# taz.de -- Preis der Nationalgalerie Berlin: Karneval der Zeiten | |
> Die mexikanische Künstlerin Mariana Castillo Deball findet sinnliche Wege | |
> in die Geschichte. Sie erhält den Preis der Nationalgalerie Berlin für | |
> junge Kunst. | |
Bild: Mariana Castillo Deball sitzt mitten in der Geschichte in ihrer Ausstellu… | |
Der Stadtplan, den Mariana Castillo Deball in den schwarzen Fußboden | |
gefräst hat, nimmt fast den ganzen Raum ein, den die die mexikanische | |
Künstlerin im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, | |
bespielt. So läuft man als Besucher mitten hinein zwischen die rätselhaften | |
Symbole, lateinische Beschriftungen und Bezeichnungen von Straßen und | |
Häusern. | |
Diese Stadtlandschaft unter den Füßen ist eine vergrößerte Version einer | |
berühmten Karte der mexikanischen Hauptstadt aus dem 16. Jahrhundert, die | |
zur Zeit der kolonialen Eroberungen entstand. Pyramiden und Opferstätten | |
verweisen auf den atzetekischen Ursprung. Die Vergrößerung des Dokuments | |
öffnet eine Tür in die Vergangenheit, als diese Stadt noch als Terra | |
Icognita galt und von Fantasien der europäischen Kolonisatoren besetzt | |
wurde. | |
Am Donnerstag Abend erhielt Mariana Castillo Deball den Preis der | |
Nationalgalerie für junge Kunst, den der Freundeskreis der Nationalgalerie | |
in Berlin auslobt. Zur Jury gehörten Okwui Enwezor (Haus der Kunst, | |
München), Luis Pérez-Oramas (Museum of Modern Art, New York), Kitty Scott | |
(Art Gallery of Ontario) und Udo Kittelmann und Gabriele Knappstein, | |
Direktor und Kuratorin des Berliner Hauses. Eine Einzelausstellung dort | |
2014 ist der Preis, den Mariana Castillo Deball damit erhält. | |
"Mariana Castillo Deballs Arbeit hat uns überzeugt, da sie die Bedeutung | |
einer im Austausch stehenden Welt vor Augen führt. In ihrer Arbeit | |
untersucht sie aktuelle archäologische, anthropologische und museologische | |
Diskurse im Hinblick auf ihre langfristige Gültigkeit. Mariana Castillo | |
Deballs Beschäftigung mit Geschichte hat eine zeitgenössische Relevanz", | |
begründete die Jury ihre Entscheidung. | |
## Ein Mahlstrom der Geschichte | |
Die 38-jährige Künstlerin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt, | |
beschäftigte sich mit Geschichte und ihren Formen der Überlieferung auch in | |
der Skulptur "Uncomfortable Objects", die sie letztes Jahr auf der | |
Documenta im Fridericianum zeigte. Über einen gebogenen und | |
spitzzulaufenden Wandschirm schien sich eine Flut von Objekten zu ergießen, | |
die teils an archäologische Fundstücke erinnerten, teils an menschliche | |
Gliedmaßen - ein Mahlstrom der Geschichte, der sich auch historischer | |
Techniken, wie der barocken Stukkatur, bediente. | |
Mit dieser Arbeit bezog sich Deball auf die Tatsache, dass im Fridericanum | |
in Kassel einmal ein historisches Archiv gewesen war, das auch Manuskripte | |
zur Alchemie gelagert hatte. Dieser Aspekt interessierte sie sehr: "Ein | |
Alchemist damals hat die Welt ganz anders betrachtet als wir heute. Er hat | |
etwa gesagt: ich versuche Gold zu finden, also transformiere ich die Natur. | |
Aber die Natur verändert auch mich - es ist eine gegenseitige Veränderung. | |
Das geschieht heute nicht mehr. Denn wir in unserer Berufswelt denken doch | |
immer: Wir verändern die Welt und begreifen nicht, das die Welt auch uns | |
verändert", sagte sie zu ihrer Arbeit in Kassel. | |
Der Aspekt der Verwandlung spielt auch in ihrer jetzigen Installation im | |
Hamburger Bahnhof eine Rolle, in den karnevalesken Figuren und Kostümen, | |
die sie dort aufgestellt hat. In Mexiko und in Brasilien hat sie den | |
Karneval unter die Lupe genommen, den Austausch von Zeichen aus den | |
inidgenen und den europäischen Kulturen. Auch das ist ein Speicher von | |
Erinnerung und verwandelter Vergangenheit, der anders als die Archäologie | |
und die museale Dokumentation immer wieder in die Gegenwart geholt und | |
gelebt wird. | |
20 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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