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# taz.de -- Organisierte Kriminalität: „Deutschland hinkt hinterher“
> Die Bundesländer sollten eigenständig Menschenhandel und Korruption
> bekämpfen, sagt der Grünen-Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht.
Bild: Mit der Zusammenarbeit ists nicht immer weit her: Ermittler des LKA Niede…
taz: Herr Albrecht, der [1][CRIM-Report] hat viele durch eine Zahl
geschockt: Es gibt demnach in der EU 880.000 ZwangsarbeiterInnen.
Jan Philipp Albrecht: Die Zahlen haben wir im Sonderausschuss als Basis
gebraucht, die hat das Europäische Parlament nicht selbst recherchiert. Wir
haben sie von der ILO, also der Internationalen Arbeitsagentur, übernommen.
Im Vergleich zu bisherigen Angaben wirken sie extrem hoch. So sprach etwa
das Bundesinnenministerium für das Jahr 2011 von 640 Fällen der
Zwangsprostitution. Das ist zwar nur eine nationale Zahl aus einem
prominenten Teilbereich – aber von dort zur einer knappen Million?
Zahlen aus solchen Dunkelfeldern sind immer mit Vorsicht zu genießen. Es
ist allerdings davon auszugehen, dass die tatsächlichen Zahlen deutlich
höher sind, als das, was etwa die Bundesregierung erfasst. Allein, weil in
diesem Bereich so viel unermittelt bleibt.
Inwiefern?
Nötige Ermittlungen werden oft gar nicht aufgenommen, weil Polizei und
Justiz erst ab der Grenze tätig werden. Genau darum geht es ja im Bericht:
darzustellen, wo die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität liegen. Also vor allem Steuerbetrug, Korruption, Geldwäsche –
und eben Menschenhandel –, gegen die stärker gemeinsam vorgegangen werden
müsste.
Mit Akzent auf „gemeinsam“?
Ja. Wir brauchen gemeinsame Verfahrensregeln, um komplexe,
grenzübergreifend organisierte Kriminalität bekämpfen zu können.
Es hapert bislang bei der Zusammenarbeit?
Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall von Frank [2][Hanebuth…]
… dem Hell’s-Angels-Boss aus Hannover, der auf Mallorca festgenommen wurde.
Da hatten die spanischen Behörden Rechtshilfe beantragt – und die
niedersächsischen haben das Ansinnen zurückgewiesen. Das größte Hindernis
war, dass nicht geklärt werden konnte, welche Verfahrensstandards denn nun
gelten. So lässt sich organisierte Kriminalität nicht effektiv bekämpfen.
Und im föderal gegliederten Deutschland wird es gleich doppelt schwer?
Die Zusammenarbeit in Deutschland ist sicher noch eine eigene Frage. Aber
das größere Problem ist die Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten. Oft
will man offenbar nicht glauben, dass es im Nachbarland gleichwertig
arbeitende Behörden gibt.
Das Ziel des CRIM-Berichts ist dabei eine Harmonisierung des
strafrechtlichen Rahmens. Zugleich gibt es aber gerade in diesem Feld auf
Länderebene den Trend, selbst aktiv zu werden: Schleswig-Holstein hat seit
Januar eine neue Anti-Korruptionsrichtlinie, Bremen bastelt derweil an
einem eigenen [3][Prostitutionsgesetz].
Wo ist das Problem? Das Europaparlament hat nicht den Anspruch, alles ins
Detail zu regeln. Unser Anspruch ist, dass man zur Umsetzung der gemeinsam
verabschiedeten Rahmenbedingungen kommt.
Aber schadet so ein föderales Flickwerk dabei nicht?
Das kann ich nicht erkennen. Wenn die Bundesregierung untätig bleibt…
… wieso untätig?
Deutschland hinkt infolge einer einseitigen Fokussierung auf
Terrorbekämpfung bei Fragen der organisierten Kriminalität hinterher: Beim
Menschenhandel-Opferschutz sind die einschlägigen EU-Richtlinien noch nicht
umgesetzt, die Anti-Korruptionskonvention der UN hat man noch nicht
ratifiziert – da wäre so Einiges noch zu tun. Insofern ist es absolut
richtig, wenn einzelne Bundesländer die Initiative ergreifen. Das nutzt dem
gemeinsamen Ziel. Die EU-Staaten müssen da nämlich jetzt allmählich
liefern.
Indem sie Verfahren zur Erfassung von Fluggastdaten entwickeln?
Nein, ganz sicher nicht.
Hatte der CRIM-Bericht aber empfohlen!
Das ist richtig, das war von der konservativen Seite gefordert – und wir
sind froh, dass es uns als grüner Fraktion gelungen ist, das Plenum vor der
Abstimmung am Freitag zu überzeugen, diesen Passus rauszustreichen.
Das klingt wie ein Widerspruch – Sie wollen doch organisierte Kriminalität
bekämpfen.
Das ist es aber nicht. Es ist ein Irrglaube, dass mehr Repression und mehr
Überwachung das Fehlen einer gemeinsamen Kriminalitätsbekämpfung
kompensieren würden: Das Problem ist, dass die bestehenden Möglichkeiten
nicht effektiv genutzt werden. Oft genug gelingt es nicht einmal, den
Telefonhörer auf der einen Seite der Grenze abzuheben und auf der anderen
Seite anzurufen, um eine Information zu erfragen.
Wäre das per Dekret zu regeln?
Die konkrete Zusammenarbeit von Polizei und Justizbehörden muss gestärkt
werden. Das hat der Bericht auch klar herausgearbeitet: Es geht um
gemeinsame, europäische Ziel und Prioritätensetzungen, und eben nicht
darum, die Bürgerrechte weiter zu beschneiden und viel Geld in neue
Überwachungsinfrastrukturen zu stecken.
Im Report wird vorgeschlagen, im Kampf gegen den Menschenhandel die eigenen
Grenzschützer besser auszustatten. Bedeutet das nicht im Klartext:
[4][Frontex] soll die Flüchtlinge noch effektiver als bisher zurück ins
Meer treiben?
Wenn damit gemeint wäre, das weiter zu betreiben wie bisher, wäre es die
falsche Richtung. Aber dahinter steckt auch die Idee, die Ressourcen dafür
zu nutzen, den Flüchtlingen die Menschenrechte zukommen zu lassen, die wir
als EU ständig vor uns her tragen.
Und der Grenzschutz unterscheidet dann sauber zwischen humanitären
Fluchthelfern und kriminellen Schleppern?
Der Kampf gegen Menschenhandel sollte nicht dazu dienen, irreguläre
Migration zu verhindern. Und der Vorrang müsste hier aus grüner Sicht
deutlicher artikuliert werden: Im jetzigen Europaparlament gibt es dafür
aber keine Mehrheit.
28 Oct 2013
## LINKS
[1] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT
[2] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/hells-angels-auf-mallorca-ermittlunge…
[3] /!112644/
[4] /Schutz-der-EU-Aussengrenzen/!125708/
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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