# taz.de -- Die Wahrheit: Affen in der Armbanduhr | |
> Leider finden „Kraulkurse“ im Hallenbad und nicht auf dem Sofa statt. | |
> Auch sonst kann man vieles fehlinterpretieren – deshalb lieber | |
> Sea-Monkeys züchten. | |
Nachdem ich neulich durch einen etwas peinlichen Zwischenfall erleben | |
musste, dass das Herz im Milchschaum meiner Cappuccino-Tasse doch keinen | |
schüchternen Kontaktaufnahmeversuch seitens des Barista bedeutet, bin ich | |
mit der Interpretation moderner Zeichen und Wunder etwas vorsichtiger | |
geworden. Ich plinkere auch schon lange nicht mehr wissend die | |
Klamottenverkäuferinnen an, die mich beim Bezahlen nach meiner Postleitzahl | |
fragen, weil mir klar ist, dass die gar nicht mit mir ausgehen wollen. | |
Es gibt schließlich andere Möglichkeiten, nette Personen kennenzulernen, | |
außer in einem „Kraulkurs“, wie ihn meine Freundin einst besuchte, und der | |
nicht, wie ich dachte, auf einem großen Sofa, sondern im Schwimmbecken | |
stattfand. | |
Zum Beispiel auf die klassische Art und Weise: Swingerclub. Wobei ich nur | |
einen einzigen kenne, und den auch nur von außen: Er befindet sich in | |
meiner Nachbarschaft, gegenüber einer sehr hübschen Bar, von deren Theke | |
her ich schon Abende lang aus den Augenwinkeln die Swinger-Tür beobachtet | |
habe, durch die nie eine Menschenseele herauskommt oder hineingeht. | |
Die Frage stellt sich also, ob dort entweder in Wirklichkeit Drogengeld | |
gewaschen wird – dann müsste aber „Spielothek“ dranstehen, denn da wird | |
normalerweise das Drogengeld gewaschen und die Tür nicht geöffnet. Oder ob | |
vielleicht seit den Achtzigern das gleiche Pärchen dort swingt, inzwischen | |
den Spanner-Holzkäfig für seine Kaninchenzucht benutzt und unter den | |
feuchten Matratzen Kresse und Pilze angebaut hat. Selbstversorgung ist ja | |
angeblich das neue Ding, ich habe Freunde, die sich gestern noch alles | |
liefern ließen und heuer in jeder herumstehenden Vase Kefir, Hermann oder | |
Kombucha züchten. | |
Ich kann den Wunsch, aus der Konsumkette auszusteigen, sehr gut | |
nachvollziehen. Man stößt nur in einer Großstadtwohnung an gewissen | |
Grenzen, sei es bei der Schweinezucht oder bei der Getreideverarbeitung. | |
Ich habe mich darum auf die Zucht von Sea-Monkeys kapriziert, eine Art | |
Kleinkrebse, die gern in Zoohandlungen als Zierfischfutter verkauft werden. | |
Sie kann man zwar nicht essen, aber sie bieten einem die eingangs erwähnte | |
Gesellschaft, und man kann sie sogar beim Bummeln mitnehmen, in einer | |
eigens dafür konstruierten Armbanduhr, in der genau ein Sea-Monkey-Pärchen | |
ausreichend Platz findet. | |
Meine Enttäuschung darüber, dass die Sea-Monkeys nicht wirklich so groß | |
werden wie Affen und sich auch nicht so schön an den Händen halten wie auf | |
dem Bild im Yps-Heft, machte schon vor Jahren einer seither anhaltenden | |
Freude über diese unkomplizierten Mitbewohner Platz. | |
Die Hauptstadt der Monkeys mag zwar für Laien aussehen wie ein Eimer mit | |
abgekühltem Wischwasser. Dass Dr. Seuss genau diese Tiere im Sinn hatte, | |
als er den Kernsatz seines Epos „Horton hears a Hu“ dichtete, erkannte ich | |
jedoch bereits vor einer Weile. So liege ich nachts neben dem Eimer, | |
lausche dem regen Treiben, murmle vor mich hin: „A person ’s a person / no | |
matter how small!“. Und fühle mich in bester Gesellschaft. | |
3 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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