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# taz.de -- Die Wahrheit: Stiefhund Dackel
> Neue Ergebnisse der veterinären Hirnforschung erlauben einen
> faszinierenden Einblick ins Innere eines oft unterschätzten Rassehundes.
Bild: Fast drohte der Dackel in der Versenkung zu verschwinden, doch nun hebt i…
Viele lange Jahre trat sie auf der Stelle und schmorte zu Recht in einer
überaus unbeachteten Ecke der Weltöffentlichkeit: die Dackelhirnforschung.
Ein Stiefkind der Wissenschaft, dem unter der Hand beinah der
Forschungsgegenstand abhandengekommen und ausgestorben wäre. Die
Dackelpopulation in Deutschland schwand rapide, Dackelhalter und
Dackelschutzbund lagen sich mit rotgeweinten Augen in den Armen, die Gilde
der Dackelforscher befand sich in einem trostlosen Zustand.
Der Welt, dem ganzen Erdkreis, drohte die Dackeldämmerung. Und zwar bis zum
Jahr 2011, als die Bestände, niemand glaubte mehr daran, sich wieder
erholten und es sogar zu einer regelrechten Dackelwelle kam, zu einem
Dackelboom. Aus dem totgesagten sausage dog wurde ein Kulthund. Er trottete
sogar durch den Ikea-Katalog. Oasis-Sänger Liam Gallagher plante in einem
Anflug von Begeisterung, gleich 900 Dackel mit einem Schlag zu erwerben.
Prominente wie MTV-Reality-Star Snooki zeigten sich gern beim
Herumspazieren mit Dackelwelpen. Popstar Adele wurde neben ihrem Dackel
Louie für die Modezeitschrift Nylon fotografiert. Und der Dackel, an der
Leine, im Park, auf T-Shirts, Jutebeuteln oder Postern, hatte sein
Comeback.
Für die am Boden liegende Dackelhirnforschung bedeutete diese Wende einen
enormen Schub, aus allen Landesteilen trudelten schließlich neue
Dackelgeschichten und Dackelbefunde ein, die sie verwerten konnte. Dackel,
die mit Gartenschläuchen kämpften, Dackel, die Wildschweine adoptierten,
Dackel, die Handtaschen begatteten, Dackel, die sich weigerten, bestimmte
Straßen zu betreten, und die ihr Bein nur an Kirchturmecken hoben. Es gibt
Dackel, die Tom Waits hören und dabei mit dem Kopf wackeln, und andere, die
das entschieden ablehnen. Warum sie das tun, was in ihrem Kopf vorgeht, wie
sie ticken, die Dackelhirnforschung versucht, hier mit konkreten
Ergebnissen zu punkten.
Eine hübsche Zusammenschau des aktuellen Forschungsstandes bietet das
soeben erschienene Buch „Kann das Dackelgehirn das Dackelgehirn
verstehen?“, herausgegeben von Matthias Eckoldt. Eckoldt, ein Mann mit
runden braunen Augen und glatt gefönter Rauhaarfrisur, hat zahlreiche
Koryphäen der Dackelhirnforschung zum Interview gebeten. Es geht um mentale
Zustände bei Dackeln, es geht um das klassische Problem des freien Willens,
der bei Dackeln besonders fatal ausgeprägt zu sein scheint.
## In dunkelsten Stadtparkecken
Ein Interview widmet sich dem Phänomen des Dackelblicks, bei dem Dackologe
Eckoldt eine Umkehrung der bei vielen Tierarten bekannten Nachfolgeprägung
konstatiert: Es ist nämlich der Halter, der, vom Blick seines Dackels
geprägt, dem Tier überallhin folgt, in dunkelste Stadtparkecken, unter den
Kohlenhaufen oder sogar bis ins Wasser. In Bredstedt (Kreis Nordfriesland)
prägte ein entlaufener Dackel einmal die gesamte örtliche Feuerwehr, die
ihm stundenlang durch die Kanalisation des Ortes hinterherlief.
Spektakuläre Erkenntnisse wie diese hat Eckoldt etliche zusammengetragen
beziehungsweise aus dem, wie er formulieren würde, „Wunderbrunnen
Dackelhirnforschung“ geschöpft. Dazu gehört unbedingt das sogenannte
Dackelparadox. Es geht so: „Wenn der Dackel in den Spiegel schaut, sieht er
einen Löwen. Denn …“, und jetzt kommt die Pointe der Dackelhirnforschung,
„… kleine Hunde wissen nicht, dass sie klein sind.“ Wir verneigen uns in
Ehrfurcht vor der Leuchtkraft solcher Weisheit. Der Weg, den die Dackologie
beschreitet, ist ein einsamer philosophisch-ontologischer Höhenzug.
Man kann jedenfalls Dr. Eckoldt nicht genug danken für den Blick, den er
uns werfen lässt in die wunderbare Welt der Dackelhirnforschung, die selbst
vor Gretchenfragen nicht zurückscheut wie der nach dem Gottesverständnis
von Dackeln. Ein abseitiger Zweig der Wissenschaft? Eckoldt verneint.
„Dackel waren ursprünglich genau wie wir Höhlenbewohner, Jäger und Sammler,
und wenn Sie das Gehirn des Menschen vergleichen mit dem des Dackels:
Amygdala, Limbisches System, Schädellappen, Großhirnrinde … es gibt da
keine sieben Unterschiede. Wir betrachten praktisch, wenn wir Dackel
betrachten, uns selbst. Dackelhirnforschung ist Selbsterkenntnis.“
Das ist der beunruhigende Clou des Buches, den Menschen im Dackel zu sehen
und den Dackel im Menschen. Und das ist das Verdienst der
Dackelhirnforscher. Und man kann, falls das alles tatsächlich wahr ist, was
sie herausgefunden haben, nur von Glück sagen: dass wir alle – Sie, ich und
Dr. Eckoldt sowieso – noch unangeleint durch die Gegend laufen.
28 Jan 2014
## TAGS
Hirnforschung
Hunde
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