# taz.de -- Uni im Flüchtlingsheim: Nettes Nebeneinander | |
> Professoren der Alice-Salomon-Hochschule unterrichten ihre Studenten im | |
> Flüchtlingsheim Hellersdorf. Die Seminare sind offen für die Bewohner - | |
> doch die bleiben aus. | |
Bild: Zimmer in einem Flüchtlingsheim | |
Ein Wachmann fährt mit einem Scanner über Ausweise von Studierenden. Im | |
Minutenabstand kommen sie an, legen stumm ihre Plastikkarten vor. Wie ein | |
Kassierer kontrolliert der Wachmann die Barcodes, nicht jeder soll hier | |
herein kommen. Das zustimmende Piepsen des Gerätes verläuft sich im großen | |
Foyer, der Wachmann nickt, die Besucher laufen unter grellen Lichtröhren in | |
ein ehemaliges Klassenzimmer. | |
Ein Donnerstag, 10.15 Uhr, im Flüchtlingsheim Hellersdorf, das früher das | |
Max-Reinhardt-Gymnasium war. Nivedita Prasad, Dozentin für Soziale Arbeit, | |
steht vor 22 Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule. Ein Beamer wirft | |
Folien an die Wand, „die Bedeutung der Asylanhörung“ ist das Thema. Prasad | |
ist in ihrem Element: Sie wurde 1967 im nordindischen Chennai geboren. Mit | |
18 kämpfte sie für ihre eigene Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. „Wenn | |
ich Sie frage, welche Farbe mein Schal in der ersten Vorlesung hatte – | |
wüssten Sie das noch?“, fragt Prasad herausfordernd. Denn Flüchtlinge | |
müssten bei der Anhörung detailliert ihre Flucht beschreiben, die Aussagen | |
zweier Ehepartner würden später verglichen. Während Prasad erzählt, ist | |
durch die Wand der Schrei eines Kindes zu hören, und das Ping-Pong eines | |
Tischtennisballspiels. | |
Die Gruppe lernt in jenem Flüchtlingsheim, das im Sommer 2013 zum Symbol | |
für Rassismus geworden ist. Vor den Fenstern wurde der Hitlergruß gezeigt, | |
Sticker mit „Nein zum Heim“ kleben in der Nachbarschaft, Nazis sprengten in | |
der Silvesternacht das Glas der Eingangstür. Diesen Hass möchte die | |
Rektorin der Alice-Salomon-Hochschule, Theda Borde, kontern. | |
Deshalb hatte sie im Herbst mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales | |
eine Kooperation beschlossen: Insgesamt 300 Studierende lernen in dem Heim, | |
in dem 200 Flüchtlinge leben. Von Montag bis Freitag sollen Hochschüler im | |
Heim präsent sein. Die Hochschule hat einen Raum, hier halten Professoren | |
Vorlesungen, über Grundlagen der Sozialen Arbeit, über Rassismus und | |
Migration, auf Deutsch und auf Englisch. | |
## Hier die Infos, da die Flüchtlinge | |
In Prasads erstem Kurs, im Oktober 2013, kamen drei Bewohner. Einer von | |
ihnen war Latif*. Er stand auf dem Flur, als die Dozentin fragte, ob er in | |
den Raum kommen möchte. Aus Neugier sagte Latif Ja. „Ich wusste nicht, was | |
von mir verlangt wird. Ob ich hinten sitze oder etwas gefragt werde. Dann | |
saß ich vorne und sollte Fragen beantworten.“ Er sei etwas überfordert | |
gewesen. Trotzdem würde er noch mal teilnehmen – weil sich Leute für ihn | |
interessiert hätten. | |
Doch seit Oktober waren keine Flüchtlinge mehr in den Seminaren. Dabei sind | |
die Themen für sie interessant und nützlich – und Kursteilnehmer könnten | |
übersetzen, in Englisch oder Türkisch, Arabisch, Kroatisch, Russisch, Farsi | |
und Urdu. Sie lernen zum Beispiel, dass Menschen mit der Anerkennung als | |
Flüchtling drei Monate lang das Recht haben, ihre Familie nachzuholen – | |
ohne dass es ausreichend Wohnraum geben muss. Aber es sei schwer, mit den | |
Flüchtlingen in Kontakt zu kommen, sagt Prasad: „Nicht alle lesen die | |
Ankündigungsplakate, und selbst wenn sie es tun, müssen sie noch Zeit | |
haben, um zu kommen.“ | |
Das Seminar ist zu Ende, Prasad sieht aus dem Fenster auf den leeren Hof. | |
Den Unterricht ins Heim zu verlegen ist für sie trotzdem nicht falsch | |
gewesen. Mittlerweile gebe es auch Austausch zwischen Hochschülern und | |
Flüchtlingen: vor den Seminaren, in der Pause. | |
Eine, die sich mit Flüchtlingen unterhält, ist die 24-jährige Studentin | |
Sara. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Sie kennt fünf Bewohner, drei | |
Männer und zwei Frauen. Das Mädchen mit dem langen Rock und dem leuchtend | |
blauen Oberteil hat von den Neonazi-Protesten gehört. Gleich im ersten | |
Semester im Fach Soziale Arbeit hat sie sich entschieden, in das Heim zu | |
gehen. Sara möchte, dass die Bewohner nicht isoliert sind. Das hat anfangs | |
nicht geklappt. „Wir haben das Seminar gemacht, sind wieder rausgegangen, | |
haben keinen gesehen.“ | |
Im Dezember habe sie sich dann getraut, sie ging auf die Flüchtlinge zu. | |
Die Kursteilnehmer hatten ein Frühstück veranstaltet, und weil Sara | |
Arabisch spricht, konnte sie in lockerer Atmosphäre mit einigen Bewohnern | |
reden. Sara spricht mit ihnen über Alltägliches: „Wie es den Menschen geht, | |
was sie gemacht haben, aber auch über ihre Ängste.“ Einem Flüchtling hilft | |
Sara nun, eine Wohnung zu finden. „Sie kommen auf mich zu, umarmen mich. | |
Ich habe nicht das Gefühl, sie auszufragen“, sagt Sara. | |
Für Journalisten hingegen ist es schwer, mit den Flüchtlingen zu reden, zu | |
fragen, wie sie über das Projekt denken. Mitten im Gespräch mit Latif kommt | |
ein Wachmann in den Raum. Er unterbricht, die Heimleitung wolle nicht, dass | |
Journalisten mit Bewohnern sprechen. Ihre Geschichte soll nicht in die | |
Öffentlichkeit gelangen. | |
Dafür ist Heimleiterin Martina Wohlrabe zum Gespräch bereit. Sie lobt, dass | |
Studierende Hausaufgabenbetreuung anbieten. Aber sie kritisiert, der | |
Gruppenraum werde zu oft durch Seminare blockiert. „Wir nutzen den Raum, | |
wenn die Studierenden nicht da sind.“ Ein Japaner bastle dann Kaleidoskope; | |
Flüchtlinge könnten dort ungestört reden. „Aber gut, wir haben uns | |
arrangiert.“ | |
Auch in der Hochschule ist das Projekt umstritten. Zehn Minuten entfernt, | |
mit der U5 an der Plattenbautristesse entlang, steht die | |
Alice-Salomon-Hochschule, ein Bau aus hellgelben Backsteinen. Eine | |
lächelnde Dame wartet am Empfang auf Gäste, Mittzwanziger plaudern im | |
langgezogenen Foyer unter hippen Lichtkugeln. | |
In dieser Wohlfühlatmosphäre sitzt der 28-jährige Jacques, der im fünften | |
Semester Soziale Arbeit studiert. Gleich in der ersten Seminarstunde im | |
Heim habe er angesprochen, dass sich die Studierenden über ihre Rolle | |
bewusst sein müssen. „Man kann nicht davon absehen, dass wir anders | |
gestellt sind“, sagt er. | |
In der Kooperation mit dem Flüchtlingsheim sieht Jacques die Gefahr, dass | |
die Menschen dort als Forschungsobjekt wahrgenommen werden. Deshalb | |
organisiert Jacques ein Basketballtraining und ein Skate-Projekt für die | |
Flüchtlinge. „Mir ist wichtig, nicht über die Flucht, die Gründe dafür und | |
die Erfahrung zu reden“, sagt der Student entschieden. „Aber ich renne | |
nicht auf sie los und sage: Ich helfe dir.“ | |
## Leistungspunkte als Belohnung | |
Rektorin Theda Borde hingegen sieht die Verlegung eines Teil des | |
„Kerngeschäftes“ der Uni als gute Lernsituation. „Studierende setzen sich | |
in anderem Kontext mit den Themen der Seminare auseinander. Sie werden | |
politisch aktiviert, müssen sich mit Geschehnissen um sie herum | |
beschäftigen.“ Das erste Semester des Projekts ist seit einigen Tagen | |
vorbei. Wird es fortgesetzt? „So lange, wie dieses Heim existiert“, sagt | |
Borde. | |
Flüchtlinge aus ethischen Gründen nicht in Befragungen einzubeziehen, davon | |
hält die Rektorin nichts. „Wenn wir Ansätze von partizipativer Forschung | |
haben, dann wird das den Flüchtlingen eher nutzen. Ansonsten werden sie wie | |
eine graue, dumpfe Masse betrachtet.“ Borde denkt darüber nach, | |
ehrenamtliche Arbeit mit Credit Points, mit Leistungspunkten, zu belohnen. | |
Denn die Angebote, die die Flüchtlinge wirklich nutzen, sind nicht | |
akademischer Art. Studierende übersetzen Briefe, begleiten zum Arzt oder | |
zur Bank, geben Tipps für den Lebensmittelkauf. „Das in Leistungspunkten | |
anzurechnen geht aber nur, wenn Studierende ihre Arbeit im Heim | |
wissenschaftlich reflektieren.“ | |
Die Hochschüler lösen das Dilemma zwischen Aufdringlichkeit und Nichtstun, | |
indem sie Flüchtlinge auf dem Flur unverbindlich zu Veranstaltungen | |
einladen, Plakate schreiben. Eines davon lädt in ihr Computerzentrum ein. | |
Es ist Freitag, 14.30 Uhr. In Raum 218 der Hochschule stehen Rechner mit | |
USB-Anschlüssen, Steckdosenleisten ziehen sich über die Tische, gepolsterte | |
Bürostühle laden zum Surfen ein. Ohne Passwort kann jeder ins Internet. Die | |
Flüchtlinge dürfen den Raum nutzen, von 14 bis 17 Uhr. | |
Im Heim gibt es keine Computer. In der Hochschule gibt es die Möglichkeit, | |
nach Syrien zu skypen, mit Freunden zu chatten. Es ist ruhig, ein Tutor | |
wartet auf Fragen. Doch die bleiben aus. Es ist kein Flüchtling gekommen. | |
Auch Latif* nicht, obwohl er zugesagt hat. „Wahrscheinlich hat er etwas zu | |
tun“, sagt Sara etwas ratlos. | |
*Name geändert | |
11 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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