# taz.de -- Filmporträt: Die Pianistin | |
> Die jüdische Pianistin Edith Kraus überlebte das Konzentrationslager | |
> Theresienstadt. Ihre Lebensgeschichte jetzt in dem Film „Enjoy the | |
> Music“. | |
Bild: Dreharbeiten über vier Jahre hinweg: Edith Kraus erzählt Filmemacher Wi… | |
BREMEN taz | „Professionelle Recherche – Engagierte Beobachtung – Montage, | |
die Zusammenhänge zeigt“ – so ähnlich könnte auch ein Privatdetektiv sei… | |
Dienste anpreisen. In diesem Fall aber ist es die Homepage des Bremer | |
Filmemachers Wilhelm Rösing, die für Rösings Qualitäten als | |
Dokumentarfilmer wirbt. | |
Hin und wieder macht Rösing eine Auftragsarbeit, so etwa den Film „Die Fans | |
sind wir“ für das Fan-Projekt von Werder Bremen, aber meistens fasziniert | |
ihn ein Thema oder ein Mensch so, dass er aus eigenem Antrieb tätig wird. | |
Dennoch hält er den Vergleich mit einem Detektiv für passend, denn für ihn | |
besteht auch das Filmemachen daraus, „den Spuren nachzugehen und zuerst gar | |
nicht zu wissen, wo das Ziel ist“. | |
So war es auch bei seinem neusten Film „Enjoy the Music“ über die jüdische | |
Pianistin Edith Kraus, der ab heute in Bremen und Anfang nächsten Jahres in | |
den Kommunalkinos in Hamburg, Kiel, Oldenburg und Bremerhaven zu sehen sein | |
wird. Edith Kraus, die als Wunderkind in Prag reüssierte, überlebte das | |
Konzentrationslager Theresienstadt und machte in Israel eine Karriere als | |
Solistin und Professorin. Rösing und seine Frau Marita Bathel-Rösing hatten | |
sie 2006 bei einer Reise in Israel kennengelernt und waren fasziniert | |
davon, wie detailliert und nachdenklich sie über ihr Leben erzählen konnte. | |
Über vier Jahre nahmen die beiden Bremer Filmemacher auf mehreren Reisen | |
nach Israel Gespräche mit Edith Kraus auf, und aus diesen besteht der Film | |
weitgehend. Die verschiedenen Gesprächssituationen montierten sie so, dass | |
sie thematisch möglichst genau zusammenpassen. Zum Teil wird dabei sogar | |
innerhalb eines Satzes geschnitten: Rösing versucht erst gar nicht, diese | |
Sprünge, bei denen die Protagonistin jeweils in anderer Kleidung und in | |
einer anderen Umgebung vor der Kamera sitzt, etwa durch Zwischenschnitte | |
von Fotos und anderem Archivmaterial zu kaschieren. Nach dem Lehrbuch mögen | |
dies „Anschlussfehler“ sein, aber Rösing setzt sie so konsequent als | |
Stilmittel ein, dass sie schnell nicht mehr irritieren. | |
Edith Kraus erzählt ihre Lebensgeschichte mit großer Klarheit und in einem | |
fast musikalisch eleganten Deutsch. Die 1913 in Prag geborene Edith begann | |
schon mit sieben Jahren Klavier zu spielen und hatte ihren ersten | |
öffentlichen Auftritt als Elfjährige. Das Wunderkind entwickelte sich zu | |
einer bekannten Solistin, bis sie 1939 in das Lager Theresienstadt | |
verschleppt wurde. Dort waren viele der großen künstlerischen Talente ihrer | |
Zeit auf engstem Raum zusammengepfercht. | |
Kraus gab jede Woche mindestens zwei Konzerte und spielte auch neue | |
Kompositionen von im Ghetto lebenden Komponisten wie Pavel Haas, Gideon | |
Klein und Viktor Ullmann. Von dessen Klaviersonaten ist in diesem Film die | |
Originalpartitur mit der eigenhändig geschriebenen Kennzeichnung | |
„Theresienstadt, 1943“ zu sehen. | |
Nach und Nach wurden alle Verwandten und die meisten Freunde von Kraus nach | |
Auschwitz deportiert. Kraus sagt: „Ich weiß nicht, warum ich nicht | |
umgebracht wurde.“ | |
Nach dem Krieg lebte Kraus einige Jahre lang in Prag, aber als dort im | |
stalinistischen System der Antisemitismus wieder zunahm, reiste sie mit | |
ihrem Mann und ihrer Tochter nach Israel, wo sie zuerst als Näherin | |
arbeitete und dann wieder als Pianistin und Dozentin bekannt wurde. | |
Edith Kraus erzählt ihre Lebensgeschichte ohne Bitterkeit. Man spürt die | |
innere Stärke der fast hundertjährigen Frau, und der Film macht deutlich, | |
dass für sie die Musik ein Mittel gegen den Schmerz, die Trauer und die | |
Ängste ist. So ergibt auch der Titel einen tieferen Sinn: Rösing zitiert | |
den Lieblingssatz seiner Protagonistin. | |
## Die Qualität der Geduld | |
Rösings Film ist mit viel Geduld entstanden – das macht seine Art des | |
Filmemachens aus. Er beschäftigt sich in den meisten seiner Filme mit | |
Überlebenden des Holocausts und mit Exilanten aus Nazi-Deutschland. | |
Studiert hat Rösing Chemie, wollte aber lieber „etwas erzählen“, und so | |
machte er 1978 seine ersten beiden Filme mit einer Super-8 Kamera auf einer | |
langen Reise durch Indien. | |
Danach machte er eine Reihe von Lehrfilmen und arbeitete fürs Fernsehen. | |
Für das ZDF drehte er seine erste lange Dokumentation „Mongo Park“ über e… | |
Musik- und Theaterfestival für geistig behinderte Menschen in Dänemark. | |
Ab 1993 fand Rösing dann seinen Stil, der darin besteht, dass er starke | |
Persönlichkeiten vor der Kamera ihre Lebensgeschichten erzählen lässt. | |
Rösing findet neue Blickwinkel auf den NS-Terror. So etwa bei dem in | |
Buchenwald inhaftierten Ernst Federns, dem Schriftsteller und | |
Psychoanalytiker Hans Keilson, der im Untergrund in Holland den Krieg | |
überlebte und dem Richter Heinz Düx, der den Auschwitzprozess vorbereitete. | |
Seinen Film über drei Frauen, die in Sankt Petersburg unter dem | |
stalinistischen Terror litten, nannte er „Im Schatten des Unrechts“ und | |
brachte damit das Hauptthema seiner meisten Filme auf den Punkt. Diese sind | |
sorgfältiger produziert und besser erzählt als die gängigen | |
Geschichtsdokumentationen im deutschen Fernsehen, doch sie werden dort so | |
gut wie nie gezeigt. Folglich hat Rösing immer wieder große | |
Schwierigkeiten, seine Filme zu finanzieren. | |
Damit er „Enjoy the Music“ fertigstellen konnte, organisierten befreundete | |
Künstler ein Benefizkonzert. In diesem Fall war das eine besonders stimmige | |
Art der Filmförderung. | |
## „Enjoy the Music“: 7. bis 9. 11., 18 Uhr und 11. 11., 20.30 Uhr, City | |
46, Bremen; 10. 11., 18 Uhr, Stadtkirche Vegesack, Bremen | |
6 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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