| # taz.de -- Gedenkstätten-Leiter über Gestapo-Chef: „Ich bin fassungslos“ | |
| > Gedenkstätten-Leiter Johannes Tuchel über den gesuchten | |
| > NS-Kriegsverbrecher Heinrich Müller. Er ist seit 1945 auf einem früheren | |
| > Jüdischen Friedhof in Berlin begraben. | |
| Bild: Der frühere Jüdische Friedhof in Berlin-Mitte: Hier soll in einem Masse… | |
| taz: Herr Tuchel, Sie haben herausgefunden, dass der Chef von Hitlers | |
| Geheimer Staatspolizei (Gestapo), Heinrich Müller, auf dem ehemaligen | |
| Jüdischen Friedhof in Mitte beerdigt wurde. Über seinen Verbleib nach dem | |
| Krieg ist viele Jahre spekuliert worden. Was genau haben Sie wo entdeckt? | |
| Ausgangspunkt meiner Recherchen war eine Mordaktion an 18 | |
| Widerstandskämpfern, die am 22. und 23. April 1945 in der Nähe des | |
| Zellengefängnisses an der Lehrterstraße erschossen wurden - auf Befehl | |
| Heinrich Müllers. Darum habe ich mich gefragt, was eigentlich aus Müller | |
| geworden ist, und die Ermittlungsverfahren angeschaut, die es dazu nach | |
| 1945 gab. In diesen Akten bin ich auf den Bericht des Totengräbers Walter | |
| Lüders von 1963 gestoßen. Er sagt: Ich habe Heinrich Müller im August 1945 | |
| im Garten des Reichsluftfahrtministeriums gefunden und diese Leiche, die | |
| einzige in Generalsuniform, die ich je gefunden habe, mit meinem | |
| Begräbniskommando in der Großen Hamburger Straße bestattet. | |
| Wie kam es zu der Aussage? | |
| Es gab ja schon in den 50er Jahren die Suche nach Müller. | |
| Und da wurde der Totengräber polizeilich befragt? | |
| Nein, noch schöner. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie deutsche | |
| Behörden in den 1960ern funktioniert haben. Der Mann ging zu seiner lokalen | |
| Polizeistelle irgendwo in Westdeutschland und sagte: Ich habe gelesen, dass | |
| ihr diesen Verbrecher Müller sucht. Ich bin derjenige, der ihn begraben | |
| hat. Darauf hat die Polizei gesagt: Tut uns leid, wir sind nicht zuständig, | |
| bitte wenden Sie sich an eine Zeitung. Daraufhin hat er tatsächlich der | |
| Bild-Zeitung die Geschichte erzählt, die veröffentlicht das - und erst dann | |
| wird er ein einziges Mal vernommen. Aber es hat sich niemand die Mühe | |
| gemacht präziser nachzufragen, vorher mit den Ermittlungsbehörden in Berlin | |
| zu telefonieren und zu fragen, was hier eigentlich für Informationen zu | |
| Müller vorliegen, ob irgendetwas diese Aussage bestätigen könnte. | |
| Ist der Totengräber denn glaubwürdig? | |
| Ja. Auf jeden Fall ist es plausibel. Das Reichsluftfahrtministerium gehört | |
| zum Bezirk Mitte und alle Leichen, die sie im Sommer 45 noch gefunden haben | |
| aus Kriegszeiten, wurden zum jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger | |
| Straße gebracht. Dort gibt es rund 16 Massengräber mit vermutlich bis zu | |
| 2.700 Toten. | |
| Warum ausgerechnet der Jüdische Friedhof? | |
| In allen Bezirken gab es einen Friedhof, der besonders mit Kriegsopfern | |
| belegt wurde. Es gab damals auch besondere Bestattungsämter. Das Amt in | |
| Mitte hat vom Totengräber auch den Nachlass Müllers bekommen, der aus ein | |
| paar Ausweisen und Orden bestand. Die sind dann bei der WASt gelandet. | |
| Bei der was? | |
| WASt: Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten | |
| Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht. Da lagen | |
| also die Dokumente seit 1948. Man wusste damals also, wo Müller begraben | |
| lag. Nur die Familie nicht, die wandte sich erst 1958 an die WASt. | |
| Und dann? | |
| In der Zwischenzeit war man über den Fund eines anderen angeblichen | |
| Heinrich Müller informiert worden - diesmal in der Wilhelmstraße, die zum | |
| Bezirk Kreuzberg gehört. Alle Leichen von dort sind in den Friedhof in der | |
| Lilienthalstraße gebracht worden. Die WASt schickte nun Orden und Dokumente | |
| an die Familie, ignorierte aber völlig, dass sie Informationen darüber | |
| hatte, dass Müller auf dem Jüdischen Friedhof liegt. Dann setzt das ganze | |
| Chaos ein. Man meint, Müller liegt in der Lilienthalstraße, sie exhumieren | |
| ihn 1963, finden aber absolut nichts. | |
| Warum wollte man ihn denn exhumieren? | |
| Weil man dachte, er liegt dort. Inzwischen kursierte nämlich eine dritte | |
| Version: Müller sei vom Jüdischen Friedhof umgebettet worden zum Friedhof | |
| Lilienthalstraße. | |
| Was passiert jetzt mit der Leiche? | |
| Sie haben keine Chance mehr, den zu finden. Aber für mich sind nun alle | |
| Rätsel um Heinrich Müller gelöst. Ich bin fassungslos, dass man in den | |
| 1960ern trotz aller Bemühungen, den NS-Verbrecher zu finden, nicht stärker | |
| diesen Hinweisen des Totengräbers nachging. Man hat Müller überall gesucht, | |
| auch in Südamerika - nur nicht hier. | |
| 31 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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