# taz.de -- Peter Gabriel in Berlin: Im Kabinett des Mr. Gabriel | |
> Zwischen Retrospektive, Re-Enactment und Re-Interpretation: Peter Gabriel | |
> zeigt sich auf seiner „Back to Front“-Tour als Mann mit den vielen | |
> Gesichtern. | |
Bild: Ein Kopf mit vielen Ideen: Gabriel in seinem aktuellen Bühnen-Outfit. | |
Am Ende verschwindet der Sänger in einer riesigen Doppelhelix. Erst senkt | |
sich von der Decke ein gigantischer Ring wie ein Ufo auf ihn herab. Dann, | |
nachdem Peter Gabriel darin verschwunden ist, hebt sich der Ring wieder | |
nach oben und wird zu einem Schlauch, der an einen DNA-Strang erinnert. Da | |
hat der Brite mal wieder einen seiner aufwändigen Bühnen-Gimmicks aus dem | |
Hut gezaubert. | |
Angekündigt war das Konzert als schlichte Wiederaufführung seines | |
Erfolgsalbums „So“ im Original-Line Up. Solches Re-Enactment ist in Mode | |
gekommen: Ob Scritti Politti, Sonic Youth oder Bruce Springsteen, viele | |
Künstler führen frühere Werke derzeit originalgetreu wieder auf. Aber so | |
einfach macht es sich Gabriel nicht. Vor das Vergnügen hatte er deshalb | |
einen Werkstattbesuch gesetzt. | |
Sein Konzert gliedere sich in drei Teile wie ein Dreigängemenü, eröffnete | |
der 63-Jährige auf Deutsch in Berlin seinem verdutzten Publikum: in eine | |
Vorspeise, einen Hauptgang und alle Songs aus „So“ zum Dessert. Wie bei | |
einer öffentlichen Probe blieb das Saallicht darum an, als Gabriel mit | |
einem noch unfertigen Lied begann: es war, als würde man hinter die | |
Kulissen blicken und ihm beim Komponieren über die Schulter schauen. Das | |
war die eigentliche Überraschung: dass Gabriel, nachdem er zuletzt fast | |
hinter seinem Maschinenpark verschwunden war, sich nun für eine deutliche | |
Reduktion entschieden hat, um neuen Vibe in alte Songs zu bringen. | |
Mitten in „Family Snapshot“ von 1980 setzte der zweite Teil der Bühnenshow | |
ein, für den die Lichtanlage und die mächtigen LED-Monitore angeworfen | |
wurden. Auch seine Band legte einen Schalter um und ließ, mit schwer | |
stampfenden Rhythmen und sägenden, schabenden Geräuschen, den Funk aus der | |
Maschine. Bedrohlich klang das, unheimlich und düster: Willkommen im | |
Kabinett des Dr. Gabriel. Denn Gabriel ist Eigenbrötler und Entertainer | |
zugleich. Verwurzelt ist er im britischen Artrock der Siebzigerjahre, | |
verliebt ist er aber auch in futuristische Technikvisionen. Dazu passt sein | |
merkwürdiger Kapuzendress, der ihn wie eine Kreuzung aus mittelalterlichem | |
Gaukler und Elektriker in einem Atomkraftwerk aussehen lässt. | |
„So“ war eines der erfolgreichsten Alben des Jahres 1986, ein Wendepunkt in | |
Gabriels Karriere. Das Album besaß eine Leichtigkeit, die Gabriel nie zuvor | |
und auch später nie wieder erreichen sollte. Auf seiner aktuellen Tournee | |
bildet es den Kernpunkt seiner Retrospektive. Zu „Red Rain“ wird die Bühne | |
in rotes Licht getaucht, und von der Leinwand ergießt sich ein roter | |
Stahlregen wie Lava. Als sich das unvermeidliche „Sledgehammer“ anbahnt, | |
Gabriels Ausflug in die große, weite Welt des Disco-Dancefloors, geht ein | |
Raunen durch das Publikum, mit dem Stück schrieb Gabriel einst | |
Videoclip-Geschichte. Die Ballade „Mercy Street“ singt er am Boden liegend | |
wie ein Säugling, da ist er mit seinem Psychoanalyse-Pop ganz bei sich | |
selbst. Zuletzt klingen in „In Your Eyes“ und „Biko“ afrikanische Rhyth… | |
an. Denn Gabriel war auch Wegbereiter der „Weltmusik“. | |
Als Gabriel mit den Songs aus „So“ vor 25 Jahren zum ersten Mal in Berlin | |
auftrat, bestritt ein unbekannter Sänger mit einer alles durchdringenden | |
Stimme sein Vorprogramm, es war der junge Yousso N’Dour. Von ihm hat sich | |
Gabriel seinen eckigen Tanzstil abgeschaut. Bei Gabriel wirken die | |
Ausfallschritte aber, als habe er sie sich aus dem „Ministry of Silly | |
Walks“ der Sketchtruppe Monty Python geborgt. Schlecht sieht das nicht aus. | |
Nur eben sehr eigen. | |
21 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
## TAGS | |
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