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# taz.de -- Theater in Dessau: Bald der letzte Vorhang?
> Das Anhaltische Theater Dessau ist ein Mehrspartenhaus. Es steht vor dem
> Verlust seiner Identität durch geplante Streichung eines Drittel seines
> Etats.
Bild: Mit Seilen versuchen die Dessauer, ihr Theater festzuhalten.
Abenddämmerung. Die Lichter gehen an. Ein Haus, ein Theater, das erstrahlt.
Enthüllt seinen Zauber. Ist eine Einladung. Glastüren, die sich öffnen. Ein
Vorhang, der sich hebt. Eine Bühne, die in eine andere Welt entführt. Für
ein paar Stunden.
Eine Bühne, auf der am Anhaltischen Theater in Dessau auch der Schauspieler
Sebastian Müller-Stahl steht. Seit 2009 gehört der 37-Jährige zum Ensemble,
engagiert sich im theaterpädagogischen Projekts „TheaterMachtSchule“. Er
führt seine Patenklasse in Vorstellungen, diskutiert mit ihnen über
Shakespeares „Hamlet“. Erklärt, dass es dazu für ihn Freiraum braucht. Lu…
zum Atmen, um Ideen zu entwickeln, um die Menschen in und um die Stadt
einzubeziehen in ein lebendiges Theater.
Wie oft sich der Vorhang für ihn, für das Ensemble noch öffnet, wird
derzeit im Landtag Sachsen-Anhalts diskutiert. Das Anhaltische
Landestheater Dessau sieht sich mit massiven Kürzungen des
Kultusministeriums konfrontiert. Landesmittel von 2,9 Millionen Euro, 36
Prozent des bisherigen Etats, werden im nächsten Jahr voraussichtlich nicht
mehr zur Verfügung stehen. Schultern müsste die Einbußen der Träger, die
Stadt Dessau-Roßlau, was ohne weitere Einschränkungen für die Stadt und
deren kulturelle Einrichtungen als nicht machbar gilt. Deshalb hat der
Deutsche Kulturrat das Anhaltische Theater auf die „Rote Liste der
bedrohten Kultureinrichtungen“ gesetzt.
## Unrecht passiert
„Ich habe das Gefühl, hier passiert Unrecht. Der Druck ist Wahnsinn. Selbst
der Bund erhöht den Kulturetat. Hier hält man an diesen irren Kürzungen
fest“, sagt Sebastian Müller-Stahl.
Vor dem Verlust des Arbeitsplatzes stehen nicht nur Orchestermusiker,
Tänzer, Schauspieler, sondern auch langjährige Mitarbeiter hinter den
Kulissen. Es ist die Bühne, an die sie sich alle gebunden fühlen. Was mit
ihr zu verschwinden droht, ist die Komödie, das Drama, das
gesellschaftskritische Stück, das Märchen, das Ballett. Was ohne dies
bleibt, ist ein Vakuum.
Graues, mildes Herbstlicht fällt durch gelbe Glasfenster in der
Theaterkantine. Mittags füllt sie sich, hier treffen sie sich wie eine
Familie. Der Schauspieler. Der Dramaturg. Der Generalintendant. Gedränge am
Tresen, um Essen zu bestellen. Einen Kaffee dazu. Für 50 Cent. Guter
Kaffee. Geschirr klingt aneinander, gibt Geräuschkulisse zu all den
Gesprächen an den Tischen. Zu den Debatten, dem Austausch auch über die
eigene Zukunft. Es ist pure Lebendigkeit. Noch.
## Gekappte Sparten
Hiervon räumlich und gefühlt weit entfernt werden die Entscheidungen
getroffen. Für den Kultusminister Sachsen-Anhalts, Stephan Dorgerloh (SPD),
der die Sparvorschläge eingebracht hat, erscheinen die Einsparungen und
deren mögliche Konsequenzen nicht als Problem. Er setzt auf ein Konzept,
durch Beschneidung den Erhalt verbleibender Sparten zu ermöglichen. Durch
Kooperationen mit anderen Häusern soll ein annehmbarer Spielplan gesichert
werden. Die Zukunft des Theaters in Dessau wäre nur noch die eines
Musiktheaters. Ein Theater ohne Schauspiel und Ballett.
Angebracht ist die Frage, ob eine Stadt mit schwindender Einwohnerzahl,
eine Region, die sich neu strukturieren muss, sich ein solch großes Haus
mit mehreren Sparten leisten kann und darf. 180.000 Zuschauer jährlich
sprechen für eine hohe Auslastung – in einer Stadt mit 85.000 Einwohnern.
Trotzdem bleiben Vorstellungen auch schlecht besucht bei 20 Produktionen
von Schauspiel, Oper und Ballett für die große Bühne in dieser Spielzeit.
1.072 Sitze, die nicht immer gefüllt sind. Nicht immer nur positiv ist die
Resonanz.
„Das Theater ist groß, aber nicht zu groß“, sagt der Generalintendant And…
Bücker. „Wir können das Theater nun mal nicht klein hauen.“ Vom Sammelpun…
Kantine bis zum Chefbüro sind es nur wenige Schritte. Eine Treppe. Ein
verwinkelter Gang. Generalintendant André Bücker rückt sich zurecht. Es ist
jetzt wohl seine Aufgabe zu sprechen für dieses Theater.
Dieses Mehrspartenhaus, das er als so eindrucksvoll begreift, dass es
vermag, Besucher aus der ganzen Region anzuziehen. Gerade weil er immens
ist, der Prunkbau aus den 30er Jahren, der eigens gebaut wurde, um Wagner
zu spielen, gedacht, ein „Bayreuth des Nordens“ zu werden, macht er
aufwendige Inszenierungen und Bühnenbilder möglich. Als ein Musiktheater
verliert diese Bühne ihre Bestimmung. Als die größte Sachsen-Anhalts, eine
der größten Drehbühnen Deutschlands, die für eingekaufte Fremdproduktionen
kleinerer Häuser nicht geschaffen ist. Es ist die Identität des Theaters,
über die verhandelt wird.
„Das Einzige, das noch passieren könnte, ist, dass über Nacht im Land der
Aufklärung die Sonne der Vernunft aufgeht“, resümiert Bücker. Die Menschen
des Theaters fühlen sich verbunden mit dieser Stadt. Die Menschen dieser
Stadt fühlen sich verbunden mit dem Theater. Sie setzen zusammen ein
Zeichen. Es spannen sich Seile von Dach und Fenstern, festgezurrt am Boden.
Geben kaum ein Durchkommen. Sollen das Haus am Platz halten. Die Menschen
bleiben. Bis die Lichter angehen. Bis die Lichter ausgehen.
31 Oct 2013
## AUTOREN
Manuela Rauer
## TAGS
Theater
Dessau
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