# taz.de -- Wätterschmöcker aus dem Muotatal: Wetterriechen im Dung und Holz | |
> Zweimal im Jahr sagen die „Wätterschmöcker“ voraus, ob es kalt wird oder | |
> warm, ob es regnet oder stürmt. Getier und Pflanzen geben ihnen die | |
> Hinweise fürs Wetterorakel. | |
Bild: Die sechs Wetterpropheten mit der Siegertrophäe. | |
„Frau Holle kommt bis zum nächsten Frühjahr kaum zur Ruhe.“ Schöne | |
Aussichten! Das Wetter und seine Kapriolen lieferten schon immer | |
Bauernregeln mit Comedy-Potenzial. Doch im Herzen der Innerschweiz nimmt | |
man die Natur besonders ernst – tierisch ernst. Maulwürfe, Murmeltiere, | |
Würmer und Ameisen werden „befragt“ von Männern mit Rauschebärten und | |
weißem Haar. | |
Sechs Alm-Öhi-Typen, die regelmäßig im Boden buddeln und Dung befingern, um | |
kundzutun, ob es in den nächsten sechs Monaten zu heiß, zu kalt, nass oder | |
trocken wird, ob aus heiterem Himmel gar ein Donnerwetter bevorsteht. | |
Jeweils im Oktober und April blicken alle Augen im Alpenländle nach Schwyz. | |
Dann treffen sich dort die „Wätterschmöcker“ aus dem Muotatal. Vor | |
TV-Kameras und Zuschauern, die den Kreissaal der Kantonsstadt bis auf den | |
letzten Platz füllen, tragen die Herren, die das Wetter „schmecken“ könne… | |
ihre Prognosen vor. | |
Ein elitärer Zirkel fortgeschrittenen Alters in Jodeltracht, mit | |
zerfurchten Wangen, stoischen Gesichtern und seltsamen Spitznamen wie | |
Sandstrahler, Steinbockjäger, Missionar, Musers, Tannzapfen und | |
Naturmensch. | |
Den Rest des Jahres sind der Holdener-Martin, Suter-Peter, Hediger-Kari, | |
Holdener-Alois, Horat-Martin und Reichmuth-Karl also draußen in den Alpen | |
zwischen Bergtann und Edelweiß unterwegs – hacken Brennholz, treiben Kühe, | |
verhökern Sensen und spüren dabei im Vorübergehen kleinste Regungen der | |
Umwelt auf, was Wettersatelliten und Computervorhersagen in hundert Jahren | |
nicht auf die Reihe kriegen werden. | |
Wohin neigen sich in diesem Jahr die Zweige der Nadelbäume, wie dicht ist | |
das Fell der Feldmäuse, sind die Ameisen besonders aktiv? Naturmensch | |
Hediger beobachtet Holz, Ohrenkneifer und Schnecken; Martin Holdener stellt | |
Mäusen, Maulwürfen und Regenwürmern bis ins Erdreich nach. | |
Dabei begnügen sie sich nicht mit Tipps im Ungefähren. Zu jedem Monat | |
müssen sie etwas aussagen. So sind die Regeln. Ob und wann wird es dann | |
schneien, regnen, windig sein. Wann scheint die Sonne wie heiß, wo legt | |
sich Nebel über die Täler. Wird der Dezember weiß oder mild, der Oktober | |
golden oder bleiern. Wer gar einzelne Tage präzise vorhersagt, punktet | |
extra. Denn darum geht es auch: Der Wätterschmöcker, der die meisten | |
Treffer setzt, hat gewonnen, ist sozusagen der Ober-Petrus fürs nächste | |
halbe Jahr. | |
## Schwarz und weiß zum Nachlesen | |
Der Suter-Peter ist 86 und war schon bei der Vereinsgründung 1947 dabei, | |
als zwei Muotataler Bauern nach ständigem Zank darüber, wer denn nun was | |
und was nicht vor Monaten angekündigt hatte, vereinbarten, ihre | |
Prophezeiungen künftig aufzuschreiben, um die Wahrheit später schwarz auf | |
weiß nachlesen zu können. So begann alles. | |
Die sechs Männer, im Alltag oft so schweigsam wie Steinböcke auf der | |
Hochalp, müssen im MythenForum zu Schwyz ihre Prognosen aber nicht nur | |
öffentlich, sondern auch humoristisch vorstellen – so steht es in den | |
Vereinsstatuten. Denn nicht nur für die beste Vorhersage gibt es die Punkte | |
der Jury, die man braucht, um am Ende die Wetternase vorn zu haben. Auch | |
der Witz des Vortrags wird bewertet. Dem Gremium aus lokalen Honoratioren | |
sitzt übrigens passenderweise ein Pfarrer vor. Der katholischen Kirche wird | |
ja trotz mancher Bischöfe gemeinhin ein guter Draht zum Himmel nachgesagt. | |
Martin Holdener sieht einen warmen Nikolaustag, viel Schnee, schönes Wetter | |
und bittere Kälte auf uns zukommen. Dagegen wurde es im letzten warmen | |
Sommer „sogar den Mäusen zu heiß, und sie wanderten in den EU-Raum ab“. | |
Seine Prognosen hat der 50-jährige Wetterfrosch aus dem Verhalten von | |
Feldmäusen und Regenwürmern „herausgelesen“. | |
## Der neue Wetterkönig | |
Je tiefer diese graben, desto kälter wird’s. Und die Tierchen gruben sich | |
tief ins Erdreich („Von Mitte Januar an ist es sehr kalt. Die Bankkonten | |
auf den Schweizer Banken gefrieren für längere Zeit ein“, der Frühling 2014 | |
ist „mittelmäßig, den Frauen kommt der Frühlingstrieb eher spät“). Ob m… | |
Holdener trauen kann? Mit seiner Sommer- und Herbstprognose 2013 jedenfalls | |
wurde er nur Letzter, Karl Reichmuth wurde zum neuen Wetterkönig gekürt | |
(„tiefer Winter mit heftigem Schneefall schon im Dezember, der sich bis in | |
den Frühling hinzieht“). | |
Dass hier trotzdem ernsthaft Wettervorhersage betrieben wird und keine | |
Spökenkiekerei, darauf bestehen alle sechs Kontrahenten, die zwar einander | |
kollegial verbunden sind, sich aber niemals gegenseitig in die Karten | |
schauen lassen. 80 Prozent ihrer Vorhersagen träfen im Schnitt zu. Da | |
hielten die Meteorologen mit all ihrer Technik nicht mit. So reagieren | |
Hediger und Co auch empfindlich auf jegliche Herablassung der | |
Techno-Wetterprofis. | |
Martin Holdener bestätigt trocken, man habe Jörg Kachelmann, der früher | |
auch dem Verein angehörte, als bis heute einziges Mitglied hinausgeworfen, | |
weil er sich über die Wätterschmöcker lustig gemacht hatte. Sich selbst | |
durch den Kakao zu ziehen kommt dagegen bei der Jury und den Zuschauern gut | |
an. | |
## Ein großer Fehler | |
Kari Hediger, erst seit drei Jahren dabei und damit trotz seiner sechzig | |
Jahre der Grünschnabel der Wetterfrösche, kann auch seinem letzten Platz | |
bei der vorigen Winterprognose noch Gutes abgewinnen. Er habe einen großen | |
Fehler gemacht, als er ausgerechnet „einen Ohrwurm mit nur einer Zange“ für | |
einen Wettertipp heranzog, sagt er mit einem Augenzwinkern. Doch wiege er | |
die erfahrenen Kollegen mit seiner vermeintlichen Schwäche nun in | |
Sicherheit und werde „beim nächstes Mal von hinten angreifen“. Der Sieger | |
erhält den Wanderpokal, eine geschnitzte Waldeule. | |
Mit 10 Franken Jahresbeitrag werde man Vereinsmitglied, erklärt | |
Dauergewinner Suter. Auch Ausländer seien zugelassen. Zwar verstünden diese | |
kein Wort, da die Prognosen im harten Dialekt der Region vorgetragen | |
werden. Köstlich amüsieren würden sie sich aber in jedem Fall. Und nach der | |
Show gibt es für alle jedes Mal ein warmes Nachtessen – im Saal des | |
MythenForums und damit garantiert ohne Eis und Schnee. | |
4 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Marek | |
## TAGS | |
Reiseland Schweiz | |
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