# taz.de -- Theater: Kein Gramm Fett zu viel | |
> Toshiki Okada zu den Künstlern in Japan, die sich mit der Apathie nach | |
> der Katastrophe von Fukushima beschäftigen. | |
Bild: Toshiki Okada ist kein Mann großer Thesen | |
Jede ihrer Gesten sitzt, jedes Gefühl wirkt kontrolliert, und doch treibt | |
die Figuren in „Ground and Floor“ auf der Bühne etwas Unbestimmtes um. | |
Fragen quälen sie einerseits, die ganz konkret ausgesprochen werden. | |
Eigentümliche Kräfte scheinen andererseits auf sie zu wirken, ein Kondensat | |
aus Diszipliniertheit und großer Isolation. | |
Typisch japanisch, das lässt sich leicht über „Ground and Floor“ sagen, d… | |
neuen Abend des Regisseurs Toshiki Okada und seiner Truppe chelfitsch, die | |
in den vergangenen Jahren bereits immer mal wieder am Hebbel am Ufer (HAU) | |
gastierten. Kein Gramm Fett zu viel haben Okadas Inszenierungen. Man kennt | |
das ähnlich aus den Romanen von Haruki Murakami: Eine Reduziertheit haftet | |
diesem Stil an, die nichts mit Mangel zu tun hat, sondern eine ganz eigene | |
Klarheit, Frische und Konzentriertheit produziert. | |
Eine runde Milchglasscheibe ist in den Boden eingelassen und strahlt | |
warm-weiß, als verberge sich darunter noch eine andere Welt. Mal ist die | |
puristische Bühne auch in einen baumlaubhaften Schatten getaucht. Manchmal | |
erscheinen die Spieler wie lautlos auf der Spielfläche. | |
In solch suggestiver Stimmung begegnen sich in „Ground and Floor“ drei | |
Frauen und Männer, von denen man nach und nach erfährt, dass sie familiär | |
verbunden sind und doch voneinander abgeschnitten wirken. Da ist Haruka, | |
die überlegt, wo sie ihr Kind zu Welt bringen will, und auch allein aus | |
Japan weggehen würde. Ihr Mann Yukio, der sein Land wieder aufbauen will, | |
so wie es früher einmal war, und vor allem die Mutter, die, eigentlich | |
gestorben, wie ein Geist präsent zu sein scheint. | |
## Japanischer Schnellsprech | |
Zu Beginn wird ganz konkret die Frage gestellt: „Glauben Sie, dass | |
Japanisch verschwinden wird?“ In japanischen Schriftzeichen ist der Satz an | |
die kreuzförmige Bühnenwand projiziert und die Antwort gleich mit dazu: „In | |
ein paar tausend Jahren“. Das provoziert den großen Gefühlsausbruch des | |
Abends, im Schnellsprech erklärt eine der Spielerinnen, dass sie immer nur | |
Japanisch sprechen werde, dass sie niemals, nein, eine fremde Sprache | |
lernen wolle. Ein Tempo legt sie dabei vor, als könnte Schnelligkeit den | |
Lauf der Dinge aufhalten. | |
Das Verschwinden ist das Thema, das in den Szenen variiert – ob nun die | |
Mutter sich in ihrem Lebensunglück aus der Welt zurückzieht „wie eine | |
Schildkröte in den Panzer“, ob Haruka in ein anderes Land umsiedeln will | |
oder der Sohn sich wegen Arbeitslosigkeit vom Leben abgeschnitten fühlt. | |
Doch alles geschah bereits in der Vergangenheit oder ist in die Zukunft | |
gelegt, ihre Gegenwart wirkt dagegen wie ein Vakuum. | |
In Japan trifft Okada damit einen Nerv. Dort zählt er zu der Generation von | |
Künstlern, die sich nach dem Reaktorunglück von Fukushima mit der | |
einsetzenden Apathie beschäftigt. Im HAU wirkt das Gastspiel von „Ground | |
and Floor“ mehr wie ein zeit- und ortloses Bild einer Entfremdung. Figuren | |
sieht man, die überdurchschnittlich redegewandt sind und in ihrer | |
Kommunikation doch gebremst wirken. Man schaut den japanischen Spielern | |
dabei gerne zu, dem Zusammenspiel ihrer Gesten mit der Färbung ihrer | |
Sprache. Den schlichten Kleidern der Frauen, die sie umhüllen wie | |
Skulpturen. | |
Aufgeladen wird diese Optik durch die sphärischen Klänge der japanischen | |
Instrumentalband Sangatsu: weiche Gitarrenriffe und Keyboardsounds im Takt | |
eines Herzschlags, mit Glockenspielen wird drauflosgepeitscht oder man hört | |
das gedämpfte Rauschen einer Großstadt. Auch das weiche Licht steht ganz im | |
Dienst dieser musikalischen Skulptur. Die in den Boden eingelassene Scheibe | |
wechselt ihre Farben zu Azurblau und Pinkrot, als würde eine andere Welt | |
selbstbewusst durch die Luke heraufleuchten. Immer wieder starrt einer der | |
Spieler wie hypnotisiert auf dieses Licht. Was er dort sieht? Hält er | |
Zwiegespräch? Das erfährt man allerdings nicht. | |
Trotz der feinsinnig austarierten Ästhetik, trotz des offensichtlichen | |
Ringens mit Kräften, die Menschen, Sprachen, Länder für immer verschwinden | |
lassen, geben die Figuren ihr Inneres nicht preis. Leben, Tod, Zerstörung – | |
diese Stichworte blitzen in „Ground and Floor“ auf. Am Ende lässt einen die | |
Inszenierung auch ratlos in einem Lost-in-Translation-Gefühl zurück. Als | |
laufe das Spiel und das Reden in Chiffren ab, die noch etwas anderes | |
bedeuten und ihren verrätselten Kern nicht nach außen lassen. | |
Die nächsten Vorstellungen: 24. Oktober um 20 Uhr sowie 25. Oktober um 19 | |
Uhr im HAU 2. | |
23 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
## TAGS | |
Kammerspiele München | |
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