# taz.de -- Die Wahrheit: Dekoration am Rand | |
> Der homosexuelle Mann (Spezial): Thomas Hitzlspergers Coming-out und die | |
> Reaktionen – ein dringend notwendiger Abschlussbericht. | |
Bild: Homo-Ehe? Finde ich voll schwul! | |
Der homosexuelle Mann hat jetzt einen Feiertag mehr, den 8. Januar 2014. | |
Der Tag, an dem Thomas Hitzlsperger sein Ja-Wort gab: „Ja, ich bin schwul.“ | |
Ein fulminantes Coming-out, und der Mann hat alles richtig gemacht. In | |
einem höchst seriösen Medium, monatelang vorbereitet mit der allerersten | |
Journalistengarde, dazu eine neue Webseite und eine Videobotschaft für die | |
Welt. Darin ein prägnanter Satz für die Geschichtsbücher, adressiert an die | |
Homphoben: „Die sollen wissen, sie haben jetzt einen Gegner mehr.“ | |
„Respekt!“, „Danke!“, „Mutig!“, der mediale Jubel war grenzenlos, w… | |
einem entscheidenden Tor, wobei der Mut angesichts der hochprofessionellen | |
Medienmaschinerie seine Grenzen hat. Von allen Seiten hagelte es | |
Glückwünsche, so als sei da einer nach schwerer Krankheit wieder ins Leben | |
zurückgekehrt. Der große Tag wurde auch zu einem Tag der Heuchelei. | |
Allen voran Kanzlerin Merkel, die verkünden ließ: „Wir leben in einem Land, | |
in dem niemand Angst haben sollte, seine Sexualität zu bekennen nur aus | |
Angst vor Intoleranz.“ Blanker Zynismus einer Regierungschefin, die | |
keinerlei Hemmungen hat, Homosexuellen jegliche Gleichstellung zu | |
verweigern. Auch Joachim Löw, der bekanntermaßen nicht viel hält vom | |
Homothema, presste sich ein Statement ab: „Thomas sollte in einer | |
toleranten Gesellschaft von allen respektiert werden.“ | |
So gab ein goldenes Wort das andere, Kommentatoren und Funktionäre, | |
Politiker und Homolobbyisten – sie alle ventilierten jene Sätze, die seit | |
Jahren schon eingeübt waren für diesen einen Moment. Die Übrigen, die so | |
gar nichts wissen wollten, weder von Hitzlspergers noch sonst jemandes | |
Schwulsein, hielten vorerst die Klappe. Das Fußballmagazin Kicker, 1920 | |
gegründet von dem Schwulen Walther Bensemann, verweigerte sich jeder | |
Hitzlsperger-Berichterstattung, in einem weltoffenen Deutschland sei „weder | |
die Sexualität noch Religion eines Sportlers zu thematisieren“. | |
## Letztes Reservat homophober Männer | |
Dafür geißelten die vielen anderen die Welt des Fußballs noch einmal als | |
letztes Reservat homophober Männer, die Fankurve wurde ausgemacht als Ort | |
des Bösen schlechthin. So als passiere das, was sich an jedem Wochenende | |
vor unser aller Augen abspielt, auf einem anderen Planeten. Dabei ist die | |
Fankurve überall, in den Kabinen der Spieler, den Büros der | |
Sportfunktionäre, den Redaktionsstuben der Sportjournalisten – hier | |
allüberall wird seit Jahrzehnten aktiv beigetragen zu dieser Atmosphäre, | |
die Sexismus, Rassismus und Homophobie produziert und am Leben hält. | |
Eine Atmosphäre, die einen Thomas Hitzlsperger erst offen reden lässt, | |
nachdem er raus ist aus diesem explosiven Schlamassel. Und die ihn sagen | |
lässt: „Ich kenne keinen einzigen schwulen Fußballer persönlich.“ Wie gr… | |
ist hier weiterhin die Angst des einen vor dem anderen? Von wegen Fankurve. | |
Auch die schwule Gemeinde war überrascht vom Coming-out des 31-Jährigen aus | |
Bayern. Da wird einer über Nacht zu ihrem Helden, dessen Namen kaum einer | |
vorher zur Kenntnis genommen hat. Auf der schwulen Pin-up-Wunschliste | |
stehen seit Jahr und Tag Sahneschnitten wie Mario Gomez und Arne Friedrich | |
oder der tapsige Manuel Neuer. Aber Thomas Hitzlsperger! | |
## Die Tür geöffnet | |
Das erinnert an den anderen, den ersten schwulen Helden der neueren | |
Homogeschichte hierzulande, Klaus Wowereit. Auch er war ein No-Name in der | |
Schwulenszene bis zu seinem legendären Satz: „Und das ist auch gut so!“ | |
Seitdem ist etwas passiert in der Öffentlichkeit, viel mehr als je eine | |
Schwulengruppe mit Demos und Aktionen vorher zustande brachte: Das | |
öffentliche Ansehen homosexueller Männer und Frauen hat sich deutlich | |
gewandelt. Ein seriöser Schwuler zum Anfassen, einer, der beinahe aus den | |
eigenen, den heterosexuellen Reihen kommt, bewirkt mehr als jede bunte | |
CSD-Parade – so ist’s nun mal. | |
So wie Wowereit damals die Tür geöffnet hat für andere Politiker und | |
Politikerinnen, so wird auch jetzt Hitzlsperger der erste sein in einer | |
hoffentlich langen Reihe weiterer Profisportler. Natürlich verweist ein | |
prominenter Hitzlsperger auch darauf, wie viele andere Prominente und | |
Nichtprominente es da noch gibt, die weiterhin als Lesben oder Schwule das | |
offene Wort scheuen, ein Beleg dafür, dass dieses Land so tolerant nun auch | |
wieder nicht ist, wie es sich gerade aufspielt. | |
Die ganze öffentliche Aufregung, wie sie seinerzeit Wowereit auslöste und | |
noch viel mehr Hitzlsperger heute, widerspricht auch den Vorstellungen der | |
Aktivisten von einst darüber, wie der homosexuelle Kampf gegen | |
Diskriminierung und für Gleichstellung und Akzeptanz auszusehen hat. Die | |
eigenen Bücher und Filme, Kultur und Wissenschaft, Projekte und Aktionen | |
finden so gut wie keinen Widerhall in der sie umgebenden Welt. | |
Der homosexuelle Mann ist spätestens seit Wowereits Coming-out nicht mehr | |
Subjekt seiner Geschichte, sondern darf seitdem als authentische Dekoration | |
vom Rand aus zusehen, wie sich die gesellschaftliche Mehrheit ihre neuen | |
Klischees und Bilder schafft. | |
14 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Elmar Kraushaar | |
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