein Problem mit rechter Gewalt, aber es sind weniger Taten
geworden. Und der Umgang damit hat sich verändert. Heute finden wir viel
leichter Ansprechpartner vor Ort, die Rechtsextremismus als Problem
anerkennen und angehen. Auch auf der staatlichen Seite, in der Justiz oder
bei den Ermittlungsbehörden wird sehr viel restriktiver gegen rechte Gewalt
vorgegangen. Da hat sich ein beachtlicher Wandel vollzogen.
Gab es einen Fall in Ihrer Arbeit, der Sie besonders erschüttert hat?
Mir hat sich der Fall des Punks Enrico S. sehr eingeprägt. Er wurde 2003 in
Frankfurt (Oder) von Rechten brutal ermordet.
Wie haben Sie diesen Fall aufgearbeitet?
Wir haben seine Mutter begleitet, die mit dem Verlust ihres Sohnes umgehen
musste. Und wir haben öffentlich immer wieder auf den politischen
Hintergrund der Tat hingewiesen, der bis heute nicht als rechte Gewalttat
anerkannt ist.
Das könnte sich ändern: Seit dem Frühjahr lässt Brandenburg mehrere
Mordfälle im Land auf einen rechtsextremen Hintergrund prüfen.
Wir und andere haben das ja schon seit Jahren eingefordert. Offiziell
werden in Brandenburg nur neun Menschen als Todesopfer rechter Gewalt
anerkannt. Das kann aber nicht sein: Wir zählen mindestens 28. Diesen
Widerspruch gilt es zu klären, auch bundesweit, wo die Zahlen ebenso
auseinanderklaffen.
Kann man bei rechter Gewalt überhaupt noch von einem rein ostdeutschen
Problem reden?
Nein. Und so war es auch nie. Ich habe Seminare in Bayern gehalten und da
wurde deutlich, dass es dort ein massives Problem mit rechter Gewalt gibt.
Nur herrscht in Westdeutschland ein Wahrnehmungsproblem. Rechte Taten
werden dort nicht flächendeckend dokumentiert und nicht öffentlich
diskutiert, weil dafür entsprechende Stellen fehlen, die dies tun. Auch
Betroffenen dieser Gewalt fehlen qualifizierte Ansprechpartner. Das ist ein
untragbarer Zustand.
Also müsste man die Opferperspektive nach Westdeutschland exportieren?
Im Grunde ja. In jedem Bundesland werden Beratungsstrukturen gebraucht, die
mit genügend Mitteln ausgestattet nach den Standards arbeiten können, die
in den letzten 13 Jahren von den Beratungsstellen in Ostdeutschland
entwickelt wurden.
Wird die Opferperspektive jemals überflüssig?
Das kann ich so nicht beantworten. Wir haben seit vier Jahren auch ein
Antidiskriminierungsprojekt, weil wir gemerkt haben, dass bei Betroffenen
mit Migrationshintergrund die Gewalttat immer nur ein Teil ist und die
alltäglichen rassistischen Diskriminierungen genauso schwer wiegen. Seitdem
wir dieses Projekt betreiben, erfahren wir noch mal viel stärker, wie breit
etwa Rassismus in der Gesellschaft verankert ist. Dass sich das in
absehbarer Zeit ändert und wir uns bald schöneren Dingen widmen können, da
bin ich leider doch sehr skeptisch.
13 Sep 2013
## AUTOREN
Konrad Litschko
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.