| # taz.de -- Ende des Friedhofszwangs: Bürgermeister entdeckt Debatte | |
| > Nachdem SPD und Grüne in Bremen beschlossen haben, den Friedhofszwang zu | |
| > lockern, opponiert Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) gegen die eigene | |
| > Mehrheit. | |
| Bild: Bremer Familiengrab? Die rot-grüne Mehrheit des Landesparlaments will de… | |
| BREMEN taz | Alles war beschlossene Sache. Bis Bürgermeister Jens Böhrnsen | |
| kam. Und anfing, am Ende einer langen, sehr langen Debatte in Bremen, gegen | |
| seine eigene Partei, die SPD, gegen eine breite rot-rot-grüne Mehrheit in | |
| der Bürgerschaft zu opponieren. | |
| Die hatte schon im September beschlossen, dass der Friedhofszwang in Bremen | |
| gelockert werden soll. SPD, Grüne und Linkspartei im Parlament forderten | |
| den Senat einhellig auf, einen Gesetzesvorschlag zur Lockerung des | |
| Friedhofszwangs vorzulegen. Bremen wäre mit dieser Reform bundesweit | |
| Vorreiter. Und hat mit dem von den mitregierenden Grünen initiierten | |
| Vorstoß in der Republik schon jetzt „für Furore gesorgt“, wie deren | |
| stellvertretende Fraktionschefin Maike Schäfer feststellt. | |
| Geplant ist, dass Angehörige die Asche eines Verstorbenen zwei Jahre lang | |
| zu Hause aufbewahren dürfen. Allerdings nur, wenn sie für die Zeit danach | |
| bereits verbindlich eine Grabstätte auf dem Friedhof reserviert haben. | |
| Außerdem soll es möglich sein, die Asche der Toten außerhalb von Friedhöfen | |
| zu verstreuen – aber nur, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten entsprechende | |
| Wünsche geäußert hat. | |
| Bei der oppositionellen CDU und den offiziellen Kirchen stößt die Reform | |
| des 1934 von den Nazis etablierten Bestattungsrechts auf scharfe Kritik. | |
| „Das hat für mich nichts mit Würde zu tun“, sagte etwa Bernd Kuschnerus v… | |
| der Bremischen Evangelischen Kirche. Der katholische Propst Martin | |
| Schomaker fürchtet, dass die Urne womöglich „irgendwo entsorgt“ werde. Do… | |
| die rot-grünen ParlamentarierInnen focht der Widerstand aus der Amtskirche | |
| nicht an. | |
| Nun findet die Kritik in Böhrnsen, der zugleich Bremens Senator für | |
| kirchliche Angelegenheiten ist, einen prominenten Fürsprecher. „Der tote | |
| Mensch ist keine Verfügungsmasse, über die jemand entscheiden kann“, sagte | |
| er unlängst bei einem Empfang für die katholische Kirche im Rathaus. „Wir | |
| haben da sehr bewusst Rituale.“ Nun legte er in einem Interview mit der | |
| Neuen Osnabrücker Zeitung nach. Er teile „weitgehend“ die Kritik der | |
| Kirchen, so Böhrnsen. „Menschen brauchen einen Ort zum Trauern, und dieser | |
| Ort ist der Friedhof“, sagte Böhrnsen. Ihm sei es – „offen gesagt“ –… | |
| fremd“, wenn eine Urne mit in private Räume genommen werden dürfe. Und | |
| weiter: Er hoffe, dass er in den weiteren Beratungen seine Argumente | |
| einbringen könne. | |
| Dazu allerdings wäre schon reichlich Gelegenheit gewesen. Dem | |
| Parlamentsbeschluss gingen monatelange kontroversen Diskussionen in der | |
| Stadt voraus. In der SPD-Fraktion findet manch einer es denn auch etwas | |
| „seltsam“, wie Böhrnsen nun gegen seine eigene Parlamentsmehrheit agiert. | |
| Der grüne Fraktionschef Matthias Güldner sagte im Weser-Kurier, der | |
| Bürgermeister vertrete „offenbar eine Einzelmeinung“. Seine Äußerungen | |
| hätten nicht nur bei den Grünen „Befremden“ ausgelöst. | |
| Auch die SPD-Fraktion erklärte umgehend, sie halte an ihrem Beschluss fest. | |
| Nein, die Bedenken des Regierungschefs teile sie nicht. Sowohl bei der SPD | |
| als auch bei den Grünen geht man davon aus, dass am Ende der Friedhofszwang | |
| gelockert wird. Im Rathaus wollte man sich gestern nicht weiter äußern. | |
| „Die Bürgerschaft hat einen Beschluss gefasst“ und die Verwaltung arbeite | |
| nun an einer entsprechenden Vorlage. „Das ist der Stand“, sagte | |
| Senatssprecher Hermann Kleen nur. | |
| Mit der Reform würde auch in Bremen gelten, was in weiten Teilen Europas | |
| lange Standard ist – offenbar ohne, dass die Würde leidet. Im christlich | |
| geprägten Spanien kennt man keinen Friedhofszwang, in Frankreich, Irland | |
| oder den Niederlanden auch nicht. In der Schweiz darf die Asche verstreut | |
| werden, in den USA dürfen sterbliche Überresten im Wohnzimmer stehen. | |
| Und weil das so ist, gibt es hierzulande mittlerweile einen gewissen | |
| Leichen-Tourismus. Betroffene, sagt Schäfer, würden in die Illegalität | |
| getrieben. Die Leichen werden dann einfach im Ausland eingeäschert, die | |
| Überreste wieder nach Deutschland überführt – und zu Hause aufbewahrt. | |
| 18 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
| ## TAGS | |
| Friedhofszwang | |
| Bremen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |