# taz.de -- Migrationskulturen: „Wir wollen irritieren“ | |
> Die Akademie des Jüdischen Museums nimmt sich die Migrationsdebatte vor | |
> und möchte neue deutsche Geschichten schreiben. Die Leiterin Yasemin | |
> Shooman erzählt, was sie vorhat. | |
Bild: Wer ist hier Migrant? Und was hat er zu erzählen? | |
taz: Frau Shooman, Sie leiten die Programme Migration und Diversität an der | |
Akademie des Jüdischen Museums. Was verbirgt sich dahinter? | |
Yasemin Shooman: Mein Arbeitsbereich umfasst die Inhalte, die sich als | |
Erweiterung der bisherigen Schwerpunkte des Museums mit Migration und | |
Diversität beschäftigen. Ich sehe die Akademie als Schnittstelle zwischen | |
dem wissenschaftlichen Fach- und dem breiten öffentlichen Diskurs, als | |
Knotenpunkt, wo wir Menschen zusammenbringen und Veranstaltungsformate | |
mischen können. Tagungen, die sich an ein Fachpublikum richten, können etwa | |
eine öffentliche Podiumsdiskussion am Abend beinhalten, die den Fachdiskurs | |
dann übersetzt. | |
Gerade bei diesen Themen ist ja die Kluft zwischen wissenschaftlicher und | |
öffentlicher Debatte ziemlich breit. | |
Ja. Ich möchte die Perspektive erweitern, indem wir nicht nur nationale, | |
sondern auch internationale Forschung zugänglich machen: Was passiert in | |
Ländern, die sich schon länger als wir als Einwanderungsgesellschaften | |
begreifen, was sind da die Diskussionen, was können wir davon fruchtbar | |
machen für den deutschen Kontext? Natürlich wollen wir damit Impulse in | |
politische Debatten geben, also den deutschen Integrationsdiskurs etwas | |
irritieren, indem wir neue Begriffe und Konzepte in die Diskussion | |
einbringen. | |
Wie zum Beispiel? | |
Interessant finde ich etwa „Bottom-up-Ansätze“, bei denen Integration nicht | |
als etwas gedacht wird, das von oben verordnet wird, sondern die davon | |
ausgehen, dass Migrantengruppen selbst ganz gut einschätzen können, was | |
noch passieren muss, damit ihre gesellschaftliche Teilhabe klappt. Solche | |
Ansätze werden etwa in den USA und Großbritannien verfolgt. | |
Was haben Sie konkret vor? | |
Wir machen am 22. November eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Rat für | |
Migration zu Migrations- und Integrationspolitik heute. Dabei wollen wir | |
darüber reden, was wir an die Stelle des Integrationsbegriffs setzen | |
können. Die Vorstellung einer homogenen Gesellschaft, in die Einwanderer | |
integriert werden müssten, ist veraltet. Statt aber bei dieser Kritik | |
stehen zu bleiben, wollen wir neue Begriffe entwickeln, die etwa auch die | |
Erfahrungen der zweiten und dritten Einwanderergenerationen | |
berücksichtigen. Diese Menschen sind nie selbst migriert – und teilen doch | |
Erfahrungen. | |
Was bedeutet das in konkrete Veranstaltungen übersetzt? | |
Mit dem Tag der offenen Akademie am Sonntag beginnen wir eine | |
Veranstaltungsreihe, die wir „Neue deutsche Geschichten“ genannt haben. | |
Dabei sind nicht die Geschichten neu – neu ist, dass sie als deutsche | |
Geschichten hörbar sein sollen. Es geht darum, Alltagsgeschichte von | |
MigrantInnen und ihren Nachkommen einen Platz im historischen Bewusstsein | |
dieser Gesellschaft zu verschaffen – möglichst in einer vergleichenden | |
Perspektive Ost/West. Auch die DDR hatte eine Migrationsgeschichte. | |
Welche Ziele verfolgen Sie mit diesen Aktivitäten und Veranstaltungen? | |
Wenn wir über gesellschaftliche Teilhabe sprechen, geht es auch um | |
symbolische Anerkennung. Dazu gehört, dass wir eine gemeinsame | |
Erinnerungskultur herausbilden, in die eben auch Erinnerungen und | |
Geschichten einfließen, die bislang im breiten historischen Gedächtnis nur | |
punktuell vorkommen. | |
Warum macht das alles das Jüdische Museum? Wäre das nicht eher eine Aufgabe | |
etwa politischer Stiftungen? | |
Unsere Stärke ist es, die Perspektive zu erweitern und zu fragen: Wie sehen | |
diese Themen aus der Sicht einzelner Minderheiten aus? Gerade deshalb finde | |
ich das Jüdische Museum einen richtigen Ort für all das, denn hier ist die | |
Perspektive einer Minderheit paradigmatisch gesetzt. Die Erfahrungen von | |
Juden unterscheiden sich natürlich, aber es gibt auch Anknüpfungspunkte zu | |
den Erfahrungen anderer religiöser und ethnischer Minderheiten. Die neuere | |
jüdische Geschichte in Deutschland ist zudem auch eine | |
Migrationsgeschichte: Die russischsprachigen Juden in Deutschland sind eine | |
große Gruppe und eine, die Migrationserfahrung hat. | |
Am Sonntag, 27.10., veranstaltet das Jüdischen Museum den Tag der offenen | |
Akademie. | |
25 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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