# taz.de -- Integration: Migrantinnen, dringend gesucht | |
> Frauen aus Einwanderer-Familien sind in Sportvereinen eine Seltenheit. Um | |
> daran etwas zu ändern, bietet der Bremer Landessportbund | |
> Übungsleiter-Kurse an. | |
Bild: Möchte ihre guten Erfahrungen aus dem Sportverein weitergeben: Melek Ort… | |
BREMEN taz | „Du kannst Kindern nicht sagen, ’eure Trainerin kommt später�… | |
Die müssen gleich wissen, dass du die heute vertrittst, weil sie verhindert | |
ist, sonst hören die die ganze Stunde nicht auf zu fragen und zu gucken.“ | |
Melek Orta weiß das, weil sie selbst als Schülerin Volleyball im | |
Sportverein gespielt hat. Die Frau hingegen, der sie gerade den Tipp | |
gegeben hat, hat keine Vereinserfahrung – wie viele andere der 20 Frauen, | |
die vergangene Woche in der Halle des Bremer TV Walle von 1875 den ersten | |
Teil ihres Lehrgangs zur lizensierten Übungsleiterin im Sport absolvierten. | |
Die jüngste Teilnehmerin ist 16, die älteste 56, fast alle haben | |
„Migrationshintergrund“. Seit 1996 bietet der Bremer Landessportbund für | |
diese Zielgruppe die Übungsleiterinnen-Ausbildung an. Weil sie vom Senat | |
der Stadt bezuschusst wird, kostet sie statt 540 Euro nur 130 Euro. Und | |
weil viele der Frauen Kinder haben, wird sie in den Ferien angeboten. Der | |
zweite Block ist über Ostern geplant, dazwischen liegen zehn | |
Hospitations-Stunden in Sportvereinen. | |
Das Ziel ist, dass die Frauen selbst einmal Gruppen in Vereinen übernehmen. | |
„Aber das muss nicht unbedingt sofort passieren“, sagt Astrid Touray vom | |
Landessportbund. „Vielleicht fangen sie erstmal im Moscheeverein oder bei | |
der Volkshochschule an und finden später den Weg in den Verein – am besten | |
mit der ganzen Gruppe!“ Ein Erfolg sei auch, wenn eine Frau über den Kurs | |
zu mehr Selbstvertrauen finde, sich traue, eine Gruppe zu leiten. | |
Um sie dahin zu bringen, macht die Lehrgangsleiterin Antje Büssenschütte | |
verschiedene Übungen mit den Frauen. Am vierten Kurstag etwa sollten sie | |
sich vorstellen, sie müssten kurzfristig eine andere Übungsleiterin | |
vertreten. Erst diskutieren sie die Frage, welche Informationen man den | |
KursteilnehmerInnen über den Verbleib ihrer Gruppenleiterin weitergibt. | |
Dann geht es um den Umgang mit Nachrichten wie: „Da sind sechs Kinder, die | |
immer Probleme machen.“ Während einige gleich zu Beginn klar machen wollen, | |
dass undiszipliniertes Verhalten mit zehn Liegestützen bestraft wird, | |
stellen andere die pädagogische Eignung von jemanden infrage, der so über | |
Kinder urteilt. | |
„Ich kann die doch ganz anders wahrnehmen!“, sagt Lilia Vorobeva. Die | |
45-Jährige hat in Russland zwölf Jahre als Grundschullehrerin gearbeitet | |
und muss in Deutschland von vorne anfangen. Sie hat eine Ausbildung zur | |
Erzieherin gemacht. Weil sie in diesem Jahr keinen Platz für ihr | |
vorgeschriebenes Anerkennungspraktikum fand, überbrückt sie die Zeit unter | |
anderem mit dem Sport-Kurs. Was sie genau damit anfangen will, wisse sie | |
noch nicht, sagt sie. „Ich mache einfach gerne Sport und gucke mir jetzt in | |
den Vereinen alles an!“ | |
Währenddessen tobt der Nachwuchs der Frauen lärmend mit Fußbällen durch die | |
Halle. Die Frau, die die sechs Kinder zwischen elf Monaten und zehn Jahren | |
betreut, ist krank geworden. Die Gruppe bleibt gelassen. Nur wenn es allzu | |
laut wird, schreitet eine der Frauen ein. „Die bringt so schnell nichts aus | |
der Ruhe“, sagt Kursleiterin Antje Büssenschütte, | |
Ernährungswissenschaftlerin und Leichtathletin. Eigentlich, sagt die | |
54-Jährige, habe sie gar keine Zeit für den Kurs, aber es mache einfach zu | |
viel Spaß. Sie ist beeindruckt von der Lebensweisheit der Frauen und ihrer | |
Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen und mit Problemen wie | |
fehlender Kinderbetreuung pragmatisch umzugehen. | |
Und für viele der Frauen bedeutet der Übungsleiterschein viel mehr als eine | |
Lizenz zum Sportunterricht. Die vereinserfahrene Melek Orta will auf diesem | |
Weg Mädchen, wie sie selbst einmal eines war, eine Aufgabe geben, sie „von | |
der Straße holen“, wie sie sagt. „Ich komme selbst aus einem sozialen | |
Brennpunkt in Gröpelingen“, erzählt die 29-Jährige, während die anderen | |
Aufwärmübungen machen. Bis sie in der siebten Klasse von einer Lehrerin | |
angesprochen wurde, ob sie nicht Volleyball spielen wolle, habe sie | |
herumgehangen, sagt sie. Jetzt will sie beim türkischen Fußball-Klub Vatan | |
Sport die Damensparte aufbauen, mit Mädchen ab 14 Jahren beginnen. „Damit | |
die etwas mit sich anzufangen wissen.“ | |
Ein ganz konkretes Ziel vor Augen hat auch Melahat Öztürk. Die 44-jährige | |
Mutter von drei Kindern heißt eigentlich anders, will aber anonym bleiben. | |
Sie schwimmt für ihr Leben gern, kann dies aber aus religiösen Gründen | |
derzeit nur einmal die Woche tun. Dafür fährt sie am Montagmorgen nach | |
Vegesack in den Bremer Norden. Ab halb neun gehört dort das kleine Grohner | |
Bad muslimischen Frauen. Anderthalb Stunden haben sie, in denen sie ganz | |
unter sich sind. Es fehle seit der Schließung des Goosebads in ihrem | |
Stadtteil Walle nicht nur an Bädern, in denen muslimische Frauen schwimmen | |
können, die Sorge haben, Bekleidungsregeln zu verletzen. Melahat Öztürk | |
will auch dafür sorgen, dass es wenigstens eine weitere Frau gibt, die | |
berechtigt ist, als Leiterin für die Gruppe zu fungieren. Dafür braucht sie | |
nicht nur die Lizenz als Übungsleiterin, sondern auch noch das | |
Bronze-Schwimmabzeichen, für das sie trainiert. | |
Und dann ist da noch Natalia Neumann. Sie war in Russland erfolgreiche | |
Spitzensportlerin. Doch dann wanderte sie im Jahr 2000 nach Deutschland | |
aus, bekam drei Kinder und hatte seitdem keine Arbeit: Ihr | |
Lehrerinnen-Diplom wird hier nicht anerkannt. „Ich hatte keine Kraft, es | |
war wie ein Gefängnis“, erzählt die 38-Jährige in vorsichtig gesprochenem | |
Deutsch, „immer nur zu Hause, zu Hause, zu Hause.“ Ihr Jüngster sei im | |
Sommer in die Schule gekommen. „Jetzt bin ich frei.“ Endlich konnte sie | |
einen Sprachkurs machen, in dem sie so viel Deutsch lernte, dass sie sich | |
damit nach draußen traute. Und: Ihre Sprachlehrerin ließ nicht locker, | |
fragte immer wieder nach, was sie machen will. „Was kannst du? Was macht | |
dir Spaß?“, habe diese gefragt. Bis sie sich daran erinnerte, wie gerne sie | |
sich bewegt, dass sie ihr Leben lang verschiedene Sportarten betrieben hat. | |
Während sie das erzählt, fliegt plötzlich ein Ball aus dem Nichts auf sie | |
zu. Als hätte sie einen siebten Sinn dafür, fängt sie ihn auf. Was sie | |
genau nach diesem Kurs damit anfangen will, weiß sie noch nicht. Aber das | |
sei nicht entscheidend. Sondern: „Ich habe etwas für mich gefunden.“ | |
28 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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