# taz.de -- Energieverbrauch: "Nur das Sahnehäubchen abgeschöpft" | |
> Beim Volksentscheid geht es nicht nur um die Stromversorgung, sondern | |
> auch um Wärme. Und die ist sogar viel wichtiger, sagt | |
> BUND-Geschäftsführer Andreas Jarfe. | |
Bild: Haushalte in Ostberlin brauchen pro Person weniger Energie zum Wärmen. D… | |
taz: Herr Jarfe, warum ist Wärme wichtig? | |
Andreas Jarfe: Für Wärme verbrauchen wir ungefähr viermal so viel Energie | |
wie für Strom. Wenn wir eine klimaneutrale Stadt werden wollen, müssen wir | |
hier handeln. | |
Wie viel der Wärme wird in den Haushalten zum Heizen gebraucht? Wie viel | |
zum Duschen und Baden? | |
Etwa 90 Prozent geht für die Heizungswärme drauf. | |
So viel? Obwohl ich nur im Winter die Heizung aufdrehe, aber das ganze Jahr | |
dusche? | |
Ja, aber das ist ein relativ marginaler Anteil. Man duscht ja nur ein paar | |
Minuten. | |
Woher kommt die Wärme? | |
Den größten Anteil hat Gas. Da hat man einen Kessel oft im Badezimmer oder | |
bei einer Zentralheizung im Keller. Danach folgt Heizöl, vor allem bei | |
vielen älteren Einfamilienhäusern. Und gerade im Osten der Stadt ist | |
Fernwärme verbreitet, die in den Kraftwerken meistens mit Steinkohle oder | |
Gas erzeugt wird. | |
Wie hoch ist denn der Anteil erneuerbarer Energien beim Strom und bei der | |
Wärme? | |
Beim Strom haben wir bundesweit ungefähr 28 Prozent. Bei der Wärme in | |
Berlin sind es deutlich unter einem Prozent: Das ist ein bisschen Holz, das | |
Vattenfall in seinen Kohlkraftwerken beimischt, und das sind organische | |
Reste im Hausmüll, der im Kraftwerk Ruhleben verbrannt wird. | |
Das heißt: Obwohl Wärme viel schädlicher für das Klima ist als Strom, hat | |
dort die Energiewende noch nicht begonnen? | |
Absolut. Wir haben riesige Gefechte geführt in den letzten Jahrzehnten um | |
den Strom, doch der hat eigentlich nur einen marginalen Anteil am | |
CO2-Ausstoß. Wir haben bisher nur das Sahnehäubchen abgeschöpft und die | |
sehr mächtige Erdbeertorde, die da drunter steht, haben wir noch nicht mal | |
angefasst. | |
Wie kann man hier den CO2-Ausstoß senken? | |
Man muss auf der einen Seite den Wärmebedarf senken durch eine bessere | |
Dämmung der Gebäude und moderne, effizientere Heizungsanlagen. Was dann | |
noch übrig bleibt, muss man klimafreundlich aus erneuerbaren Energien | |
erzeugen. | |
Beginnen wir mit der Sanierung. | |
Das Dachgeschoss ist immer das erste und wichtigste unter dem | |
Kosten-Nutzen-Aspekt. Das muss gut isoliert sein, weil Wärme nach oben | |
steigt. Der zweite Punkt ist die Abdichtung des Gebäudes nach unten, damit | |
von dort weniger Kälte rein kommt. Die dritte Maßnahme ist die Isolierung | |
der Außenfassade und die letzte Maßnahme ist der Austausch der Fenster. | |
Die Fenster sind am unwichtigsten? | |
Auch moderne Fenster sind immer noch ein erhebliches Kälte-Einfallstor. Man | |
kann den Wärmeverlust dort nicht so senken wie bei Dach und Wänden. | |
Wie kann ein Stadtwerk die Gebäudesanierung unterstützen? | |
Zum Beispiel durch so genannte Contracting-Modelle. Das Stadtwerk zahlt für | |
die Sanierung und erhält im Gegenzug die eingesparten Heizkosten. | |
So kommen die Sanierungskosten auf lange Sicht wieder herein und | |
anschließend gibt es sogar eine Rendite? | |
Richtig. | |
Dann braucht es dafür kein kommunales Stadtwerk, das könnten auch Banken | |
machen. | |
Theoretisch ja, sie machen es nur nicht. Vor allem nicht bei Ein- oder | |
Zweifamilienhäusern. Für die kommerziellen Anbieter rechnet sich das nur, | |
wenn sie mit kleinem Aufwand ein großes Finanzvolumen erreichen, zum | |
Beispiel bei einem ganzen Krankenhaus. Bei einem Stadtwerk steht die | |
Rendite nicht im Vordergrund, sondern eine gesellschaftliche Leistung: Es | |
muss die Klimapolitik begleiten. | |
Was würde denn die Wärmedämmung aller Gebäude in Berlin kosten? | |
Da gibt es verschiedene Schätzungen, aber die ungefähre Größenordnung liegt | |
in einem Bereich um die 20 Milliarden Euro für die Wohnungen. Dazu kommen | |
noch öffentliche Verwaltung, Industrie und Büros. | |
20 Milliarden sind ungefähr so viel wie die Gesamtausgaben des Landes | |
Berlins und aller Bezirke zusammen in einem Jahr. | |
Ja, aber die Ausgaben fallen nicht auf einen Schlag an, das ist eine | |
kontinuierliche Aufgabe. Man kann das auch stufenweise umsetzen und mit | |
anderen Sanierungsarbeiten verbinden. Das macht es billiger: Wenn ich | |
sowieso mein Dach neu decken muss, kann ich auch gleich die Dämmung | |
einbauen. | |
Wie viel Geld aus dem Landeshaushalt bräuchte das Stadtwerk als Kapital, um | |
die Gebäudesanierung in einer relevanten Größenordnung unterstützen zu | |
können? | |
Da überfragen Sie mich. Natürlich sind die Dimensionen sehr viel höher als | |
derzeit vom Senat geplanten 1,5 Millionen. Aber es ist eine Vorsorge, damit | |
wir die Folgen des Klimawandels eindämmen: Überschemmungen, Unwetter, | |
Hitze, Dürren, Kälteexzesse. Die dafür kalkulierten Kosten sind ein | |
Zigfaches. | |
Wenn man ein Gebäude heute saniert, wie stark sinkt dadurch der | |
Wärmebedarf? | |
Mindestens gut die Hälfte. | |
Wie kann man erneuerbare Wärme erzeugen? | |
Das ist die Sonne, das ist Erdwärme, auch Holz als nachwachsender Rohstoff | |
kann verbrannt werden. Man kann auch Biomasse vergären, zum Beispiel Mais, | |
so erhält man Biogas. | |
In Berlin gibt es kein nennenswertes Erdwärme-Potenzial, und die Sonne | |
scheint genau dann am wenigsten, wenn ich die meiste Wärme brauche, also im | |
Winter. | |
Genau. | |
Bei Holz ist das Problem, dass es so langsam wächst. So viel, wie man | |
braucht, kann man in der ganzen Region nicht anbauen. Beim Mais zum | |
Vergären ist es genauso. | |
Richtig. Es gibt sehr wenige erneuerbare Energien im Wärmebereich, deshalb | |
müssen wir den Bedarf so klein wie möglich bekommen. | |
Aber selbst einen halbierten oder gedrittelten Wärmebedarf kann man nicht | |
mit erneuerbaren Energien decken. | |
Was soll ich dazu sagen. Das ist sicher eine der großen Herausforderungen. | |
Wir werden neue Technologien ausprobieren müssen. Und ein wesentliches | |
Problem ist die verzögerte Diskussion um den Wärmemarkt. Wir haben uns | |
jahrzehntelang einzig und alleine, anfänglich aus der Anti-Atom-Diskussion | |
kommend, um den Strommarkt gekümmert. | |
Mein Problem ist der konkrete Gesetzestext, über den ich am Sonntag | |
abstimmen soll. Darin heißt es, dass das Stadtwerk dazu beiträgt, dass die | |
Versorgung auch bei Wärme langfristig „zu 100 Prozent auf der Grundlage | |
dezentral erzeugter erneuerbarer Energien erfolgt“. Ich kann doch nicht | |
guten Gewissens mit „Ja“ stimmen, wenn das unmöglich ist? | |
Unmöglich ist es glaube ich nicht. Es wird möglich sein. Vor allem dann, | |
wenn wir den Energiebedarf noch drastischer reduzieren. Es gibt auch jetzt | |
schon Gebäude, die gar keine Wärme mehr benötigen. Das haben wir | |
zugegebenermaßen bisher vor allem bei Neubauten. Es gibt aber auch erste | |
Pilotprojekte, mit denen untersucht wird, ob man einzelne Anwendungen auch | |
auf bereits stehende Gebäude übertragen kann. | |
Das Wort „langfristig“ im Gesetzestext ist also ... | |
... als offener Zeitpunkt definiert. Da geht es nicht um Jahre, sondern um | |
Jahrzehnte. | |
Was halten Sie eigentlich von dem Stadtwerke-Gegenmodell vom Senat? | |
Das ist nur ein politischer Schachzug. Es ist nicht auf den Wärmemarkt | |
ausgerichtet. Deshalb muss man am Sonntag mit „ja“ stimmen: Für ein | |
Stadtwerk, das beim Kampf gegen den Klimawandel an der wirklich | |
entscheidenden Stelle ansetzt. | |
Siehe auch: | |
[1][Folien von Andreas Jarfe zur Wärme in Berlin] (PDF) | |
[2][//blogs.taz.de/rechercheblog/2013/05/08/warum-vattenfalls-waerme-die-be | |
ste-waerme-ist/:Warum Vattenfalls Wärme die beste ist] | |
31 Oct 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://blogs.taz.de/hausblog/files/2013/10/Vortrag_Waermetool-Jarfe.pdf | |
[2] http://https | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
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