# taz.de -- Vorauseilender Jahresrückblick: So wird’s gewesen sein | |
> Ledrige Brüste, Schussverletzungen, der Rote Pascha: das taz-Orakel für | |
> Hamburg im Jahr 2014. | |
Bild: Bordell statt Plenum: 2014 verwandelt Jürgen Rudolff die Rote Flora in d… | |
1. Januar | |
Rund 600 Gäste sind zum Neujahrstreffen ins Rathaus geladen. Alles läuft | |
rund. Gerade haben Senioren mit Pickelhaube und Uniform und eine Gruppe | |
Vertriebener in farbenprächtiger Tracht Olaf Scholz passiert, da bleiben | |
drei alte Schachteln mit hennaroten Haaren, bekleidet mit Selbstgestricktem | |
vor dem Bürgermeister stehen. Bevor die Sicherheit zur Stelle ist, haben | |
sie ihre Pullover hochgerissen und zeigen Scholz ihre nackten Oberkörper. | |
Zwischen ihre ledrigen, hängenden Brüste haben sie mit roter Farbe „Flora | |
bleibt!“ geschrieben. Sie kreischen und hüpfen. Bürgermeister Olaf Scholz | |
braucht dringen ein Glas Wasser. | |
10. Januar | |
Für Senator Michael Neumann ist es zunächst ein schöner Tag. Er hat seine | |
alte Jägeruniform vom Dachboden geholt: Anlässlich des 25. Jubiläums des | |
Prominentenschießens im Schützenverein Rahlstedt darf er einen Wanderpokal | |
stiften. Leider bekommt der 92-jährige Ehrenvorsitzende das Motto durch’n | |
Tüddel und schießt dem Senator ins Bein. Neumann fällt für vier Wochen aus. | |
14. Januar | |
Die Eröffnung der Elbphilharmonie wird für den 18. Mai angekündigt. | |
19. Januar | |
Die Vorbereitungen des Festakts zu Helmut Schmidts 95. Geburtstag waren | |
überschattet von der Enthüllung der taz.hamburg über eine Dunstabzugshaube, | |
die für 65.000 Euro über Schmidts Platz installiert worden war. Die Grünen | |
fordern einen Untersuchungsausschuss. Erst als der Altkanzler eine Spende | |
über 10.000 Euro für Hinz & Kunzt zusichert, beruhigt sich die Situation. | |
Jedoch nur vorläufig. Denn die beauftragte Firma versäumt es, beim Einbau | |
des Dunstabzugs die Verbindung zur Sprinkleranlage zu trennen. Als zwei | |
Minuten nach Eröffnung der Veranstaltung erster Rauch über dem | |
Geburtstagskind aufsteigt, setzt diese sogleich ein und wässert den Saal | |
und seine Gäste. | |
4. Februar | |
Rote-Flora Besitzer Klausmartin Kretschmer präsentiert der Öffentlichkeit | |
seinen Vorvertrag mit dem Bordellkönig Jürgen Rudolff. Dieser sieht die | |
Umgestaltung der Roten Flora zum Erlebnispark „Roter Pascha“ mit | |
Fastfood-Kette, dem H&M-Dessous-Ableger „Wet Bitch“ und einem Waxing-Studio | |
im Untergeschoss sowie drei Etagen „Event-Wellness“ vor. Die Alternative: | |
Die Stadt kauft die Flora und das Grundstück für 7,2 Millionen Euro zurück. | |
11. Februar | |
Das Sturmtief „Günther“ kommt über Schottland auf Norddeutschland zu. Die | |
Bild-Zeitung verlängert ihren Exklusivvertrag mit Helmut Schmidt als | |
Wetterorakel. Um 17.26 Uhr gibt Helmut Schmidt Entwarnung: „Wenn es beim | |
Ausmaß von 1962 bleibt, ist das nicht sehr schlimm. Die Flutmauern und | |
Deiche sind seit damals erheblich verstärkt und erhöht worden.“ | |
12. Februar | |
Helmut Schmidt wird als vermisst gemeldet. | |
13. Februar | |
9.20 Uhr Die Bevölkerung wird aufgerufen, Helmut Schmidt zu suchen. | |
Hubschrauber mit Rauchsichtgeräten werden ausgeschickt, ebenso | |
Mentholspürhunde. In einer einzigartigen Aktion, koordiniert von Bild, | |
Springer-Chef Matthias Döpfner und der Hamburger Innenbehörde, wird nach | |
dem Altkanzler gefahndet. 16.41 Uhr Entwarnung. Helmut Schmidt wurde in | |
seinem Rollstuhl hinter Zollenspieker auf dem Deich gefunden. Der | |
betreuende Bild-Praktikant während des Sturm-Livetickers hatte das | |
Wetterorakel auf dem Deich vergessen. Der Praktikant: „Er hat ja nix mehr | |
gesagt.“ | |
3. März | |
Die Eröffnung der Elbphilharmonie wird auf den 10. August verschoben. | |
17. April | |
Klausmartin Kretschmer bietet dem Senat eine endgültige Lösung des | |
„Schanzenproblems“ durch Aufkauf des Viertels an. Zu den Finanziers gehört | |
auch eine skandinavische Investorengruppe. Den Bewohnern wird die | |
Umsiedlung nach Billbrook durch den Senat offeriert. | |
5. Mai | |
Mit Salutschüssen und einem Abschiedstanz zu Nabuccos Gefangenenchor durch | |
das Barkassenballett verabschiedet die Stadt die 204 Mitarbeiter, die der | |
Axel Springer Verlag an die Essener Funke Gruppe verkauft hat. Gleichzeitig | |
bejubelte das Publikum, dass die Komplettschließung des Springer-Standorts | |
Hamburg nun nur noch eine Frage kurzer Zeit sein werde. | |
14. Mai | |
In Zusammenarbeit mit der Stadtentwicklungsbehörde bietet die | |
Stadtteilinitiative ProSchanze einen Denkkurs für Linke an. Unter dem Motto | |
„Scheibe einschmeißen – wer ist der Arsch?“ wird Konsum und | |
Gentrifizierungskritikern der Unterschied zwischen Ketten und globalen | |
Akteuren auf der einen und kleinen, unabhängigen GeschäftsinhaberInnen auf | |
der anderen Seite erklärt. Trotz anfänglicher Zweifel seitens Pro-Schanze, | |
trifft der Kurs auf große Nachfrage und soll im Oktober wiederholt werden. | |
16. Juni | |
Die Eröffnung der Elbphilharmonie wird auf den 19. Oktober verschoben. Den | |
Machern des Molotow wird die Neueröffnung ihres Clubs in dem Neubau | |
zugesichert. Um die Atmosphäre von Keller und Subkultur zu garantieren, | |
wird die Bereitstellung von 50.000 Euro für abgerocktes Mobiliar, | |
Gammel-WCs, Kakerlaken, Feuchtgeruch und Urinduftspray zugesichert. | |
30. Juni | |
Ikea in Hamburg feiert seine Eröffnung in Altona und lässt Pölser im | |
türkisch-deutschen Kindergarten verteilen. Schon in den Tagen zuvor hat der | |
Anlieferverkehr von der A 7 kommend, zu vollkommenem Stillstand des | |
Verkehrs und Atemwegsproblemen der Anwohner geführt. Erste Befürworter des | |
Projekts wurden gesehen, die sich vor dem Neubau kniend mit Dornengeflecht | |
den bloßen Rücken peitschten. | |
26. August | |
Nachdem die Senatorin für Kultur ihren Urlaub genutzt hat, um sich andere | |
Städte anzugucken, fällt ihr auf, dass die Kunstszene Hamburgs tot ist. Um | |
diese zu neuem Leben zu erwecken, streicht sie allen Kunstmuseen die Gelder | |
und fordert sie auf, selbst kreativ zu werden, statt „immer nur teuere und | |
langweilige Ausstellungen einzukaufen“. Den Deichtorhallen droht sie mit | |
Schließung, sollten die KuratorInnen sich weiterhin weigern, den | |
Ausstellungen Inhalt und Sinnhaftigkeit zu verleihen. | |
15. September | |
Hamburg wird zur Oktoberfest freien Zone erklärt. Die Gestaltung von | |
Verkaufsflächen und öffentlichen Plätzen in Bayern-Folklore ist nur mit | |
Sondergenehmigung gestattet. Diese musste bis zum 5. Mai beantragt werden. | |
18. Oktober | |
Die für den morgigen Tag geplante Eröffnung der Elbphilharmonie wird auf | |
unbestimmte Zeit verschoben. Olaf Scholz setzt sich persönlich dafür ein, | |
Klaus Wowereit als Koordinator zu gewinnen, „um dem Projekt zur | |
Durchsetzung zu verhelfen“, wie Scholz sagt. | |
23. November | |
Wirtschaftssenator Frank Horch eröffnet die Bestattungs-Messe „Happy-End“. | |
„Diese Messe biete ein einmaliges Erlebnis“, so Horch. „Ich freue mich ü… | |
die Zukunftsperspektiven, die Hamburg sich als ’wachsende Stadt‘ mit diesem | |
Angebot eröffnet.“ | |
12. Dezember | |
Unter dem Motto | |
„Ramba-Zamba-Halli-Galli-Weihnachten-kann-nicht-sinnbefreit-genug-sein“ | |
wird die im Vorjahr so erfolgreich gelaufene Weihnachts-Karnevalsparade | |
durch die Innenstadt ausgeweitet. Dieses Jahr zieht die Karawane, erweitert | |
durch Elefanten und verkleidete Braunbären auch durch die Hafen-City. | |
Exklusiv konnte Dieter Bohlen verpflichtet werden, der der Stadt den Song | |
„Happy, Happy, Hirn aus!“ auf den Feiertagsleib geschrieben hat. Angeführt | |
wird der Zug durch den Wirtschaftssenator Frank Horch, der gebrannte | |
Mandeln und Glühwein unters Volk wirft. | |
30 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Silke Burmester | |
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