# taz.de -- Wandern in Schottland: Von Küste zu Küste | |
> Schottlands neuer Fernwanderweg, der Stevenson Way, führt durch die | |
> Highlands. Er folgt der Spur der Helden des Romans „Kidnapped“. | |
Bild: Mit Kompass und Karte kann in den Highlands jeder selbst die Strecke such… | |
Frankreich hat ihn schon lange: Einen Stevenson-Trail. Warum also, dachte | |
sich der schottische Wanderführer Ian Logan, sollte der wohl bekannteste | |
Schriftsteller Schottlands, Robert Louis Stevenson, nicht auch in seiner | |
Heimat einen Weg bekommen? „Stevenson war ein echter Abenteurer. Er hat | |
ganz Schottland zu Fuß durchstreift“, erklärt Logan, der dem Volksautor was | |
seine Kenntnis der Highlands betrifft in nichts nachsteht. | |
Der 60-Jährige machte sich vor einigen Jahren daran, eine Route | |
auszutüfteln, die er dem Autor von „Die Schatzinsel“ und „Dr. Jekyll und | |
Mister Hyde“ widmen konnte. Der neue „Stevenson Way“ folgt nun der Route, | |
die der Held des Romans „Kidnapped“ genommen hat – jener | |
Abenteuergeschichte um den siebzehnjährigen Waisenjungen David Balfour, der | |
nach einem Schiffbruch an der Westküste Schottlands angespült wird und sich | |
auf die Suche nach Alan Breck Stewart begibt, einem Rebell, der für | |
Schottlands Freiheit kämpft. David hat ihn auf dem Schiff kennengelernt, | |
weiß aber nicht, ob er überlebt hat. | |
Auf Erraid Island, einem Eiland an der Westküste vor der weitaus größeren | |
Insel Mull, wird David angeschwemmt, und hier beginnt auch der 380 | |
Kilometer lange Stevenson Way nach Edinburgh. Wasserdichte Stiefel sind | |
nötig, um die rund 100 m bis zur Insel und zurück zu waten. Immer wieder | |
sinkt man tief in den Wattschlamm oder muss Rinnsale durchqueren, die dem | |
sich immer weiter zurückziehenden Meer hinterher fließen. Ein Leuchtturm | |
und ein Wärterhäuschen sind die einzigen Spuren der Zivilisation. | |
## Wildromantische Tagesetappen | |
Das Häuschen mit den weiß getünchten Wänden kannte Stevenson genau. Als | |
Junge hatte er hier mehrere Monate mit seinem Vater verbracht, einem | |
Leuchtturmbauer. Vater Stevenson nahm den Sohn mit auf seine Reisen, damit | |
er das Geschäft erlerne. Dass Robert Louis seine Erfahrungen dann in | |
Literatur statt in Leuchtturm-Architektur verwandelte, dürfte dem Vater | |
nicht gerade gefallen haben. | |
Vier wildromantische Tagesetappen ziehen von hier über die Insel Mull bis | |
Fishnish, zur Fähre über die schmale Meerenge nach Lochaline auf der | |
Halbinsel Morvern, die schon zum Festland gehört. Den Weg nach Fishnish | |
lässt Stevensons Roman weitestgehend offen. Mit Kompass und Karte kann hier | |
jeder selbst die für ihn logische Strecke suchen. Orientierung und | |
Wegfindung gehören zum Wandern in den Highlands. Es gibt kaum beschilderte | |
Wege, Trampelpfade verschluckt oft das Moor, und sie sind im Nebel sowieso | |
unauffindbar. | |
Logans Empfehlung: auf Mull der Südküste folgen. Mit ihren Basaltfelsen und | |
teilweise schwierigen Wegstücken ist sie einer der reizvollsten | |
Küstenabschnitte Großbritanniens. Man beobachtet auf Mull Robben bei ihrem | |
Mittagsschläfchen und sieht vielleicht sogar Delphine. In romantischen | |
Buchten trifft man überraschend auf verschlafene, teils verlassene | |
Granitsteinsiedlungen oder gelegentlich auch auf die „bothy“ genannten | |
Wanderunterkünfte. | |
## Über karge Berge | |
Die Selbstversorgerhütten, von denen es in Schottland zahlreiche gibt, | |
leuchten mit ihren weißgestrichenen Wänden, bunten Türen und Fensterläden | |
dem müden Wanderer einladend entgegen. Der Weg führt auch durch Dörfer, die | |
hier seit Jahrhunderten den Unwettern standhalten. Mit ihren abgerundeten | |
Ecken haben sich die Steinhäuser, vor denen nicht selten ein | |
Bed-and-Breakfast-Schild steht, dem Wind perfekt angepasst. | |
Und kaum auf dem Festland, ist er dann da, der Sturm, der von der nahen | |
Irischen See herüberfegt. Unter ständigem Wechsel von Perspektiven und | |
Kulissen, Farben und Stimmungen durchquert der Weg die etwas über 50 | |
Kilometer lange Halbinsel Morvern. Wer ganz getreu dem Roman unterwegs sein | |
möchte, lässt sich zuletzt von Kingairloch aus über den Meeresarm Loch | |
Linnhe rudern. | |
Alle anderen nehmen die Corran Ferry. Im Dorf Ballachulish dann führt | |
sowohl der Roman als auch der Stevenson Way an eine historische Stätte. Ein | |
Denkmal erinnert an den Appin-Mord von 1752: Ein Mann wurde aus dem | |
Hinterhalt erschossen, der wahre Mörder nie gefasst, sondern sein | |
Verwandter eingekerkert. Stevenson nutzte dies als Vorlage für seinen | |
Roman. | |
Danach verlässt man die zerrissenen Küsten- und Insellandschaften, und es | |
geht auf dem Festland über karge Berge, durch dunkle Wälder, über satte | |
Matten, vorbei an klaren Bächen und stillen Seen, die wie träge Riesenaugen | |
den Himmel betrachten. Die schottischen Highlands mit einer maximalen Höhe | |
von 1.344 Meter sind zwar keine Konkurrenz für die Alpen, dennoch darf man | |
die Munros, wie die höchsten Berge in Schottland genannt werden, nicht | |
unterschätzen. Immer wieder tun sich Abgründe auf, versperren Felswände | |
plötzlich den Weg, gilt es, morastige Löcher und Rinnsale zu überwinden. | |
## Einsamkeit, das Geheimnis Schottlands | |
Je höher es geht, desto karger wird die Szenerie. Verkrüppelte Kiefern | |
krallen sich in den Berg, danach verwandelt sich die Landschaft in eine Art | |
arktische Wildnis. Nur das Heidekraut gedeiht und legt sich im Spätsommer | |
und Herbst wie ein lilafarbener Teppich über die Hügel. | |
Nach einem steilen Abstieg erreicht man Glencoe, das auch das „Tal der | |
Tränen“ heißt, eine Art nationale Gedenkstätte. Hier mischten sich am 13. | |
Februar 1692 beim Massaker von Glencoe, einer Blutfehde zweier Clans, | |
Tränen und Blut. Die charakteristische Heidelandschaft der Highlands – eine | |
wahre botanische Schatzkammer mit ihrer vielfältigen Vegetation aus | |
Ginsterbüschen, Erika, Sonnentau, Wollgras, Fettkraut und Orchideen – ist | |
eigentlich der Überrest der Highland-Clearances: Wälder bedeckten einst | |
ganz Schottland, wurden aber durch das Profitdenken der Landlords ab Mitte | |
des 18. Jahrhunderts in endlose Weideflächen für Schafe verwandelt. Der | |
Wanderer stößt immer wieder auf Überreste ehemaliger Siedlungen, düstere | |
Mahnmale einer systematischen Entvölkerungspolitik. | |
Ganz anders – nämlich durchaus lebendig – gibt sich die Siedlung | |
Kinlochleven am Loch Leven, in Tagesreichweite vom Glencoe. Hier reihen | |
sich urige Fish-and-Chips-Bistros an gemütliche Teestuben. Dahinter stürzt | |
ein beeindruckender Wasserfall in die Tiefe. Auf der nächsten Anhöhe hinter | |
dem Loch Leven geht der Blick auf eines der größten Moore Schottlands, das | |
Rannoch Moor. Hier teilt sich das wahre Geheimnis Schottlands, die | |
Einsamkeit, seinen Besuchern fast körperlich mit. | |
Nach tagelanger Einsamkeit und 230 Meilen endet die Route dann in | |
Edinburgh. Die letzte Etappe führt bis in die Corstorphine Road, wo ein | |
überlebensgroßes Denkmal an die beiden Romanhelden David und Alan erinnert. | |
Den Schock, den der Trubel der Großstadt auslöst, überwindet man am besten | |
mit einem großen Schluck Single Malt Whiskey. | |
14 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Annika Müller | |
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