# taz.de -- Regisseure Kautter und Dietrich über "Wegschließen": „Es sind e… | |
> Das dokumentarische Stück "Wegschließen und zwar für immer" am Deutschen | |
> Theater in Göttingen soll den Diskurs über die Sicherungsverwahrung | |
> abbilden. | |
Bild: Leute treffen aufeinander, wie sie es im realen Leben nie könnten: Sibil… | |
taz: Frau Kautter, Herr Dietrich, „Wegschließen und zwar für immer“ ist | |
dokumentarisches Theater. Alles, was gesagt wird, sind Zitate. Warum zeigt | |
man dann nicht lieber einen Dokumentarfilm? | |
Nico Dietrich: Wir wollen den Diskurs abbilden, alle Sichtweisen auf das | |
Thema vereinen. Wir wollen nicht die Originale auf die Bühne setzen und | |
sagen: „Erzähl uns mal die Straftat!“ Wir wollen uns nicht voyeuristisch | |
zuschmieren mit den Geschichten. Während der Recherche habe ich ein schönes | |
Gespräch mit einem Psychologen geführt. Er sagte: „Wissen Sie Herr | |
Diedrich, alle wollen nur eine voyeuristische Geschichte von mir. Auf den | |
Partys kann ich es schon nicht mehr hören, dieses ’Na, habt ihr auch einen | |
Hannibal Lecter?‘.“ Mich haben das Journalisten gefragt: „Warum können w… | |
nicht noch mehr Straftäter-Geschichten hören?“ Nee, ich bin doch nicht blöd | |
und potenziere hier nochmal öffentlich Straftaten, die eine | |
Privatangelegenheit von Opfer und Täter sind. Genau darauf wollen wir | |
verzichten. Wir wollen den Diskurs und wir wollen den sinnlich erfahrbar | |
machen. | |
Inken Kautter: Dazu machen wir etwas spezifisch Theatralisches aus den | |
Interviews. Das kann man mit einem Dokumentarfilm nicht schaffen. Das | |
Theater erzeugt eine Unmittelbarkeit zwischen den Zuschauern und den | |
Schauspielern. Außerdem treffen die Leute auf der Bühne so aufeinander, wie | |
sie es im realen Leben nie könnten. Wir haben bei den Textarbeiten und bei | |
der Inszenierung gemerkt, dass etwas irrsinniges passiert, wenn die | |
Richterin über den Gefangenen spricht, während sie im selben Raum auf ihn | |
runter guckt. Wenn das Objekt ihrer Auseinandersetzung auf einmal präsent | |
ist, dann ändert es den Text. Es ist viel beklemmender, wenn die Figuren | |
aufeinander treffen. | |
Was sollen die Zuschauer mitnehmen? | |
Dietrich: Wir versuchen das System zu erklären. So, dass alle das irgendwie | |
kapieren. Das ist, so sage ich immer liebevoll, die Low Fi-Variante. Und | |
das Topping ist, dass wir etwas über unsere Gesellschaft erzählen. Das ist | |
es, was wir wollen. Wir sagen, es hat etwas damit zu tun, wie ihr euch | |
verhaltet. Außerdem binden wir das lokal an. Es ist kein abstraktes | |
Diskursding, sondern es sind eure Nachbarn und es sind eure Entscheidungen. | |
Die gehen vom Bundesverfassungsgericht bis auf eueren Acker, da wo die | |
Haftanstalt gebaut wird. Das hat was mit euch zu tun. | |
Kautter: Das andere ist das Thema Angst. Wir haben da eine klare Haltung: | |
Eine Gesellschaft muss sich daran gewöhnen, mit Angst anders umzugehen und | |
Problemen angstfreier zu begegnen. Wenn alles, was man tut, durch Angst | |
diktiert wird, verliert man die Freiheit. Man kann keine 100-prozentige | |
Sicherheit schaffen, das gibt es einfach nicht. Auf der anderen Seite kann | |
man aber Freiheitsrechte immens einschränken. Und das führt am Ende dazu, | |
dass man lieber Zehntausende zu unrecht wegsperrt, als einen zu unrecht | |
freilässt. | |
In der Göttinger Premiere saßen Leute, die Sie für das Stück interviewt | |
hatten – auch ein Sicherungsverwahrter auf Freigang war dabei. Waren die | |
mit Ihrer Darstellung einverstanden? | |
Dietrich: Wir wissen ja vorher, dass die Originale kommen. Ich möchte sie | |
nicht verraten. Das habe ich auch allen gesagt: „Ich möchte jetzt nicht Ihr | |
Interview benutzen, um irgendetwas herzustellen. Ich gehe zaghaft mit den | |
Dingen um und möchte da etwas erzählen, so dass Ihre Perspektive so steht, | |
wie Sie das wirklich gesagt haben.“ | |
Ist es wirklich unmöglich, dass sie sich nicht trotzdem verraten fühlen? | |
Kautter: Nein, ist es nicht. Wir haben auch schon Leute gehabt, die mit | |
ihrer Darstellung nicht zufrieden waren. Die haben gesagt: „Mensch Kinder, | |
ihr habt mich da als cocktailsaufenden Großbürger dargestellt. Das geht gar | |
nicht, das bin ich nicht.“ Wir müssen respektvoll mit den Texten umgehen, | |
aber wir dürfen sie auch nicht heilig machen. Wir dürfen nicht die ganze | |
Zeit denken: „Ogottogott, was würde unser Interviewpartner dazu sagen.“ Wir | |
müssen eine gute Umsetzung für das finden, was wir als Essenz aus einem | |
Interview ziehen. Wir bringen maximal sieben Minuten aus einem eineinhalb | |
Stunden langen Interview auf die Bühne. Das kann dann gar nicht alles sein | |
und selbst eineinhalb Stunden sind ja nicht alles. Aber die Leute zu | |
verraten, würde dem Abend schaden. Es geht uns ja gerade darum, die | |
unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinander zu stellen und ernst zu nehmen. | |
Und in dem Moment, wo wir eine Figur wirklich lächerlich machen, kann man | |
sie eigentlich auch schon raus nehmen, weil sie zu unserer Form des | |
Theaters nichts mehr beiträgt. | |
Man hat bei Ihrem Stück zwar Spaß, aber es ist auch ein bisschen Arbeit, | |
sich das anzugucken. Ist Doku-Theater etwas, das die Intendanten der | |
Schauspielhäuser gerne nehmen? | |
Kautter: Ja, also es ist natürlich nicht Shakespeares sämtliche Werke, | |
leicht gekürzt, in neunzig Minuten. Das Ding kannst du sofort auf den | |
Spielplan setzen und hast es immer voll. Das kann man mit so einem Abend | |
nicht machen. Aber man kann es zwei bis viermal im Monat zeigen und dann | |
ist das auch über einen langen Zeitraum immer gut voll. Das ist ja auch | |
hier so, es ist das kleine Haus, es ist das Studio. Aber nichtsdestotrotz, | |
das Interesse ist erstmal gigantisch. Es ist ja kein Zufall, dass unsere | |
Theaterform vom Deutschen Theater in Göttingen und vom Schlosstheater Celle | |
quasi aufgekauft wurde. Aber es bleibt natürlich ein Segment und im großen | |
Haus läuft Shakespeare. | |
2 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Jakob Epler | |
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