# taz.de -- Neuer Verfassungsschutzchef: „Keine in der Wand versteckte Wanze�… | |
> Seit August ist Bernd Palenda Chef des Berliner Verfassungsschutzes. Nun | |
> will er den Geheimdienst reformieren. Der taz erzählt er, warum er dafür | |
> an Schulen will und wie er zur SPD kam. | |
Bild: "Jeder, der glaubte, das Internet sei ein sicherer Raum, war ein Narr." B… | |
taz: Herr Palenda, wie schützen wir uns als Bürger am besten vor dem | |
Verfassungsschutz? | |
Bernd Palenda: Seien Sie rechtstreue Staatsbürger und folgen Sie der | |
freiheitlich demokratischen Grundordnung. | |
Trotzdem trauen wir dem Verfassungsschutz nicht. | |
Vertrauen hat nur bedingt mit Schutz zu tun. | |
Nach dem NSA-Abhörskandal ist das Vertrauen jedenfalls futsch. Welche | |
Konsequenzen ziehen Sie aus der Affäre? | |
Mein Telefonverhalten hat sich geändert. Wenn ich aber etwas geheim halten | |
will, dann rede ich ohnehin mit der Person unter vier Augen. Es gibt keine | |
sichere Kommunikation. Jeder, der geglaubt hat, das Internet sei ein | |
sicherer Raum, war ein Narr. Snowden hat im Grunde nicht wirklich viel | |
verraten. | |
Haben Sie keine Skrupel, Informationen aus den USA oder sonst woher zu | |
verwenden, die illegal erworben wurden? | |
Wir bekommen die Informationen ja nicht direkt von einem fremden, | |
ausländischen Dienst, sondern von einer Bundesbehörde. Solche Nachrichten | |
sind sehr kurz gehalten: Das und das steht dann und dann an. Dem gehen wir | |
nach, und das müssen wir auch. | |
Nicht nur der NSA-Abhörskandal wirft ein schlechtes Licht auf die | |
Geheimdienste. Die deutschen Verfassungsschutzämter haben beim | |
rechtsterroristischen NSU versagt. Was macht für Sie den Reiz aus, eine | |
Behörde zu führen, die so einen Ansehensverlust erlitten hat? | |
Leicht kann ja jeder. Wenn es die beliebteste Behörde der Welt wäre, wäre | |
es mit Sicherheit nicht so interessant. | |
Sie haben schon immer die Herausforderung gesucht? | |
Klar. Deshalb bin ich Beamter geworden (lacht). Es ist schon eine echte | |
Herausforderung, an einem Umgestaltungsprozess teilzuhaben, bei dem es | |
darum geht, das Vertrauen der Bürger in den Verfassungsschutz | |
zurückzugewinnen. | |
Einfach wird das nicht, selbst CDU-Innensenator Frank Henkel fordert einen | |
Neuanfang. Was genau haben Sie vor? | |
Wir analysieren im Augenblick. Klar ist: Es muss eine Veränderung geben. | |
Der werden wir uns stellen. Es wird aber keine Veränderungen in toto geben. | |
Bei der Frage der Schwerpunktsetzung und bei internen Kontrollmechanismen | |
haben wir bereits einiges reformiert. Und wir konzentrieren uns noch | |
stärker auf den Rechtsextremismus. | |
Dann schauen wir mal auf die Bürgerinitiative Hellersdorf, die dort zuletzt | |
gegen Flüchtlinge mobilmachte. Was haben Sie da an Erkenntnissen? | |
Die Bürgerinitiative ist definitiv ein rechtsextremistisches, demagogisches | |
Projekt. Da gibt es keinen, der als Bürger auftritt, sein Gesicht zeigt und | |
zusammen mit anderen ein gemeinsames Anliegen verfolgt. | |
Geführt von der NPD? | |
Das ist ein Konglomerat, das im Verborgenen operiert und sehr glücklich | |
darüber ist, mit dem Asylbewerberheim endlich ein Thema gefunden zu haben, | |
das ihm mediale Präsenz verschafft. Man hat etwas, womit man demonstrativ | |
auftreten und Hass schüren kann. | |
Und die Anwohner stimmen in die Hassparolen ein? | |
Mein Eindruck ist, das kommt bei den Anwohnern nicht besonders gut an. Ja, | |
es gab bestürzende Aussagen. Und ja, es gibt verdeckten Extremismus quer | |
durch alle Bevölkerungsteile, überall. Dazu gehören auch dumpfe | |
Befürchtungen und ungeklärte Ängste. Diese aufzubereiten ist den | |
Gegendemonstranten vor dem Asylbewerberheim sehr gut gelungen. | |
Wie viele V-Leute haben Sie bei den Rechten drin? | |
(Lächelt) | |
Haben Sie überhaupt welche drin? | |
Ich zitiere jetzt den üblichen Satz: Zu operativen Angelegenheiten können | |
wir in der Öffentlichkeit leider keine Stellungnahme abgeben. Das bedeutet | |
weder eine Verneinung noch eine Bejahung Ihrer Frage. | |
Können Sie wenigstens sagen, in welcher Art Sie einen Einblick – zum | |
Beispiel in die Bürgerinitiative – haben? | |
Wir operieren mit verschiedenen nachrichtendienstlichen Mitteln. | |
Ist es schwieriger geworden, V-Leute anzuwerben, nachdem im Zusammenhang | |
mit dem NSU-Skandal Informanten geoutet wurden? | |
Eigentlich nicht. Geld zieht immer. Wir suchen ja nicht nach dem Ideologen, | |
der gratis für uns tätig sein soll. Wir suchen nach Leuten, die mit uns | |
zusammenarbeiten wollen und unsere Bezahlung gern in Kauf nehmen. | |
Warum setzen Sie überhaupt noch auf V-Leute? Gerade beim NSU wurden die | |
Sicherheitsbehörden von den Spitzeln an der Nase herumgeführt. | |
Der V-Mann war noch nie ein 100 Prozent sicheres Mittel. Deshalb müssen wir | |
alle Informationen, die wir bekommen, dreifach prüfen. Aber Alternativen | |
dazu gibt es nicht. Bei aller Reform wird es am Ende nach wie vor noch | |
einen Nachrichtendienst geben. Es sei denn, man schafft ihn ab. | |
Genau das will die Opposition. | |
Um ehrlich zu sein, ich wäre auch für eine Gesellschaft, in der es | |
keinerlei diesbezügliche Einrichtung geben müsste. Diese idealistische | |
Gesellschaft haben wir aber nicht. | |
Der Verfassungsschutz bezieht 80 Prozent seiner Informationen aus | |
öffentlichen Quellen. Da ist doch eine Aufgabe der geheimdienstlichen | |
Mittel gar kein großer Sprung. | |
Die 20 Prozent Informationen, die wir aus verdeckten Quellen gewinnen, | |
benötigen wir aber zur Erhärtung und zur genauen Bestimmung von im | |
Untergrund liegenden Strukturen. Es steht nicht alles im Internet. Und es | |
wird auch nicht jeder Terroranschlag 14 Tage vorher mit Ort und Zeit | |
angekündigt. | |
Wie viele Anschläge sind in Berlin aufgrund von nachrichtendienstlichen | |
Erkenntnissen konkret verhindert worden? | |
Das kann man so eindeutig nicht sagen, weil man nie weiß, wie sich etwas | |
Gestopptes weiterentwickelt hätte. | |
Aus welcher Ecke kommt derzeit die größte Gefahr? | |
Der islamistische Terrorismus ist für mich nach wie vor die Nummer eins. | |
Wir haben abstrakt ein recht hohes Gefährdungspotenzial, weil Deutschland | |
und Berlin weiter im Zielspektrum stehen. | |
Was für ein Bild vom Verfassungsschutz möchten Sie nach außen verkörpern? | |
Das Bild vom Informationen gebenden Gesprächspartner, bezogen auf den | |
Bürger. Das bedeutet auch, Warnhinweise zu geben. Es ist unser Auftrag, die | |
Gesellschaft und den Staat darauf hinzuweisen: Guck mal, da gibt es ein | |
Problem, kümmere dich drum! Haben Sie sich mal das Verfassungsschutzgesetz | |
angesehen? (Greift in seine Jackentasche und zieht ein stark zerknittertes | |
Bündel Seiten heraus: das Verfassungsschutzgesetz.) | |
Haben Sie das extra für das Interview eingesteckt? | |
Nein, das begleitet mich schon einige Jahre. Ist ja auch nicht mehr ganz | |
neu. Wenn ich mal auf eines hinweisen darf: Der Verfassungsschutz sammelt | |
Auskünfte. (Liest wörtlich vor:) Die einzige Aufgabe des Berliner | |
Verfassungsschutzes ist laut Paragraf 5, Absatz 1, den Senat und das | |
Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige Stellen und die | |
Öffentlichkeit über Gefahren zu unterrichten. Aber natürlich haben die | |
Bevölkerung und die Politik eine weitaus höhere Erwartung. | |
Wie gehen Sie damit um? | |
Wir wollen uns öffnen. Ich will zu den Leuten gehen und um Vertrauen | |
werben: Guck mal, ich bin zum Anfassen. Ich bin nicht die Wanze, die in der | |
Wand versteckt ist. | |
Sie waren bei den Falken, dem SPD-nahen Jugendverein, auf dessen Heim | |
Brandanschläge verübt wurden. | |
Da war mir wichtig, direkt von den Betroffenen zu hören, wie das politische | |
und gesellschaftliche Agieren in solch einer Bedrohungssituation ist. Es | |
ging nicht darum, irgendwas an Informationen zu gewinnen, sondern zu sagen: | |
Wir sind jetzt da. Wie würdet ihr euch unsere Rolle vorstellen, damit wir | |
eine Form der gemeinsamen Bekämpfung des Rechtsextremismus finden? | |
Und was machen Sie mit den Erkenntnissen aus den Gesprächen? | |
Das fließt ein in das, was wir zukünftig als neue Strategie fahren wollen. | |
Sehen Sie, so was haben wir ja in der Vergangenheit kaum gemacht. Jetzt | |
suchen wir den Kontakt. | |
Sie wollen auch in Schulen gehen. Haben Sie Ihr Kommen schon angekündigt? | |
Nein, um Gottes willen! | |
Warum um Gottes willen? | |
Na ja, wie sieht das denn aus? Mir geht es überhaupt nicht darum, die große | |
Rundfahrt zu machen und jede Schule dieser Stadt abzuklappern, und | |
hinterher gibt’s ein Zertifikat. Nein, nein, so geht das nicht. Wir bieten | |
an, uns der Diskussion zu stellen. Im Übrigen auch für die | |
Lehrerfortbildung. Und wer nicht will, der will nicht. | |
Haben solche Veranstaltungen denn schon stattgefunden? | |
Es gibt immer mal wieder Anfragen von Schulen, und es hat auch | |
Veranstaltungen gegeben. | |
Geht es nur um Rechtsextremismus? | |
Nein. Auch die ganze Frage um den islamistischen Terror ist eine massive | |
Belastung des Integrationsansatzes. Deshalb muss man da ran und in eine | |
Diskussion kommen. | |
Sie wollen Moscheen besuchen? | |
Nein, Moscheen sind nicht unser Ziel. Ich möchte versuchen, die Kontakte | |
über Dachorganisationen, wie sie im Islamforum vertreten sind, langsam | |
aufzubauen. Ich stehe mit meinen Plänen noch relativ am Anfang. Eine | |
schnelle Aussage zur Zukunft kann ich Ihnen nicht bieten nach der | |
zertrümmerten Gesamtsituation. | |
Sie sind 23 Jahre lang in verschiedenen Verfassungsschutzbehörden aktiv | |
gewesen. Für einen wirklichen Aufbruch stehen Sie nicht, oder? | |
Das hängt davon ab. Man muss sich intensiv prüfen, ob das, was man vorher | |
kennengelernt hat, immer in der Form richtig und notwendig war. Ich gehöre | |
vielleicht nicht zu den Zweiflern, aber die Frage, das eigene Tun zu | |
reflektieren, gehört zu den Dingen, die ich sehr viel tue. | |
Sie sind Sozialdemokrat, wie kam es zu dem Entschluss, in die SPD | |
einzutreten? | |
Ich war 17. Ich bin in Neukölln zur Schule gegangen. Die politische | |
Überzeugung und Auseinandersetzung war bei mir schon immer drin. Und ich | |
fand damals die Zusammenarbeit mit den Jusos außerordentlich interessant. | |
Darum bin ich eingetreten. | |
Dann sind Sie im Grunde ein Linker? | |
Na ja, wer aus Neukölln kommt … Aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen. | |
Waren Sie politisch richtig aktiv? | |
Sehe ich aus wie eine Karteileiche? Natürlich war ich auch aktiv. Natürlich | |
habe ich auch in Neukölln gestanden und Flugblätter verteilt. Und als man | |
da die ersten Rechten gesehen hat, hielt man die Zettel fest und dachte: | |
Na, kriegste eins auf die Mütze oder gehen sie an dir vorbei? Natürlich! | |
Aber das liegt lange zurück. Mit dem Eintritt in den Verfassungsschutz kam | |
auch die Zeit der nach außen relevanten Mäßigung. Ich mache hier keine | |
sozialdemokratische Arbeit. Ich mache eine gesetzesorientierte Tätigkeit. | |
Das haben wir auch nicht anders erwartet. Auf den Punkt gebracht: Was ist | |
Ihre Mission? | |
Niemand kann sich von den Prägungen und Erfahrungen in seinem Leben | |
endgültig freimachen. Aber das ist nicht die Zielrichtung meiner Arbeit. Es | |
geht um das Bewahren eines Systems, in dem Freiheiten nicht durch externe | |
Gewalt oder Repression von wem auch immer unterbunden werden. Das ist immer | |
ein Zwiespalt zwischen Freiheit und Eingriff. Es ist immer eine Abwägung: | |
Wo fängt die Verhältnismäßigkeit an, und wo hört sie auf? | |
15 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Plutonia Plarre | |
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