# taz.de -- Einmal gegen Napoleons Truppen: Schlacht spielen | |
> Vor 200 Jahren haben die napoleonischen Truppen unweit des | |
> niedersächsischen Dahlenburg die Schlacht an der Göhrde verloren. Nun | |
> spielen 400 Hobby-Soldaten das Gefecht nach. | |
Bild: Sie wollen die Vergangenheit nachspielen, aber etwas Komfort schadet nich… | |
DAHLENBURG taz | Es riecht nach Erde und Pilzen, nach Herbst. In der Nacht | |
hat es ein bisschen geregnet und der aufgeweichte Pfad durch den Wald ist | |
voller Fußspuren. Am Waldrand erstrecken sich Maisfelder, abgeerntete Äcker | |
und irgendwo hinterm Hügel kracht es dumpf. Bumm! | |
Je weiter man den Göhrder Staatsforst hinter sich lässt, desto lauter wird | |
das Krachen und dort weht der erste Union Jack, drunter knubbeln sich ein | |
paar Männer, Gewehre ragen in den Himmel. Bumm! Rauch steigt auf. | |
„Entschuldigung, was sind Sie?“, fragt ein Grauhaariger, der zwischen den | |
Zelten herumschlendert, die dicht an dicht am Hang stehen. | |
„Braunschweiger“, die Antwort. Schwarze Uniform, einen Tschako mit | |
schwarzem Federbusch und Totenkopf auf dem Kopf, schwarzes Lederzeug mit | |
Patronentasche und Bajonettscheide umgeschlungen. Der Braunschweiger hat es | |
eilig, das Gefecht geht gleich los. | |
Die Braunschweiger sind nur ein Trupp der rund 400 Hobby-Soldaten aus | |
Deutschland, Polen, Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden und Belgien, | |
die sich am Samstag auf einer Wiese zwischen Lüneburg und Lüchow-Danneberg | |
getroffen haben, um die Schlacht an der Göhrde nachzuspielen. Am 16. | |
September 1813 kämpften hier während der Befreiungskriege auf dem Hügel der | |
Steinker Höhen zu Lüben die französischen Truppen gegen rund 12.000 | |
alliierte Soldaten, eine zwei Kilometer lange Front am Rand des | |
Schlachtfelds. | |
Der napoleonischen Truppe des Generals Pecheux gegenüber standen der | |
Lützowsche Freikorps, Briten und Hannoveraner mit einigen Männern der | |
King‘s German Legion, Truppen der Russisch-Deutschen und der Hanseatischen | |
Legion, Mecklenburger und Schweden. Die Alliierten gewannen. Nur einen | |
Monat später erlitt Napoleon bei der Völkerschlacht in Leipzig die | |
entscheidende Niederlage. Hier im Wald erinnert ein Gedenkstein an die | |
Gefallenen. Jemand hat eine Sonnenblume drangeklemmt. | |
## Drafi Deutscher im Biwak | |
In diesem Jahr sind die Hobby-Soldaten mit sechs Kanonen, 14 Pferden und | |
280 Musketen gekommen. Sie haben ein Biwak aus weißen Zelten aufgebaut, es | |
gibt einen Schmied, ein Lazarett und viele Holzfeuer. Möglichst authentisch | |
soll es sein, Reenactment nennt sich das. Die Blaskapelle legt auf | |
authentisches Szenario nicht so viel Wert und spielt am Rande des | |
Schlachtfelds Drafi Deutschers „Shake hands“ gefolgt von „Rivers of | |
Babylon“. | |
Also eher heiteres Camping als verbürgte Kargheit? „Wir haben ja | |
mittlerweile auch Schlafsäcke in den Zelten“, sagt Jan Bogers, der aus den | |
Niederlanden angereist ist „Früher haben die Leute bei minus 17 Grad mit | |
Decken auf Stroh gelegen, das machen wir nicht, wir sind ja im 21. | |
Jahrhundert.“ | |
Der 70-Jährige ist seit den 80er Jahren dabei, er hat damals mit Freunden | |
in Maastricht ein altes Fort auf Vordermann gebracht und vier feste Kanonen | |
aufgetrieben, 4.000 Kilogramm wiegt so eine Kanone. „Damals ist meine | |
Begeisterung für das Rekonstruieren von Vergangenem aufgewacht“, sagt | |
Bogers und irgendwann haben sie einen Sponsor gefunden, der ihnen eine | |
leichte Originalkanone von 1879 finanzierte, „nur die Räder mussten neu“, | |
sagt er. | |
Damit konnten sie auf Reisen gehen und heute spielt er etwa zehnmal im Jahr | |
irgendwo eine Schlacht nach. Als er noch als Fluglotse in Maastricht | |
gearbeitet hat, haben ihn seine Kollegen gern Blödkerl genannt, sagt er und | |
lacht. Er selbst nennt sich einen Geschichtsbegeisterten. | |
„Bitte räumen Sie das Schlachtfeld“, schallt es aus den Boxen am Fuße des | |
Hügels. „Wir wollen pünktlich anfangen!“ Das Schlachtfeld, tatsächlich d… | |
Originalschauplatz, ist eine leicht abfallende Wiese am Rand der Göhrde. | |
Eigentlich nur ein Scharmützel, nennt der eine der Moderatoren die | |
Schlacht. Es sind zwei ältere Herren, einer fürs Launige, das er auch mal | |
in Zoten zu finden glaubt und einer fürs Fachliche. | |
Die Schlacht, so sagt der fachliche Moderator, sei vor allem berühmt, weil | |
eine Frau unter den rund 1.000 Gefallenen war. Eleonore Prochaska hatte | |
sich als Mann verkleidet dem Freikorps der Lützower angeschlossen und wurde | |
tödlich getroffen. Beethoven hat Preußens Jeanne d’Arc eine Sonate | |
gewidmet. | |
## Absperrung zur Gegenwart | |
Langsam trollen sich die rund 3.000 Zuschauer vom Schlachtfeld und suchen | |
sich einen Platz hinter dem rot-weißen Absperrband, das Vergangenheit von | |
Gegenwart trennt. Dort die in ihren aufwendigen Uniformen, hier die | |
Zuschauer mit Bier, Würstchen und Kuchen. | |
Die Profis unter ihnen mit Ohrschutz – wer ohne solchen daneben steht, wenn | |
eine mit Schwarzpulver und Mehl gefüllte Kanone abgefeuert wird, kämpft die | |
nächste Stunde mit Fiepen im Ohr. Bumm! „Und hier nun das Bild für die | |
Fotografen“, schnarzt es aus den Boxen, als die französischen Truppen sich | |
über dem Hügel gegen den grauen Himmel abzeichnen. | |
Morgens um neun Uhr haben sich die Offiziere der teilnehmenden Truppen zur | |
Lagebesprechung getroffen. Wer läuft wann wohin, wer trifft wen wie, was | |
ist mit dem Bajonett, wer feuert wohin, wie laufen die Truppenbewegungen. | |
Alles durchorganisiert. „Aber ein bisschen Raum für eigene Ideen ist auch | |
dabei“, sagt Bogers. | |
„Da dürfen auch mal zwei Soldaten flüchten.“ Von außen ist es dann etwas | |
unübersichtlich, da kommen die Braunschweiger mit ihren Pelzmützen vorbei | |
und plündern den einen oder anderen gefallenen Soldaten aus. | |
Bumm! Die Sachsen in den weißen Uniformen, die damals noch auf der Seite | |
der Franzosen kämpften, fallen plötzlich alle tödlich getroffen auf einen | |
Haufen. „Oh kollektiver Selbstmord der Sachsen“, ruft der Moderator. Nach | |
einer guten Stunde sieht es schlecht für die Franzosen aus, die Alliierten | |
haben sie überrannt, die Schlacht ist vorbei. Die auf der Wiese verstreuten | |
Gefallenen rappeln sich auf, sammeln ihre Sachen zusammen und machen sich | |
auf zum Biwak. | |
Auch die vierte Fußbatterie der King’s German Legion hat mit zwei Kanonen | |
mitgekämpft. Hellblau sind die Kanonen lackiert und die Zünder basteln sie | |
selbst aus schwarzen Strohhalmen, Böllerzündschnüren und Tesafilm. „Wir | |
machen überhaupt fast alles selbst“, sagt Michael Brinkers. Alle zehn Tage | |
treffen sie sich in ihrem Vereinsheim im niedersächsischen Uelsen in der | |
Grafschaft Bentheim, nicht immer sind alle 15 Hobby-Soldaten des Trupps da. | |
Dafür ist aber Anhang erlaubt. | |
„Und der Schützenkönig war auch schon da“, sagt Brinkers, anfangs | |
skeptisch, sei der dann ganz begeistert gewesen vom Vereinsheim und vom | |
Engagement der Männer. So eine möglichst detailgetreue Uniform mit allem | |
drum und dran kostet gern mal 800 Euro – die kleinen Gags, wie das aus | |
einem Uhrwerk gebastelte Fernglas, das an seinem Gürtel hängt, nicht | |
mitgezählt. „Macht aber Eindruck auf dem Schlachtfeld“, sagt Brinkers und | |
zieht das Fernglas weit auseinander. | |
Brinkers ist kaufmännischer Angestellter, war bei der Bundeswehr und dann | |
lange Jahre Reservist. Der 49-Jährige mag Disziplin, interessiert sich für | |
Militärgeschichte und ist seit zwei Jahrzehnten gewissermaßen Teil der | |
Szene. Bis er mit seiner jetzigen Reenactment-Truppe 2005 das erste Mal zur | |
nachgestellten Schlacht von Waterloo fuhr, war er Mitglied einer | |
historischen Showtruppe, ist etwa vor dem Reichstag aufgetreten. „Aber das | |
ist viel steifer, den meisten zu steif“, sagt Brinkers. „Hier gibt es mehr | |
Freiraum.“ | |
Er ist der Corporal der Fußbatterie und Feldgeistlicher. „Vor dem Gefecht | |
bete ich immer, dass uns nichts passiert“, sagt er und zeigt auf das Bild | |
der Heiligen Barbara, das im Zelt über einer der Holzbänke hängt. Die | |
Schutzgöttin all jener, die mit Feuer zu tun haben, sagt er. Aber jetzt, | |
nach geschlagener Schlacht, gibt es erstmal Bier. „Wir sind schon ganz | |
unterhopft nach einer Stunde auf dem Schlachtfeld“, sagt einer aus der | |
Truppe im Vorbeigehen. | |
## Kritische Zuschauer | |
Es gehe bei diesem Spiel darum, die Erinnerung an historische Ereignisse | |
wach zu halten, Geschichte zu vermitteln, meint Brinkers. Und um | |
Kameradschaft, nicht um Kriegsverherrlichung oder Waffenvernarrtheit. Auch | |
wenn diese Kritik von den Zuschauern schon mal käme. „Ich sage dann immer, | |
wer das nicht sehen will, der muss ja nicht herkommen“, sagt er. | |
Bumm! macht es neben dem Zelt, sie haben die Kanone noch mal abgefeuert. | |
Pfft! macht es kurz drauf, ein Hobby-Soldat in weißem Leinen wollte seine | |
Muskete abfeuern, es klappt nicht, lautes Gelächter seiner Kameraden. Er | |
fummelt an der silberfarbenen Waffe herum, zielt erneut auf das | |
menschenleere Schlachtfeld. Krach! Geht doch, steht in seinem Gesicht | |
geschrieben, als er sich zu seinen Kumpels umdreht. Die applaudieren. | |
Brinkers und seine vierte Fußbatterie fahren mindestens dreimal im Jahr auf | |
einem eigens umgebauten Trailer mit 1,3 Tonnen Kanonen, Zelten und | |
Kriegsmaterial von Schlacht zu Schlacht. In vier Wochen geht es nach | |
Leipzig, Völkerschlacht nachspielen. „Und das ist schon eine richtige | |
Völkerschlacht“, sagt er. Es haben sich schon 4.750 Teilnehmer angemeldet. | |
22 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
## TAGS | |
Leipzig | |
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