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# taz.de -- Street-Art-Touren in Buenos Aires: Bilder vor politischem Hintergru…
> Was bedeuten die Graffitis, welche Botschaften haben sie und wie sind sie
> entstanden? Touren durch Argentiniens Hauptstadt erzählen ihre
> Geschichte.
Bild: Nicht jeder, der sich in Buenos Aires nach Street-Art umschaut, ist Touri…
Einfach cool, dieser Kopf von Mao Tse-tung! Was seine Augen für merkwürdige
Blüten treiben, die sein Gehirn bevölkern! Mit dem will sie jetzt auf ein
Erinnerungsfoto. Und dann gleich noch mit dem nackten Gockel von gegenüber,
der sich wie eine schwangere Frau seinen kugelrunden Bauch hält. Die
Kanadierinnen können gar nicht genug bekommen.
Tatsächlich sind die Häuserwände und Fassaden von Buenos Aires ideale
Foto-Shooting-Locations. Zumindest in den Stadtteilen Palermo Soho,
Colegiales und Villa Crespo, wo sich jede Menge Street-Art-Künstler
betätigt haben. Im Gegensatz zu anderen Vierteln, wo alles Grau in Grau
ist, haben sie hier Farbe in die Straßen gebracht. Und Lebensfreude. Auch
wenn mal eine fast schwarze Wand darunter ist, die von der Gedankenwelt
Heideggers inspiriert sein will.
Aber was haben all diese Bilder zu bedeuten? Was für Botschaften enthalten
sie? Und wie sind sie entstanden? Das wurde Cecilia einmal von Freunden aus
England gefragt, als sie zu Besuch in Buenos Aires waren. Die junge
Argentinierin wusste keine Antwort, wurde aber neugierig und ging der Sache
nach. Sprach mit den Künstlern, fing an, alles zu dokumentieren, bastelte
an der Website Graffitimundo. Seit vier Jahren bieten die Graffitifans nun
auch thematische Stadtführungen an – zu Fuß oder per Fahrrad – in
englischer oder spanischer Sprache. Dabei werden die interessantesten
Street-Art-Objekte, ihre Geschichte und ihre Künstler vorgestellt.
Treffpunkt ist Samstagnachmittag um 15 Uhr in Colegiales an der Ecke, wo
die Calle Conde und Calle Jorge Newberry aufeinandertreffen. Nach und nach
findet sich ein Grüppchen von knapp zwanzig Leuten ein. Vorwiegend junge
Nordamerikaner, aber auch ein paar Australier und ein Ehepaar aus Belgien
sind gekommen, um das Buenos Aires jenseits vom Microcentro und der Avenida
9 de Julio kennenzulernen. Im Gegensatz zum lärmigen Stadtzentrum, wo das
Leben in Verkehr und Müll erstickt, ist es in dem Wohnviertel ruhig. Bäume
sorgen inmitten des Asphalts für etwas Grün, die Street-Art für immer neuen
Blickfang.
„Im Grunde hat diese Art von Kunst eine ganz lange Tradition in
Lateinamerika“, meint Cecilia. „Man denke nur an die riesigen Wandgemälde
in Mexico City.“ Aber im letzten Jahrzehnt haben sich die Graffiti in
Buenos Aires besonders stark vermehrt und zugleich eine künstlerisch
Qualität erreicht.“
## Politische Hintergründe
Der jungen Argentinierin zufolge hat dieser Umstand mit den spezifischen
Verhältnissen in ihrem Land zu tun. Schon während der repressiven
Militärdiktatur waren die Häuserwände für viele das einzige Medium, um ihre
Meinung kundzutun. Und während der schweren Wirtschaftskrise des Jahres
2001 machten sie abermals an Fassaden ihrer Wut, ihrem Ärger und der
Enttäuschung Luft. Selbst wer heute durch die einstige Prachtstraße Avenida
de Mayo geht, wird kaum eine Wand finden, die nicht mit irgendwelchen
Parolen, Aufrufen oder Wortfetzen beschriftet ist. „Nein zum
Antiterrorgesetz“, „Freiheit für die paraguayischen Gefangenen“, „Helf…
Sie mir bitte!“ oder auch „Catita, dein Vater liebt dich?“ steht da
geschrieben. Keine Wand bleibt verschont.
„Ganz krass war das vor zehn Jahren. Damals war der öffentliche Raum so
negativ aufgeladen, dass es für viele einfach unerträglich wurde“, erklärt
die Street-Art-Spezialistin. „Und so fingen sie an, der geballten
Negativität Farbe, Form und Kreativität entgegenzusetzen.“ Hier ein Vogel,
der auf dem Rücken eines Fahrradfahrers mitfährt, dort eine psychedelische
Madonna mit Kind, zwei Stiermenschen, die auf einer Riesenhauswand eine
Battle austragen, oder auch ein stilisierter Roboter, der das Haus einer
TV-Produktionsfirma schmückt. Stück für Stück haben die Street-Art-Künstler
den öffentlichen Raum zurückerobert.
Kein Wunder: Die Hässlichkeit und Lieblosigkeit vieler Straßenzüge mit
kaputten Bürgersteigen, Müll und Unrat scheint geradezu nach Kunst zu
schreien. Im Übrigen steht der öffentliche Raum sozusagen jedem frei,
sodass sich die Kreativität weitgehend ungehindert ausbreiten kann. Nur
offizielle Aushänge und dergleichen müssen respektiert werden. Bei privaten
Gebäuden ist wiederum die Genehmigung des Hausbesitzers einzuholen. Was
meistens kein Problem ist. Im Gegenteil: Nachdem viele erleben, wie sehr
die Kunstwerke in ihrer Nachbarschaft bewundert werden, möchten sie ihr
Haus ebenfalls „verschönert“ haben. Auch Bars und Restaurants schmücken
sich gern mal mit den hippen Graffiti.
So zum Beispiel das noble Tegui in der Calle Costa Rica 5852, wo sich
Vomito Attack austoben durfte. Eigentlich steht das Künstlerkollektiv für
eine mit schwarzem Humor gewürzte Kritik an Korruption und Konsumismus. Nun
hat ihre Kunst selbst einen kommerziellen Touch bekommen, und sie
distanzieren sich von dem Wandgemälde.
Auch die Post Bar in der Calle Thames 1885 beauftragte Street-Artisten mit
der Gestaltung der Fassade. Wobei den Betreibern zwischendurch das Geld
ausging. „Dann haben sie sich mit den Künstlern dahingehend geeinigt, dass
sie ihnen einen Teil des Hauses zur Verfügung stellten“, berichtet Cecilia.
Seitdem betreiben hier Künstler wie Malatesta, Buenos Aires Stencil und
Rundontwalk die Galerie Hollywood in Cambodia.
## Verschiedene Techniken
Die Expertin kann auch viel über die verschiedenen Techniken erzählen. Weit
verbreitet sind Stencils, wie die Schablonentechnik im Zusammenhang mit
Street-Art genannt wird. „Durch sie lassen sich die Formen schneller
applizieren, als wenn eine Wand langwierig bemalt wird“, weiß Cecilia.
Außerdem wird gesprayt. Manche – beispielsweise Malatesta – kombinieren
auch verschiedene Techniken wie Zeichnen, Wasserfarbenmalerei und Stencils.
Während die einen lieber anonym bleiben und ihren Beitrag als Teil der
kollektiven Graffiti-Kunst sehen, hinterlassen andere sogenannte Tags, mit
denen sie zu identifizieren sind.
Corona, Pum Pum, Other, Mart – es tauchen immer wieder dieselben Namen auf.
Und vor allem der von Jaz: Mit seiner Aerosol- und anderen Techniken hat er
immer größere Werke realisiert. Mal ist es ein trauriger Gitarrist, der auf
einem Pferderücken sitzt, mal sind es riesige Kämpfer, deren Oberkörper so
ineinander verkeilt sind, dass keine Köpfe mehr zu sehen sind. Er kann
bereits auf eine lange Street-Art-Karriere zurückblicken, hat sich nach und
nach vom eher kryptischen New Yorker Graffiti-Stil entfernt und nationalen,
leichter verständlichen Themen zugewandt,
Politische Botschaften sind selten. Nur einmal begegnet uns eine Wand, auf
der der Hausbesitzer seine Sympathie für die aktuelle Regierungschefin zum
Ausdruck bringt. In sehr dekorativen blau-weißen Lettern, den Farben
Argentiniens, wird ihr mit Sätzen wie „La chica que nos gusta“ – das
Mädchen, das uns gefällt – gehuldigt.
12 Oct 2013
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Buenos Aires
Street Art
Argentinien
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