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# taz.de -- Umweltproteste in Rumänien: Kabelklau und Schiefergas
> Der Konzern Chevron will im rumänischen Pungesti Schiefergas fördern. Die
> Allianz der Gegner wird breiter, der Widerstand lauter. Nun ist
> Aktionstag.
Bild: Im November zogen Dorfbewohner und Aktivisten über die Felder und sammel…
PUNGESTI taz | Der Crivat, ein kalter Mitternachtswind, bläst über die
Hügel der Moldau. Weit im rumänischen Osten, kurz vor dem Dorf Pungesti,
diskutiert Willy Schuster in dieser Dezembernacht mit maskierten Gendarmen
an einer Straßensperre: „Wie könnt ihr es wagen, hier die Straße zu
sperren? Das ist unser Land, ihr werdet von unserem Geld bezahlt!“
Hier ist die Reise zu Ende, die vor zehn Stunden und knapp 400 Kilometer
östlich in Willys siebenbürgischem Heimatdorf Mosna, auf deutsch Meschen,
begann. Am Morgen hat der Energieriese Chevron hier mit dem Bau seiner
ersten Schiefergassonde in Rumänien begonnen. Auf einem Feld gegenüber
harren Dorfbewohner und Aktivisten in einem Zeltlager aus. Meschen und
Pungesti verbindet mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Deshalb ist
Willy hier.
Mit seiner Frau und den fünf Kindern betreibt er einen kleinen Bauernhof in
einem Dorf nahe Sibiu (Hermannstadt). Sie produzieren köstlichen Käse von
derzeit vier Milchkühen. Willy hält nichts von Wachstum, sehr viel mehr
aber von einem in unkonventioneller Frömmigkeit begründeten Respekt
gegenüber der Natur. Er redet viel und öffentlich, meist für den
rumänischen Kleinbauernverband EcoRuralis – das ist sein Einsatz für die
Rechte der immer noch vier bis fünf Millionen Kleinbauernhöfe in Rumänien.
Im März sieht er die ersten orangefarbenen Kabel in der Umgebung des Dorfs.
Im Juni liegen sie plötzlich auf seinen Feldern – niemand hat ihn um
Erlaubnis gefragt. Willy entfernt die Kabel, lagert sie auf dem Hof und
macht sich kundig. Eine Spezialfirma, die Prospectiuni S. A., sei im
südlichen Siebenbürgen mit Sondierungen für den staatlichen Gasförderer
Romgaz beauftragt worden. Schusters sind besorgt – seit dem Sommer redet
man von den Plänen Chevrons, im ostrumänischen Pungesti Schiefergas zu
fördern. Auch dort war vorher die Prospectiuni S. A. unterwegs. Sollte so
etwas auch in ihrer Region geplant sein? Vorerst erstatten Schusters
Anzeige gegen die Firma wegen unbefugten Betretens der Ackerflächen und
Verletzung des Privateigentums.
## Stimmungsumschwung
Der Ort Meschen liegt im Podisul Hartibaciului, einem fast 3.000
Quadratkilometer großen Hügelland am Fuße der südlichen Karpaten, das seit
einigen Jahren zum europäischen Natura2000-Netz gehört. Viele Bewohner
sträubten sich anfangs gegen den von oben verordneten Naturschutz. Heute
ist ein Großteil der Bevölkerung dafür. Vor allem wollen die Menschen in
der Region weiterhin ihre kleinen Landwirtschaften führen. Erdgasförderung
sind sie seit Jahrzehnten gewohnt – das „Fracking“ von Schiefergas, ein in
Tonsteinen gespeichertes Erdgas, lehnen sie mehrheitlich ab.
Ende Juli geht es nicht mehr nur um illegal verlegte Kabel bei Schusters.
Über mehrere Dörfer haben die Arbeiter der Erkundungsfirma ein regelrechtes
Netz gelegt. Sonderfahrzeuge erzeugen künstliche kleinere Erdbeben, Löcher
für Dynamitsprengungen werden gebohrt. In Siebenbürgen ahnt man nichts
Gutes, eine Petition wird lanciert und sorgt landesweit für Aufregung. In
Malancrav (Malmkrog) erstatten Anwohner Anzeige gegen die Erkundungsfirma.
Doch es scheint, als würden ihre Anzeigen nicht bearbeitet. Immerhin gibt
es erste Infoveranstaltungen, um die Bevölkerung zu beruhigen. Doch das tun
sie nicht. Einem Mantra gleich wiederholen die Vertreter der Firma eine
paradoxe Erklärung: „Wir suchen kein Schiefergas – wir suchen
Bodenschätze.“ Auf Nachfrage sagt ein Ingenieur, dass Tiefen von
dreitausend Metern untersucht würden – für die skeptische Bevölkerung ein
neues Indiz für Schiefergas.
Willy Schuster wird die Sondierungsfirma nicht los. Ende Oktober tauchen
ihre Fahrzeuge wieder in Meschen auf. Da hat sich die Lage in Rumänien
bereits verändert. Seit Wochen demonstrieren Zehntausende Menschen Tag für
Tag gegen ein Sondergesetz. Die Regierung unter dem sozialdemokratischen
Premier Victor Ponta plant, alle rechtlichen Hindernisse für den größten
geplanten Goldtagebau Europas im westkarpatischen Rosia Montana aus dem Weg
zu räumen. Und auch die Bewohner von Pungesti haben sich gegen den
US-amerikanischen Energiekonzern Chevron gestellt: Anstatt mit dem Bau
ihrer Sonde zu beginnen, zieht sich die Firma nach massiven Protesten Mitte
Oktober vorerst zurück. Willy Schuster jedenfalls reicht es. Als die
Fahrzeuge der Erkundungsfirma erneut durch sein Dorf fahren, stellt er sich
mit seinem Auto quer über die Straße.
## Arme Region, niedriger Alphabetisierungsgrad
Die Nachricht geht um wie ein Lauffeuer. Aktivisten, vor allem junge Leute,
kommen von weither. Zum Beispiel Erwin Albu, der wochenlang bei Schusters
ausharrt und neben den Entkabelungsaktionen seine Kandidatur für die Wahlen
zum Europa-Parlament vorbereitet. Gemeinsam mit den Schusters patrouilliert
man über Wiesen, Äcker und Obstgärten. Illegal verlegte Kabel werden
eingesammelt, Fahrzeuge „beschlagnahmt“. Die Firmenmitarbeiter reagieren
gereizt, die Polizei ist hilflos. Aktivisten fahren über die Dörfer, um die
Bevölkerung über ihre Rechte zu informieren. Allein Strafanzeige gegen eine
Firma zu erstatten, die meist das Einverständnis der Bürgermeister in den
kleinen Gemeinden hat, ist für viele eine nicht zu meisternde Aufgabe. Das
Leben einer auf Selbstversorgung ausgerichteten Wirtschaft überfordert da
schnell, der geringe Alphabetisierungsgrad in der Region ebenso.
Mitte November bitten Bewohner des Nachbardorfs Alma Vii (Almen) um Hilfe.
Auch hier haben sich die Gassucher breitgemacht. An einem Wochenende ziehen
Aktivisten und Dorfbewohner gemeinsam über die Felder und sammeln mehrere
Kilometer Kabel ein. Bewusst lassen sie sich dabei filmen. Bald erhalten
sie Post von den Anwälten der Prospectiuni S. A., die sie wegen
Sachbeschädigung verklagen. Es ginge um Hunderttausende Euro, erklärt ein
leitender Angestellter den Medien.
Als am 1. Dezember die meisten Rumänen wie gewohnt den Nationalfeiertag
feiern, wird in Bukarest der erste zentral gesteuerte Gendarmerie-Einsatz
der rumänischen Geschichte vorbereitet. Noch vor Morgengrauen treffen am
Folgetag mehrere Hundertschaften der Gendarmerie in Pungesti ein. Das
Zeltlager der Schiefergas-Gegner auf dem Chevron-Gelände wird geräumt. Der
rumänische Nationalismus bricht beispielhaft in einer verzweifelten Lage
durch, als die Bewohner Gendarmen und Bauarbeiter mit einem sonst nur den
ethnischen Ungarn des Landes vorbehaltenen Schimpfwort bedenken. Am Ende
des Einsatzes bedankt sich Premier Ponta für den erfolgreichen Einsatz zur
Verteidigung des Eigentums von Chevron.
## Die Tochter kommt mit
Willy Schuster entscheidet sich, nach Pungesti zu fahren. Seine Tochter
Michelle kommt mit – die 17-Jährige wird daheim unterrichtet und macht mit
den Protesten wohl die prägende Erfahrung ihrer Jugend. Mit dabei ist auch
der Aktivist Erwin Albu. Nach einer langen Fahrt kommen die drei jedoch nur
bis zur Polizeisperre.
Ein Anwohner lädt die Durchgefrorenen in sein Haus ein. Die kleine
Lehmhütte ist gut geheizt und dient sichtbar seit Längerem als Nachtlager
für die Gegner der Chevron-Sonde. Der Empfang ist herzlich. Zehn Personen
drängen sich im Raum, essen und planen gemeinsam den nächsten Tag. Willy
Schuster will mobilisieren. Seine Überzeugungskraft scheint beispiellos,
und er setzt sie ein. „In der Früh fahren wir nach Barlad – wir müssen mit
Parinte Laiu sprechen.“ Der Parinte, ein orthodoxer Priester, hat im
Frühling die Bevölkerung seiner Stadt vor den Gefahren des
Schiefergasabbaus gewarnt, Zehntausende Menschen mobilisiert. Kurz vor
Mitternacht erfolgt ein Anruf: Der Parinte freut sich auf Willys Besuch.
Es ergibt ein etwas seltsames Bild, wie sie sich am nächsten Morgen im
Pfarrbüro gegenübersitzen – der Biobauer aus Siebenbürgen und der
moldauische Priester. Neben dem Aktivisten Erwin Albu nimmt noch ein
älterer Reservegeneral an dem Gespräch teil. Hier treffen sich Milieus, die
verschiedener kaum sein könnten. Der Priester erzählt von dem Druck, den
man auf ihn ausübe. Dass er im Europa-Parlament von den Protesten gegen
Chevron berichten konnte und dass man gegen ihn angeblich wegen Gefährdung
nationaler Interessen ermittelt. Und dass nach dem massiven Polizeieinsatz
wenige Tage zuvor niemand mehr auf die Straße ginge. Willy lässt sich nicht
beirren und redet dem Kirchenmann lange zu. „Sie müssen die Menschen rufen,
wir kommen dann mit Ihnen!“ Laiu lässt sich nach anfänglicher Skepsis auf
den Vorschlag ein. Sie wollen am kommenden Sonnabend am liebsten das ganze
Land nach Pungesti bringen. Willy ist zufrieden.
## Die Mobilisierung läuft
Die drei fahren noch einmal zum Camp, die Straßensperre ist plötzlich
verschwunden. Direkt gegenüber wird hinter einem hohen Zaun zügig gebaut.
Im Camp sind einige Dutzend Anwohner und eine Handvoll Aktivisten. Die
Mobilisierung für Sonnabend hat begonnen – soziale Netzwerke sind in
Rumänien aufgrund der medialen Blockade ein unverzichtbares Instrument.
Sichtbar müde winkt Willy Schuster seine Mitreisenden heran. Er will nach
Hause – was heute möglich war, haben sie getan. Die Sonne geht bereits
unter, und der Crivat beginnt über die Felder zu wehen. Weit nach
Mitternacht, wenn die Karpaten hinter ihnen liegen, werden sie wieder in
Meschen ankommen. Dort wartet Arbeit und vielleicht wieder eine Anzeige der
Prospectiuni S. A. Am Sonnabend wird Willy Schuster wieder zum Protest in
die Moldau fahren: Meschen und Pungesti haben viel gemeinsam.
7 Dec 2013
## AUTOREN
Joachim Cotaru
## TAGS
Rumänien
Chevron
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Schiefergas
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