# taz.de -- Immer bereit: Die Story kenn ich schon | |
> Aus Anlass der bevorstehenden Jahresendfeiern erklärt unsere Kolumnistin, | |
> wieso ihr dazu partout nichts mehr einfällt: Es ist einfach schon alles | |
> gesagt worden. | |
Bild: Auch das Schicksal von Augustes Artgenossinnen ist sattsam bekannt. | |
Es lohnt sich nicht, sich aufzuregen, sie kommen sowieso. Immer wieder, | |
jedes Jahr: Weihnachtsgeschichten. Sie heißen: "Alle Jahre wieder". Sie | |
fangen an mit: "Es begab sich aber zu der Zeit". Sie handeln von Gänsen und | |
Tannenbäumen, Nussknackern und Mausekönigen, Weihnachtsgeistern und Engeln, | |
die "Frieden" flüstern. Sie sind witzig und traurig, romantisch und | |
sozialkritisch, mit und ohne Happy End. Und sie sind alle schon erzählt, | |
weshalb mir für meine Weihnachtskolumne nichts mehr einfällt. Schuld sind | |
hauptsächlich folgende Autoren: | |
1. Martin Luther: "Die Bibel, Teil II". Mittellose Kleinfamilie muss aus | |
verwaltungstechnischen Gründen die Strapazen einer beschwerlichen Reise auf | |
sich nehmen, obwohl sich die Gattin in anderen Umständen befindet. Das | |
Pikante daran: Ihr Gatte, ein arbeitsloser Zimmermann, ist nicht der KV. | |
Luther ist seit 500 Jahren tot, aber sein Bestseller findet immer noch | |
reißenden Absatz. Die Story ist so oft verbraten worden - mir fällt dazu | |
nichts mehr ein. | |
2. Friedrich Wolf: "Die Weihnachtsgans Auguste". Ein egozentrischer | |
Opernsänger kauft seiner Familie zu Weihnachten eine lebendige Gans. Die | |
soll zum Fest auf den Tisch. Der Sänger hat aber nicht mit der Tierliebe | |
seiner Angehörigen gerechnet. Denn die Zubereitung eines Vogels mit Klößen | |
und Rotkohl setzt den Tod desselben voraus. Es entbrennt ein | |
Weihnachtsstreit, der zugunsten der Gans ausgeht, die, bereits | |
splitternackt gerupft, einen Pullover gestrickt bekommt und lebendig am | |
Weihnachtsfest teilhaben darf. Ein klassisches Familiendrama um den Sturz | |
des Patriarchats und den Aufstieg des Vegetarismus. Wurde schon tausendmal | |
erzählt. | |
3. Hans Christian Andersen: Diverse todtraurige Weihnachtsgeschichten um | |
erfrierende Kinder, Mesalliancen zwischen Schneemann und Kachelofen und | |
depressiven Tannenbäumen. Walt Disney hat "Arielle" gedreht und Castorf die | |
"Schneekönigin" inszeniert. Da muss ich nicht auch noch meinen Senf dazu | |
geben. | |
4. E. T. A. Hoffmann: "Der Nussknacker". Frühreifes junges Mädchen verliebt | |
sich in älteren kleinwüchsigen Mann mit Überbiss. Zur Pädophiliedebatte | |
habe ich nichts beizutragen. | |
5. Charles Dickens: "A Christmas Carol". Geiziger alter Sack wird zu | |
nachtschlafender Stunde von drei Geistern heimgesucht und vom | |
Kapitalistenschwein zum Weihnachtsmann umgepolt. Ist mir zu unrealistisch. | |
Ich glaube nicht an ganzheitlich gute Menschen. Ich glaube höchstens an | |
solche, die vor lauter Weihnachtsstress vergessen, fies zu sein. Aber das | |
gibt sich wieder. Wenn die Tannenbäume am 6. Januar mit den guten Vorsätzen | |
entsorgt werden, bekommen wir schließlich auch nichts mehr geschenkt. | |
Irgendwo im gelobten Land Amerika soll es ein Dorf geben, da hat der | |
Kalender nur drei Tage: den 24., den 25. und den 26. Dezember. Extrem | |
Weihnachting sozusagen. Also hört auf zu jammern und freut euch, denn bald | |
nun ist Weihnachtszeit und danach ist hierzulande erst mal Ruhe. | |
Mindestens bis Ostern. Über Ostern gibt es übrigens viele Geschichten, aber | |
die sind auch alle schon erzählt. Zum Beispiel "Der kleine Angsthase", da | |
geht es um einen Hasen, der … ach, is doch Wurscht! Denn ich muss jetzt | |
eine Weihnachtsgeschichte schreiben und mir fällt absolut nichts dazu ein. | |
22 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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